Fussis politische Zukunft

Rudi Fussi ist ein aus der Partei getriebener Sozialdemokrat. Auf seinem Blog schlägt er als Weg aus der Krise der Partei die Kraft der politischen Vision vor. Ich zitiere ihn mal:

Ich denke an Österreich 2050, das ist in 30 Jahren. Die Klimakrise hat unser Land verändert, wir kämpfen täglich gegen die Folgen, um diese zu beherrschen. In Teilen des Landes ist Ackerbau aufgrund des Wassermangels nur mehr eingeschränkt möglich. Die Kosten für die Bekämpfung der Naturkatastrophen sind stark gestiegen, die KollegInnen des Technischen Hilfswerks sind im Dauereinsatz. Am Anfang waren viele skeptisch gewesen, dass das Technische Hilfswerk wirklich ein funktionierender Ersatz für das Bundesheer sein soll, doch es funktioniert hervorragend. In den Städten haben wir kaum wieder erkennbare Gebäude. Die Fassaden sind begrünt, die Straßen werden gekühlt, alle Wohnungen sind klimatisiert. Trotzdem ist der CO2-Ausstoß gesunken, weil der gigantische Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die vollständige Decarbonisierung des Autoverkehrs ihre Wirkung zeigen. International haben wir führend das Verbot von Kreuzfahrtschiffen durchgesetzt, mittlerweile fahren sie wieder mit einem Co2-neutralen Antrieb. Hätten wir von dreissig Jahren nicht gedacht. Die Städte schauen auch viel lebenswerter aus als jetzt. Die Menschen sind freundlicher, entspannter, das Phänomen Burn-Out ist merkbar zurückgegangen. Die Menschen arbeiten 30 Stunden pro Woche und können gut davon leben. Es gibt einen gesetzlichen Mindestlohn, der sich nicht an der Armutsgrenze bemisst, sondern an dem, was jemand braucht, um ein gutes Leben führen zu können. Wir besteuern Arbeit heute so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte. Sämtliche Kapitaleinkommen werden nun höher besteuert als die Arbeit. Durch die Politik der 2030er-Jahre, die radikale Senkungen bei der Belastung des Faktors Arbeit brachte, wurde ein gewaltiges Wirtschaftswachstum erzeugt. Die KMUs und EPUs des Landes schaffen mehr Arbeitsplätze als je zuvor, Gewinne werden höher besteuert als früher, aber bei den meisten macht es unter dem Strich keinen Unterschied, weil es keine Dienstgeberbeiträge mehr gibt. Die flächendeckene Einrichtung von kostenfreien Ganztageskindergärten und Ganztagesschulen bringt die zweite Boomer-Generation hervor. Die Wohnkosten liegen 2050 unter jenen der 2020-er Jahre. Die größte Landreform der Geschichte hat der Spekulation mit Wohnraum jeglichen Spielraum entzogen, Wohnen ist ein Grundrecht. Die progressive Grundsteuer hat dazu geführt, dass sich der Besitz von Immobilien über den Eigenbedarf hinaus, als nicht gewinnbringend erweist. Sukzessive haben sich Fonds zurückgezogen, es kam zu einem Überangebot am Markt und zu sinkenden Preisen. Die Kreditfinanzierung wird heute auf 100 Jahre bei der staatlichen Immobilienbank abgeschlossen. Bereits nach fünf Jahren sind die Kosten um mehr als 30% gesunken. Der ländliche Raum hat überlebt und wächst wieder, die Abwanderung hat sich ins Gegenteil verkehrt. Der öffentliche Verkehr hat so eine Qualität, dass man das Auto selbst im ländlichen Raum kaum braucht. Finanziert wurde dieser Ausbau in den 2020er-Jahren mit einer einmaligen Klimaschutzabgabe für Privatvermögen, die höher als 100 Mio sind. Um die Wertschätzung zu zeigen, fährt jetzt in Tirol eine „Heidi Horten“-Bahn und die drei neuen Kindergärten im Ort sind am lustigsten: Drinnen trinken die Kinder Kakao im Benko-Kindergarten. In den Orten gibt es wieder Polizeistationen, eine Post und es gibt keinen Ort mehr ohne Gasthaus. Die Gemeinden haben Pächtern teilweise kostenlos Immobilien zur Verfügung gestellt, damit das Dorfleben wiederbelebt wird. Wir haben politisch die Gemeinden gestärkt und die Bezirksebenen abgeschafft, die Landtage sind Folklore, entschieden wird vieles auf den unteren Ebenen durch Einbindung der Bevölkerung. Die Integrationsprobleme haben wir durch massive Investitionen in Bildung und Sozialarbeit in den Griff bekommen. Der Ansatz „Integration vor Neuzuzug“ hat sich als richtig erwiesen. Durch klares Zuwanderungsmanagement kommen heute wirklich nur noch die benötigten Fachkräfte zu uns. Im Asylbereich haben wir in der EU einen Marshall-Plan für Afrika durchgesetzt. Es gibt nun legale Fluchtmöglichkeiten, die aber kaum genutzt werden, weil die EU massiv vor Ort investiert, um die Lebensgrundlagen zu erhalten und damit die Fluchtursachen zu beseitigen. Zehntausende Migranten sind in ihre Heimat zurückgekehrt, der Staat unterstützt Rückkehrer mit einer Auswanderungsprämie. Verpflichtende Deutschkurse haben Menschen die Möglichkeit zur Teilnahme an der Gesellschaft gebracht. Durch die strikte Trennung von Staat und Religion gibt es auch in diesem Bereich weniger Probleme, na gut, das Entfernen des Kreuzes 2030 hat einigen nicht geschmeckt. Die absolute Gehaltstransparenz in den Betrieben hat dazu geführt, dass Frauen und Männer gleich viel verdienen. Frauen und Männer arbeiten übrigen gleich lang. Der Neid in der Gesellschaft ist massiv zurückgegangen, weil wir in einem Land leben, das Leistung belohnt und leistungslose Einkommen höher besteuert als Arbeitseinkommen. International werden wir dafür gelobt, dass Bildung bei uns nicht mehr vererbt wird, sondern wir ein sehr durchlässiges System haben. Als Berufsziel geben übrigens doppelt so viele wie 2020 an, eine Lehre nach der Matura zu machen. Die Menschen leben heute miteinander, nicht nebeneinander. Sie begreifen, dass der Staat niemand da oben ist, sondern die Summe aus uns allen. Und da 95% der Menschen von ihren Arbeitseinkommen leben müssen, ist es heute völlig normal, dass sich die Politik an den Interessen der Mehrheit ausrichtet.

Es ist klar, dass ich mit dieser Vision ganz im Sinne des Sozialstaates wenig anfangen kann. So ist für mich eine Polizeistation in jedem Ort eher ein Alptraum als ein Traum, um nur einen Aspekt raus zugreifen. Doch das ist gar nicht der Punkt. Hier ist endlich wieder wer, der sich ein Stück weit Utopie zutraut – und sogar glaubt, dass das ein Weg aus einer politischen Krise sein kann. Der Witz, dass wer Visionen hat, zum Arzt gehen soll, trifft wohl auch auf das radikal linke Lager zu. Auch hier sind Utopien/Visionen selten geworden. Wäre es nicht spannend, wenn wir Radikalinskis, Anarchist*innen und Rebell*innen etwas Ähnliches wie Fussi machen würden? Wie wollen wir, dass unsere Community, unsere Stadt, unsere Gesellschaft (wir müssen ja nicht unbedingt in nationalstaatlichen Grenzen denken) 2050 ausschaut? Das könne auch helfen, so manche zu Tode gerittenen Schlagwörter wieder mit Leben zu füllen.

Facetten des Widerstandes

Die wunderbaren Laut Fragen geben in nächster Zeit ein paar Konzerte mit ihrem neuen Programm „Facetten des Widerstandes“, eine Vertonung antifaschistische Gedichte. Zu sehen sind sie heute im Venster 99 (The Future is Female), am Samstag im VEKKS, und in 2 Wochen, am 14.12. im Down Under – Aussie Pub. Als Einstimmung gibt es hier mal „Staub von Städten“

Für mehr musikalischen Widerstand!

Prokapitalistische Riots

Black Friday, der Tag an dem es Jahr für Jahr zur pro-kapitalistischen Riots kommt. Hier zwei Videos aus den letzten Jahren:

Und weil es immer wieder Diskussionen dazu gibt: Natürlich ist das System daran schuld, in dem eine soziale Positionierung vor allem durch Konsum und Konsumgüter geschieht; ein System, dass andauernd Ausschluss produziert; und Ein- und Anschluss nur an den wenigen Tagen der Schnäppchenjagd gewährt. Aber es ist ja kein von Himmel gefallenes, kein naturgegebenes System. Es wurde von Menschen gemacht und wird von Menschen am Leben gehalten – mal mehr, mal weniger, mal bewusster, meistens unbewusster, und im Falle des Black Fridays brutal und eindrucksvoll. Das verrückte an den Videos ist ja, dass die Menschen drängeln und schlägern, Verletzungen einstecken, nicht um zu plündern, nein, sondern nur um dann brav an der Kassa zu zahlen. Und bei Plünderungen ist die Stimmung meist deutlich solidarischer 😉

Lernsieg?

Ein paar kurze Gedanken zur App „Lernsieg“, die in letzter Zeit für Furore gesorgt hat. Schüler*innen konnten damit Lehrer*innen bewerten, aber auch die ganze Schule bewerten konnten. Nach massiver Kritik –von Lehrer*innen, eh klar- ist sie wieder offline genommen worden.
Es ist prinzipiell nur fair, wenn nicht nur Lehrer*innen Schüler*innen bewerten können. Es ist ein Beitrag zur Demokratie, und ein Mittel, die Machtungleichheit etwas abzumildern. Schon zu meiner Schulzeit gab es die Forderung nach Lehrer*innenbeurteilung. Es wurde also höchste Zeit.
Aber: Was soll der Unsinn, denn die Macher da im Standard-Artikel von sich geben: „Bei schlechten Rückmeldungen könnten die Pädagogen wiederum ihre Schwächen erkennen und daran arbeiten.“ Die übliche Aufforderung zur ständig Selbstoptimierung… Es kommt noch besser: „ Hadrigan [der Macher der App] sah darin eine neue Möglichkeit für Eltern, die beste Schule für ihre Kinder zu finden. Insgesamt erhoffte er sich von der App mehr Transparenz und ein stärkeres Leistungsdenken durch die Konkurrenzsituation.“ Also noch mehr Neoliberalismus, noch mehr Konkurrenz, und die Welt wird gut?
Es ist ein Muster, dass sich leider immer häufiger findet. Prinzipiell gute und solidarische Ideen und Projekte werden kapitalistisch verwertet, neoliberal verbraten und dadurch in ihr Gegenteil verkehrt. Gegenstrategien dringend gesucht!

Die Baseballschlaegerjahre eines Kleinstadtpunx

Die #Baseballschlaergerjahre gab es nicht nur im Osten. Auch meine Jugend in einer Kleinstadt tief im Westen waren geprägt von rechter Gewalt; von Nazis, die glaubten, einen Volkswillen auszuführen, wenn sie Punx und Migarnt*innen schlug; und von einem Kleinstadtvolk, dass die Nazis vielfach darin bestärkte. Das hier ist mein Bericht, die Erinnerung eines Kleinstadtpunx an die Baseballschlaegerjahre.

Ich schwor mir, dass ich niemals klüger werde würde. Es war einer der üblichen Abende in der Kleinstadt. Sich die Langweile wegsaufen im einzigen alternativen Pub. Auf dem Weg nach Hause traf ich sie. Es hagelte die üblichen Schmähungen und Drohungen. Dann, ohne Vorwarnung, setzte es Tritte und Schläge. Als der Spuk vorbei war, spielte sich einer der Nazis als Oberlehrer auf: „Wir werden dich so lange schlagen, bis du endlich gescheiter wirst!“ Nein, niemals, schwor ich mir, wenn ich auch nur einen Funken Selbstachtung behalten möchte, würde ich da nicht mitspielen.
Schläger als Pädagogen, das war neu. Früher waren es höchstens umgekehrt: Pädagogen waren Schläger. Es wr eine einfache Rechnung: Gewalt war ein Bestandteil der Nazis, und die Nazis waren ein Bestandteil der Stadt. Wenige hatten da was dagegen.
Denn die Atmosphäre dort war geprägt von einer bleiernen Normalität. Das Leben war mit Schule-Arbeit-Frau und Kinder-Pension vorgezeichnet. Abweichungen waren nicht vorgesehen, Alternativen schwer vorstellbar. Wer sich dafür stark machte, wurde zumindest mit Verachtung bestraft. Ich merkte bald, dass das nicht mein System war; dass ich darin fremd war – und damit allein. Ein tiefes Gefühl des Unverstandenseins bestimmte meine frühe Jugend.
Eine der wenigen Vorteile der Kleinstadt war ihre Übersichtlichkeit. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ich andere Menschen fand, die sich auch nur schwer anpassen konnten – mein Leben als Kleinstadtpunk begann.
Doch nicht nur ich, nicht nur wir veränderten uns. Auch die Stadt änderte sich – zumindest im Verhalten uns gegenüber. In dieser bleiernen Zeit war unsere simple Existenz, unsere sichtbare Andersartigkeit war eine Riesenprovokation. Wir waren das Zeichen dafür, dass nicht alles so rund lief in dieser Gesellschaft – etwas, was die anderen gerne verleugneten. Wir waren der Beweis dafür, dass es auch andere Wege gab. Uns war das damals so nicht bewusst. In Wirklichkeit waren wir ein paar naive und unwissende Jugendliche, die einen ziemlichen Aufstand auslösten. Dabei war das, was wir machten, anfangs ziemlich harmlos: Wir hörten alternative Musik (ursprünglich sogar eher selten Punk), diskutierten über Bücher und über unsere naiven Vorstellungen von Anarchie und Kommunismus. Ab und an schwänzten wir die Schule, hatten unseren ersten Rausch, rauchten die ersten Zigaretten und später auch die ersten Joints.
Meine Erinnerung an diese Zeit war geprägt von diesen kleinen Erforschungen und Erfahrungen. Dazu kam langsam die Erkenntnis, dass neben dieser kleinkarierten Stadt noch eine andere, eine aufregende, eine weite Welt gab.
Jedenfalls waren wir meilenweit davon entfernt, Aussätzige oder Erzfeinde zu sein, so wie uns die Stadt und die meiste ihrer Bewohner*innen bald behandelte. Gängig wurde die Beschimpfungen der Otto Normalbürger. Da wurde uns bei Dorffesten schon mal ein Aufenthalt in Auschwitz gewünscht. Polizeikontrollen wurde zur Routine und Strafen gab es für Nichtigkeiten. Und die Dorfnazis – korrekt muss es natürlich Kleinstadtnazis   schlugen zu. Bei denen gab es neben dem Gros der dumpfen Schläger gab es einen harten Kern, der ideologisch gefestigt und weit vernetzt war. In einem der Dörfer der Umgebung führte die nationale Elite einmal ihre Wehrsportübungen durch. Doch das hab ich erst später erfahren. Auf jeden Fall war da das Gefühl, dass sie den Volkswillen ausführten, wenn sie uns verprügelten. Die Nazis, das waren die, die brav arbeiten gingen, die gut angezogen waren, die anständig waren. Das Problem waren wir mit unserer kaputten Kleidung und mit unserer Unfähigkeit, uns in das Kleinstadtleben einzufügen. So wurden die Nazis ermuntert und wir zum Schweigen gebracht.
Natürlich ist diese Schilderung unfair. Es gab ein paar wenige Andere, die sich solidarisch verhielten, die sich durch unsere Andersartigkeit nicht bedroht fühlten.
Da gab es nette Mitschüler*innen, vereinzelt verständnisvolle Pädagog*innen und solidarische Nachbar*innen – sie bleiben aber doch die Ausnahme.
Es gab auch die „Türk*innen“ (ein blöder und inkorrekter Name, da sie genauso wie wir in der Kleinstadt gefangen waren), die gerade eben aufgehört hatten, Gastarbeiter*innen zu sein. Stattdessen eröffneten sie ein eigenes Cafe, das erste „ausländische“ Cafe in der Stadt – wichtige Schritte in Richtung Emanzipation. Wir waren dort gerne willkommen. Nicht willkommen waren die Nazis, die dennoch kamen und die Einrichtungen demolierten. Obwohl die Täter bekannt waren, kam es nie zu einem Prozess.
Auch die Gutmenschen katholischer Prägung sollten hier nicht vergessen werden. Sie wollten sich auch solidarisch zeigen. Doch sie glaubten, durch Reden alle Probleme lösen zu können. So kamen sie auf die glorreiche Idee, einen runden Tisch zu organisieren. Die Opfer der Gewalt sollten mit den Tätern reden. Und wir waren so naiv und haben mitgespielt. Wenig überraschend, dass das Ganze kein einziges Problem gelöst hatte, dass das Ganze eine riesiger Schlag ins Wasser war.
Auf den Gedanken der Gegenwehr kamen wir erst relativ spät. Es waren vor allem die jüngeren Punks, die sich nicht mehr alles gefallen ließen, die den Nazis handfest ihre Grenzen aufzeigten – manchmal Hand in Hand mit den „türkischen“ Jugendlichen. Hilfreich war sicher auch, dass in jenen späten Jahren die Nazis in ganz Deutschland und Österreich ihre Attraktivität verloren hatten, ihr Zulauf wurde geringer. So endeten die Baseballschlaegerjahre in dieser bleiernen Kleinstadt.
Für mich hörten sie anders auf: ich verließ die Stadt, sobald sich die Möglichkeit ergab. Das Versprechen, nicht klüger zu werden, nicht in ihrem Sinne, das habe ich bis heute gehalten. Bis heute bin ich antifaschistisch aktiv. Ich kämpfe für eine Welt, die für die Nazis ein Graus ist: Eine solidarische Gesellschaft, in der ALLE in Würde leben können.

Hirtenberger: Kein Ende der Waffenproduktion

Im Sommer gab die niederösterreichische Waffenfirma Hirtenberger bekannt, dass sie sich aus dem Rüstungsgeschäft zurückziehen zu wollen. Ich schrieb darauf einen längeren Artikel , in dem ich die Geschichte des Unternehmens sowie die antimilitaristischen Kämpfe dagegen, darlegte.
Wie sich nun herausstellte, war die Freude über das Ende der Waffenproduktion zu früh. Diese Sparte wurde an den ungarischen Staat verkauft. Der Standort selbst wird nicht angetastet, eher im Gegenteil. Zu den bisherigen ca. 85 Arbeiter*innen werden noch ein paar ungarische Ingenieur*innen dazu kommen. Die ungarische Seite freut sich übrigens, mit dem Kauf einen Wissensrückstand von 5 Jahren aufzuholen….

Happy Birthday, OstBlackBlock!


Heute vor genau 30 Jahren gab in Berlin einen ziemlichen Rummel. Es war der Herbst ’89, und in der DDR kam Bewegung auf. Das “Neue Forum” und verschiedene Künstler*innen riefen zu einer Demonstration für Meinungfreiheit und gegen Zensur und Repression auf. Mit mehr als einer halben Million Menschen auf der Straße sollte es die größte staatsunabhängige Aktion der DDR werden. Doch das war nicht der einzige Rekord: Zum ersten Mal gab es einen eigenen linksradikalen Block – die Geburtsstunde des OstBlackBlock! Wobei, Aktionen von Anarchist*innen, Ostautonomen und Punx gab es auch schon früher.

Interesannt ist eine der Forderung: Gebt die Bücher von Bakunin und Mühsam frei! Ein paar Tage später fiel die Mauer, die Forderung hatte sich erledigt. So schnell kann sich der Wind drehen, wenn die Sachen in Bewegung kommen! Das Ende der Geschichte dürfte bekannt sein: Auf einen kurzen Sommer der Anarchie folgte die wesetdeutsche, kapitalistische Einverleibung inkl. Neoliberalismus, Nationalismus,Rassismus. Doch damals war zumindest für eine kurzen Augenblick noch alles offen. Und haargenau diese Offenheit sollen wir in Erinnerung behalten.

P.S.: Zwei der Fotos kommen von Günter Blutke . Auf seiner Website findet sich auch ein Text zu diesem 4.November. Auch andere seiner Fotos sind durchewgs sehenswert. Das erste Photo stammt vom telegraph . Sie haben gerade eine lesenswerte Sondernummer zum Thema “30 Jahre Wende” rausgebracht. Darin sprechen sie passenderweise von einer “friedlich gescheiterten Revolution”.

Riot Porn

Momentan sind ja goldenen Zeiten des Riot Porns. An vielen Orten kracht es ganz gewaltig. Barcleona, Hong Kong, Paris in der sogenannten Ersten Welt, dazu Aufstände in Santiago und Beirut in der sogenannten Dritten Welt, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein paar Gedanken meinerseits dazu:

Die politischen Hintergründe sind sehr unterschiedlich. Ein Riot ist nicht per se emanzipatorisch oder revolutionär. Und doch, bei manchen Diskussionen stört mich die Absolutheit, die Schwarz-Weiß-Malerei, die manche Linke dabei an den Tag legen. Sie schwenken zwischen Verdammung und Revolutionsromantik hin und her. Dass Problem bei dieser Sichtweise: Es gehen die Veränderungen, die Möglichkeiten und Gefahren, sowie die inneren Widersprüche verloren.

Ein paar Sachen werden so und so unsichtbar, wenn wir gebannt auf die brennenden Barrikaden, auf die Steine und Mollies sowie auf die Wasserwerfer und Knüppel auf der anderen Seite schauen. Ein Riot entsteht nicht im luftleeren Raum. Es braucht viel Vorarbeit, selbst bei spontanen Riots. Hunderte von Gesprächen, von mühsamen Diskussionen, Träume von einer anderen Welt, die mit anderen geteilt werden, Unsicherheiten und Ängste, die gemeinsam überwunden werden; sind notwendig. Genauso braucht es ganz praktische Dinge: Sich um die Verhaftete und Verletzte kümmern, sich um Familie, um die Kinder kümmern, etc. Das wird auf den Photos und Videos, auf die wir gebannt schauen, nicht sichtbar. Wir sollten es aber nicht vergessen.

Und schlussendlich das wichtigste: Es gibt eine Message, die praktisch alle Riot Porns senden: Die Dinge sind veränderbar, und wir können sie verändern. Normalerweise schauen wir ohnmächtig zu, wie sich das Machtverhältnis noch mehr in Richtung Macht und Reichtum verändert; wie Nationalismus und Rassismus bedient werden, um falsche Einheiten herzustellen; wie Polizei und Militär aufgerüstet werden, die Repression zunimmt, die Schnüffler*innen im staatlichen Auftrag mehr Rechte und Möglichkeiten bekommen, etc. Da ist es durchwegs schön zu sehen, dass zumindest in manchen Situationen das alles nichts hilft. Die Räumung des Hambacher Forts genauso wie der La ZAD ging phänomenal schief. Die Gilet Jaunes sind weiterhin unterwegs und von Zeit zu Zeit gelingt ihnen spektakuläre Aktionen wie die Besetzung eines Einkaufszentrums. Auch hier ging die polizeiliche Räumung ordentlich in die Hose. In Hong Kong hat der Staat keinen Plan, wie er mit der militanten Protestbewegung umgehen soll. In Algerien und Sudan führten Proteste sogar zum Sturz von Regierungen.

In diesem Sinne: Lassen wir uns von den Riot Porns anstecken! Es liegt an uns!
Ein kleines Lied hab ich dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=6hJ-fjQhCYQ

Kritik an der neuen Klimabewegung

Mometan gibt es einiges an Kritik an Extinction Rebellion. Vor allem ihr Begriff von Gewalt bzw. Gewaltfreiheit stösst vielen sauer auf. XR sieht sich selbst als strikt gewaltfrei, was prinzipiell zu begrüsen ist. Allerdings sind für sie schon das Rufen mancher Parolen oder das Sprayen von Grafittis schon Gewalt, während Aktionen der Polizei nicht thematisiert werden. Sie haben also eine strikte Definition bei persönlicher Gewalt, während andererseits strukturelle Gewalt ausgeblendet wird.

Meiner Meining nach müsste aber die Kritik umfassender sein, und einen Großteil der neuen Klimabewegung umfassen. Da gibt es einiges, was mir fragwürdig erscheint.

Fangen wir mit dem Personenkult rund um Greta Thurnberg an. Ohne Frage sind die Aktionen und Reden von ihr inspirierend. Aber: Der Kampf um die Umwelt, gegen den Klimawandel lässt sich nicht auf eine Person festschreiben. Er muss von (möglichst) und allen geführt werden. Deswegen stösst mit der Personenkult auer auf – auch wenn daran eher die Medien mit ihrer ständigen Suche nach guten, verkaufbaren Stories als der Aktivist*innen auf der Strasse ist.

Es sind aber die meisten Aktivist*innen (FFF, XR,…), die Appelle an die Regierungen richten. Auch hier habe ich den Eindruck, als würde versucht werden, unsere Verantwortung abzuschieben. Außerdem glaub ich nicht, dass die Regierungen, selbst wenn sie wollten (ich glaub nicht, dass sie wollen), etwas ändern könnten. Zu klein ist ihr Spielraum, zu eng ist die Postdemokratie mit dem Kapitalismus verwachsen. Es liegt an uns, Sachen zu ändern.

Was mich gleich zum nächsten Punkt führt: ich vermiss tiefergehende Analysen, ich vermiss die wirtschaftliche Dimension, kurz gesagt, ich vermiss den Antikapitalismus. Viele geben sich radikal ohne dass sie das wirklich sind. Da gibt es natürlich innerhalb der Bewegung große Unterschiede, aber es ist doch weitverbreitet.

Und scließlich misstrau cih dem Endzeitszenario, das vielfach aufgbaut wird. Keine Frage, es wird in den nächsten Jahren große Veränderungen geben. Aber ich glaub, dass sich hinter dieser Lust an den apokalyptischen Visisonen versteckte und unhinterfragte Hierachiemuster finden. Beim Ruf „Feuer!“ funktionieren plötzlich Befehlsketten problemlos. Stattdessen brauchen wir kollektive Diskussions- und Aktionsprozesse, wo sich möglichst alle solidarisch beteiligen können.

…. und dann erchreck ich vor mir selbst. Gehör ich jetzt auch schon zu den alten Männers, die alles bessser wissen; die glauben, dass sie und nur sie den einzig richtigen Weg zur Revolution kennen. Über die mensch am besten Fal ll nur milde lächeln kann. Verorte ich mich nicht selbst innerhalb der antikapitalistischen sozialen Bewegungen? Jener politischen Strömug, die in den letzten 30 Jahren – mit wenigen Ausnahmen- in einer Dauerkrise steckt? Da mag ich andere Menschen belehren? War ich nicht immer der Meinung, dass schwimmen nur die lernen können, die ins Wasser springen? Genoss ich nicht die Stimmung bei den Demos? Sebst wenn es nur langweilige Latschdemos waren, war da nicht einiges an Energie da? Und war da nicht das Gefühl, dass da was Neues, Spannendes entsteht – oder zumindest entstehen kann?+

Das ändert nichts an meiner Kritik. Sie soll so aber in die richtigen Relation gebracht werden. Ich bin ichts als ein kleiner Wicht. Ich nehm für mich das Recht in Anspruch, auch mal ordentlich daneben zu liegen – und ich gesteh auch anderen dieses Recht auf Fehler gerne zu . Das ist wichtig. Denn die Klimabewegung lebt nicht nur von Aktionen, sondern genauso von Theorie, von Reflexion und von Diskussionen. Und wenn wir es schaffen, die nicht vollkommen arsch – zu gestalten, sondern so, dass es Lust macht, sie zu führen, dass es im besten Fall allen einen Ereknntnisgewinn bringen kann, dann , ja dann kann wirklich was Großes geschehen: Eine solidarische und genießbare Bewegung, die wirklich was ändern kann!

P.S. Ich wurde auf einen älteren Artikel in der Graswurzelrevolution aufmerksam gemacht. Ähnliche Diskussionen und Probleme gab es schon früher:

https://www.graswurzel.net/gwr/1997/09/ausgrenzungs-prozesse/

Dieser Vice-Artikel bietet eine Kritik mit Ansicht von innen an:
https://www.vice.com/en_uk/article/59nq3b/extinction-rebellion-tube-disruption-criticism

Die Rückkehr zur Normalität

Der Sommer ist immer ein Stück weit Ausnahmezustand. Das Leben, die Stadt, der Tag und die Nacht – alles funktioniert etwas anders als normal. Doch jetzt sind die Nächte schon wieder länger als die Tage und eine deprimierende Rückkehr zur Normalität hat eingesetzt. Am deutlichsten hat das wohl die Nationalratswahl mit einem zu erwartendem desaströsen Ergebnis zum Ausdruck gebracht. Das schlimmste an der Sache ist, dass der Glaube an Parteien, und dass sie mehr ändern können, bis tief in die linke Szene reinreicht. Im gleichen Maß sinkt das Vertrauen darauf, dass Menschen selbst, in sozialen Bewegungen und durch Aktionen auf der Straße was bewegen könnn. So ist es wenig verwunderlich, dass die Demos in der Zeit, die dank Normalität auch wieder begannen, vor der Wahl stark von Parteien und ihrer Werbung geprägt waren. Am schlimmsten war die Demo „Nie wieder Schwarz-Blau!“ des Bündnisses für eine menschliche Asylpolitik am 21. September. Es war de facto eine gemeinsame Parteiveranstaltung der Oppositionsparteien, an der ca. 3000 Menschen teilnahmen. Auch beim „Earth Strike“ im Rahmen des Friday for Future waren Politiker*innen und Parteien stark vertreten. Doch da hier ca. 30.000 Menschen teilnahmen, wurde die Außenwirkung nicht so stark von Parteien dominiert. FFF brachte übrigens auch Normalität in die Sommermonate, indem sie Woche für Woche kleinere Aktionen machten.
Im Gegensatz dazu machte die Donnerstagsdemo eine Sommerpause. Und sie schaffte den Weg zurück zur Normalität nicht wirklich. Bei der 1. Herbstdemo am 12. September nahmen immerhin noch ca. 2000 Menschen teil. Es war eine Sterndemo mit verschiedenen Aktionsformen radelnd, tanzend, und hatschend wurde zum Ballhausplatz demonstriert. Bei der nächsten Demo am 3. Oktober waren es aber nicht einmal noch 500 Menschen.
Zur Normalität gehört in der Zwischenzeit auch der allherbstliche rechtsextreme Aufmarsch am Kahlenberg durch die Identitäre Bewegung, um die Befreiung von den Osmanen 1683 zu feiern. Dieses gelang es der Gegendemo am 7. September, den Marsch zu blockieren. Die Identitären wichen auch die Innenstadt. Doch auch dort kam es zu kleineren Protesten.
Ein Ausblick: Die Antiregierungs-Aktionen werden wahrscheinlich in nächster Zeit einschlafen. Sollte es zu einer Neuauflage von Schwarz-Blau kommen, werden sie wieder aufwachen. Sollte die neue Regierung, sollte die neue Unterdrückung schwarz-grün werden, wird es wohl mit diesem Widerstand vorbei sein. Die Klimaaktionen werden weiter gehen und werden wahrscheinlich DAS bestimmende Thema der Straße in der nächsten Zeit sein. Sie orientieren sich auch stärker an einer internationale Protestchoreographie, weniger an innenpolitische Entscheidungen. So war nicht nur der „Earth Strike“ ein internationales Ereignis, sondern auch eine Aktionswoche von Extinction Rebellion. In Wien wurde am 7. Oktober von ca. 150 Menschen die Kreuzung MaHü//Zweierlinie besetzt. Am selben Tag stand ein Aktivist, der Opfer der Polizeigewalt bei der letzten Aktion zivilen Ungehorsams wurde, vor Gericht. Er wurde freigesprochen. Ein weiterer Demoschwerpunkt wird die Solidarität mit Rojava bzw. der Protest gegen den türkischen Angriffskrieg sein. Es gab in den letzte zwei Tagen bereits Spontandemos, an denen bis zu 1000 Menschen teilnehmen. Auch für die nächsten Tage sind Kundgebungen geplant.
Hier am Blog wird ebenfalls wieder Normalität einziehen. Die Sommerpause ist vorbei, es werden wieder mehr oder weniger neue Berichte erscheinen. Der versprochene längere Artikel über das Verhältnis Linke-Proletariat braucht länger als gedacht, und wird noch etwas auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit wird es ganz unterschiedliche, kürzere Sachen geben.
In diesem Sinne: Wir sehen uns auf den Barrikaden!