Prokapitalistische Riots

Black Friday, der Tag an dem es Jahr für Jahr zur pro-kapitalistischen Riots kommt. Hier zwei Videos aus den letzten Jahren:

Und weil es immer wieder Diskussionen dazu gibt: Natürlich ist das System daran schuld, in dem eine soziale Positionierung vor allem durch Konsum und Konsumgüter geschieht; ein System, dass andauernd Ausschluss produziert; und Ein- und Anschluss nur an den wenigen Tagen der Schnäppchenjagd gewährt. Aber es ist ja kein von Himmel gefallenes, kein naturgegebenes System. Es wurde von Menschen gemacht und wird von Menschen am Leben gehalten – mal mehr, mal weniger, mal bewusster, meistens unbewusster, und im Falle des Black Fridays brutal und eindrucksvoll. Das verrückte an den Videos ist ja, dass die Menschen drängeln und schlägern, Verletzungen einstecken, nicht um zu plündern, nein, sondern nur um dann brav an der Kassa zu zahlen. Und bei Plünderungen ist die Stimmung meist deutlich solidarischer 😉

Lernsieg?

Ein paar kurze Gedanken zur App „Lernsieg“, die in letzter Zeit für Furore gesorgt hat. Schüler*innen konnten damit Lehrer*innen bewerten, aber auch die ganze Schule bewerten konnten. Nach massiver Kritik –von Lehrer*innen, eh klar- ist sie wieder offline genommen worden.
Es ist prinzipiell nur fair, wenn nicht nur Lehrer*innen Schüler*innen bewerten können. Es ist ein Beitrag zur Demokratie, und ein Mittel, die Machtungleichheit etwas abzumildern. Schon zu meiner Schulzeit gab es die Forderung nach Lehrer*innenbeurteilung. Es wurde also höchste Zeit.
Aber: Was soll der Unsinn, denn die Macher da im Standard-Artikel von sich geben: „Bei schlechten Rückmeldungen könnten die Pädagogen wiederum ihre Schwächen erkennen und daran arbeiten.“ Die übliche Aufforderung zur ständig Selbstoptimierung… Es kommt noch besser: „ Hadrigan [der Macher der App] sah darin eine neue Möglichkeit für Eltern, die beste Schule für ihre Kinder zu finden. Insgesamt erhoffte er sich von der App mehr Transparenz und ein stärkeres Leistungsdenken durch die Konkurrenzsituation.“ Also noch mehr Neoliberalismus, noch mehr Konkurrenz, und die Welt wird gut?
Es ist ein Muster, dass sich leider immer häufiger findet. Prinzipiell gute und solidarische Ideen und Projekte werden kapitalistisch verwertet, neoliberal verbraten und dadurch in ihr Gegenteil verkehrt. Gegenstrategien dringend gesucht!

Die Baseballschlaegerjahre eines Kleinstadtpunx

Die #Baseballschlaergerjahre gab es nicht nur im Osten. Auch meine Jugend in einer Kleinstadt tief im Westen waren geprägt von rechter Gewalt; von Nazis, die glaubten, einen Volkswillen auszuführen, wenn sie Punx und Migarnt*innen schlug; und von einem Kleinstadtvolk, dass die Nazis vielfach darin bestärkte. Das hier ist mein Bericht, die Erinnerung eines Kleinstadtpunx an die Baseballschlaegerjahre.

Ich schwor mir, dass ich niemals klüger werde würde. Es war einer der üblichen Abende in der Kleinstadt. Sich die Langweile wegsaufen im einzigen alternativen Pub. Auf dem Weg nach Hause traf ich sie. Es hagelte die üblichen Schmähungen und Drohungen. Dann, ohne Vorwarnung, setzte es Tritte und Schläge. Als der Spuk vorbei war, spielte sich einer der Nazis als Oberlehrer auf: „Wir werden dich so lange schlagen, bis du endlich gescheiter wirst!“ Nein, niemals, schwor ich mir, wenn ich auch nur einen Funken Selbstachtung behalten möchte, würde ich da nicht mitspielen.
Schläger als Pädagogen, das war neu. Früher waren es höchstens umgekehrt: Pädagogen waren Schläger. Es wr eine einfache Rechnung: Gewalt war ein Bestandteil der Nazis, und die Nazis waren ein Bestandteil der Stadt. Wenige hatten da was dagegen.
Denn die Atmosphäre dort war geprägt von einer bleiernen Normalität. Das Leben war mit Schule-Arbeit-Frau und Kinder-Pension vorgezeichnet. Abweichungen waren nicht vorgesehen, Alternativen schwer vorstellbar. Wer sich dafür stark machte, wurde zumindest mit Verachtung bestraft. Ich merkte bald, dass das nicht mein System war; dass ich darin fremd war – und damit allein. Ein tiefes Gefühl des Unverstandenseins bestimmte meine frühe Jugend.
Eine der wenigen Vorteile der Kleinstadt war ihre Übersichtlichkeit. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ich andere Menschen fand, die sich auch nur schwer anpassen konnten – mein Leben als Kleinstadtpunk begann.
Doch nicht nur ich, nicht nur wir veränderten uns. Auch die Stadt änderte sich – zumindest im Verhalten uns gegenüber. In dieser bleiernen Zeit war unsere simple Existenz, unsere sichtbare Andersartigkeit war eine Riesenprovokation. Wir waren das Zeichen dafür, dass nicht alles so rund lief in dieser Gesellschaft – etwas, was die anderen gerne verleugneten. Wir waren der Beweis dafür, dass es auch andere Wege gab. Uns war das damals so nicht bewusst. In Wirklichkeit waren wir ein paar naive und unwissende Jugendliche, die einen ziemlichen Aufstand auslösten. Dabei war das, was wir machten, anfangs ziemlich harmlos: Wir hörten alternative Musik (ursprünglich sogar eher selten Punk), diskutierten über Bücher und über unsere naiven Vorstellungen von Anarchie und Kommunismus. Ab und an schwänzten wir die Schule, hatten unseren ersten Rausch, rauchten die ersten Zigaretten und später auch die ersten Joints.
Meine Erinnerung an diese Zeit war geprägt von diesen kleinen Erforschungen und Erfahrungen. Dazu kam langsam die Erkenntnis, dass neben dieser kleinkarierten Stadt noch eine andere, eine aufregende, eine weite Welt gab.
Jedenfalls waren wir meilenweit davon entfernt, Aussätzige oder Erzfeinde zu sein, so wie uns die Stadt und die meiste ihrer Bewohner*innen bald behandelte. Gängig wurde die Beschimpfungen der Otto Normalbürger. Da wurde uns bei Dorffesten schon mal ein Aufenthalt in Auschwitz gewünscht. Polizeikontrollen wurde zur Routine und Strafen gab es für Nichtigkeiten. Und die Dorfnazis – korrekt muss es natürlich Kleinstadtnazis   schlugen zu. Bei denen gab es neben dem Gros der dumpfen Schläger gab es einen harten Kern, der ideologisch gefestigt und weit vernetzt war. In einem der Dörfer der Umgebung führte die nationale Elite einmal ihre Wehrsportübungen durch. Doch das hab ich erst später erfahren. Auf jeden Fall war da das Gefühl, dass sie den Volkswillen ausführten, wenn sie uns verprügelten. Die Nazis, das waren die, die brav arbeiten gingen, die gut angezogen waren, die anständig waren. Das Problem waren wir mit unserer kaputten Kleidung und mit unserer Unfähigkeit, uns in das Kleinstadtleben einzufügen. So wurden die Nazis ermuntert und wir zum Schweigen gebracht.
Natürlich ist diese Schilderung unfair. Es gab ein paar wenige Andere, die sich solidarisch verhielten, die sich durch unsere Andersartigkeit nicht bedroht fühlten.
Da gab es nette Mitschüler*innen, vereinzelt verständnisvolle Pädagog*innen und solidarische Nachbar*innen – sie bleiben aber doch die Ausnahme.
Es gab auch die „Türk*innen“ (ein blöder und inkorrekter Name, da sie genauso wie wir in der Kleinstadt gefangen waren), die gerade eben aufgehört hatten, Gastarbeiter*innen zu sein. Stattdessen eröffneten sie ein eigenes Cafe, das erste „ausländische“ Cafe in der Stadt – wichtige Schritte in Richtung Emanzipation. Wir waren dort gerne willkommen. Nicht willkommen waren die Nazis, die dennoch kamen und die Einrichtungen demolierten. Obwohl die Täter bekannt waren, kam es nie zu einem Prozess.
Auch die Gutmenschen katholischer Prägung sollten hier nicht vergessen werden. Sie wollten sich auch solidarisch zeigen. Doch sie glaubten, durch Reden alle Probleme lösen zu können. So kamen sie auf die glorreiche Idee, einen runden Tisch zu organisieren. Die Opfer der Gewalt sollten mit den Tätern reden. Und wir waren so naiv und haben mitgespielt. Wenig überraschend, dass das Ganze kein einziges Problem gelöst hatte, dass das Ganze eine riesiger Schlag ins Wasser war.
Auf den Gedanken der Gegenwehr kamen wir erst relativ spät. Es waren vor allem die jüngeren Punks, die sich nicht mehr alles gefallen ließen, die den Nazis handfest ihre Grenzen aufzeigten – manchmal Hand in Hand mit den „türkischen“ Jugendlichen. Hilfreich war sicher auch, dass in jenen späten Jahren die Nazis in ganz Deutschland und Österreich ihre Attraktivität verloren hatten, ihr Zulauf wurde geringer. So endeten die Baseballschlaegerjahre in dieser bleiernen Kleinstadt.
Für mich hörten sie anders auf: ich verließ die Stadt, sobald sich die Möglichkeit ergab. Das Versprechen, nicht klüger zu werden, nicht in ihrem Sinne, das habe ich bis heute gehalten. Bis heute bin ich antifaschistisch aktiv. Ich kämpfe für eine Welt, die für die Nazis ein Graus ist: Eine solidarische Gesellschaft, in der ALLE in Würde leben können.

Hirtenberger: Kein Ende der Waffenproduktion

Im Sommer gab die niederösterreichische Waffenfirma Hirtenberger bekannt, dass sie sich aus dem Rüstungsgeschäft zurückziehen zu wollen. Ich schrieb darauf einen längeren Artikel , in dem ich die Geschichte des Unternehmens sowie die antimilitaristischen Kämpfe dagegen, darlegte.
Wie sich nun herausstellte, war die Freude über das Ende der Waffenproduktion zu früh. Diese Sparte wurde an den ungarischen Staat verkauft. Der Standort selbst wird nicht angetastet, eher im Gegenteil. Zu den bisherigen ca. 85 Arbeiter*innen werden noch ein paar ungarische Ingenieur*innen dazu kommen. Die ungarische Seite freut sich übrigens, mit dem Kauf einen Wissensrückstand von 5 Jahren aufzuholen….

Happy Birthday, OstBlackBlock!


Heute vor genau 30 Jahren gab in Berlin einen ziemlichen Rummel. Es war der Herbst ’89, und in der DDR kam Bewegung auf. Das “Neue Forum” und verschiedene Künstler*innen riefen zu einer Demonstration für Meinungfreiheit und gegen Zensur und Repression auf. Mit mehr als einer halben Million Menschen auf der Straße sollte es die größte staatsunabhängige Aktion der DDR werden. Doch das war nicht der einzige Rekord: Zum ersten Mal gab es einen eigenen linksradikalen Block – die Geburtsstunde des OstBlackBlock! Wobei, Aktionen von Anarchist*innen, Ostautonomen und Punx gab es auch schon früher.

Interesannt ist eine der Forderung: Gebt die Bücher von Bakunin und Mühsam frei! Ein paar Tage später fiel die Mauer, die Forderung hatte sich erledigt. So schnell kann sich der Wind drehen, wenn die Sachen in Bewegung kommen! Das Ende der Geschichte dürfte bekannt sein: Auf einen kurzen Sommer der Anarchie folgte die wesetdeutsche, kapitalistische Einverleibung inkl. Neoliberalismus, Nationalismus,Rassismus. Doch damals war zumindest für eine kurzen Augenblick noch alles offen. Und haargenau diese Offenheit sollen wir in Erinnerung behalten.

P.S.: Zwei der Fotos kommen von Günter Blutke . Auf seiner Website findet sich auch ein Text zu diesem 4.November. Auch andere seiner Fotos sind durchewgs sehenswert. Das erste Photo stammt vom telegraph . Sie haben gerade eine lesenswerte Sondernummer zum Thema “30 Jahre Wende” rausgebracht. Darin sprechen sie passenderweise von einer “friedlich gescheiterten Revolution”.

Riot Porn

Momentan sind ja goldenen Zeiten des Riot Porns. An vielen Orten kracht es ganz gewaltig. Barcleona, Hong Kong, Paris in der sogenannten Ersten Welt, dazu Aufstände in Santiago und Beirut in der sogenannten Dritten Welt, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Ein paar Gedanken meinerseits dazu:

Die politischen Hintergründe sind sehr unterschiedlich. Ein Riot ist nicht per se emanzipatorisch oder revolutionär. Und doch, bei manchen Diskussionen stört mich die Absolutheit, die Schwarz-Weiß-Malerei, die manche Linke dabei an den Tag legen. Sie schwenken zwischen Verdammung und Revolutionsromantik hin und her. Dass Problem bei dieser Sichtweise: Es gehen die Veränderungen, die Möglichkeiten und Gefahren, sowie die inneren Widersprüche verloren.

Ein paar Sachen werden so und so unsichtbar, wenn wir gebannt auf die brennenden Barrikaden, auf die Steine und Mollies sowie auf die Wasserwerfer und Knüppel auf der anderen Seite schauen. Ein Riot entsteht nicht im luftleeren Raum. Es braucht viel Vorarbeit, selbst bei spontanen Riots. Hunderte von Gesprächen, von mühsamen Diskussionen, Träume von einer anderen Welt, die mit anderen geteilt werden, Unsicherheiten und Ängste, die gemeinsam überwunden werden; sind notwendig. Genauso braucht es ganz praktische Dinge: Sich um die Verhaftete und Verletzte kümmern, sich um Familie, um die Kinder kümmern, etc. Das wird auf den Photos und Videos, auf die wir gebannt schauen, nicht sichtbar. Wir sollten es aber nicht vergessen.

Und schlussendlich das wichtigste: Es gibt eine Message, die praktisch alle Riot Porns senden: Die Dinge sind veränderbar, und wir können sie verändern. Normalerweise schauen wir ohnmächtig zu, wie sich das Machtverhältnis noch mehr in Richtung Macht und Reichtum verändert; wie Nationalismus und Rassismus bedient werden, um falsche Einheiten herzustellen; wie Polizei und Militär aufgerüstet werden, die Repression zunimmt, die Schnüffler*innen im staatlichen Auftrag mehr Rechte und Möglichkeiten bekommen, etc. Da ist es durchwegs schön zu sehen, dass zumindest in manchen Situationen das alles nichts hilft. Die Räumung des Hambacher Forts genauso wie der La ZAD ging phänomenal schief. Die Gilet Jaunes sind weiterhin unterwegs und von Zeit zu Zeit gelingt ihnen spektakuläre Aktionen wie die Besetzung eines Einkaufszentrums. Auch hier ging die polizeiliche Räumung ordentlich in die Hose. In Hong Kong hat der Staat keinen Plan, wie er mit der militanten Protestbewegung umgehen soll. In Algerien und Sudan führten Proteste sogar zum Sturz von Regierungen.

In diesem Sinne: Lassen wir uns von den Riot Porns anstecken! Es liegt an uns!
Ein kleines Lied hab ich dazu:
https://www.youtube.com/watch?v=6hJ-fjQhCYQ

Kritik an der neuen Klimabewegung

Mometan gibt es einiges an Kritik an Extinction Rebellion. Vor allem ihr Begriff von Gewalt bzw. Gewaltfreiheit stösst vielen sauer auf. XR sieht sich selbst als strikt gewaltfrei, was prinzipiell zu begrüsen ist. Allerdings sind für sie schon das Rufen mancher Parolen oder das Sprayen von Grafittis schon Gewalt, während Aktionen der Polizei nicht thematisiert werden. Sie haben also eine strikte Definition bei persönlicher Gewalt, während andererseits strukturelle Gewalt ausgeblendet wird.

Meiner Meining nach müsste aber die Kritik umfassender sein, und einen Großteil der neuen Klimabewegung umfassen. Da gibt es einiges, was mir fragwürdig erscheint.

Fangen wir mit dem Personenkult rund um Greta Thurnberg an. Ohne Frage sind die Aktionen und Reden von ihr inspirierend. Aber: Der Kampf um die Umwelt, gegen den Klimawandel lässt sich nicht auf eine Person festschreiben. Er muss von (möglichst) und allen geführt werden. Deswegen stösst mit der Personenkult auer auf – auch wenn daran eher die Medien mit ihrer ständigen Suche nach guten, verkaufbaren Stories als der Aktivist*innen auf der Strasse ist.

Es sind aber die meisten Aktivist*innen (FFF, XR,…), die Appelle an die Regierungen richten. Auch hier habe ich den Eindruck, als würde versucht werden, unsere Verantwortung abzuschieben. Außerdem glaub ich nicht, dass die Regierungen, selbst wenn sie wollten (ich glaub nicht, dass sie wollen), etwas ändern könnten. Zu klein ist ihr Spielraum, zu eng ist die Postdemokratie mit dem Kapitalismus verwachsen. Es liegt an uns, Sachen zu ändern.

Was mich gleich zum nächsten Punkt führt: ich vermiss tiefergehende Analysen, ich vermiss die wirtschaftliche Dimension, kurz gesagt, ich vermiss den Antikapitalismus. Viele geben sich radikal ohne dass sie das wirklich sind. Da gibt es natürlich innerhalb der Bewegung große Unterschiede, aber es ist doch weitverbreitet.

Und scließlich misstrau cih dem Endzeitszenario, das vielfach aufgbaut wird. Keine Frage, es wird in den nächsten Jahren große Veränderungen geben. Aber ich glaub, dass sich hinter dieser Lust an den apokalyptischen Visisonen versteckte und unhinterfragte Hierachiemuster finden. Beim Ruf „Feuer!“ funktionieren plötzlich Befehlsketten problemlos. Stattdessen brauchen wir kollektive Diskussions- und Aktionsprozesse, wo sich möglichst alle solidarisch beteiligen können.

…. und dann erchreck ich vor mir selbst. Gehör ich jetzt auch schon zu den alten Männers, die alles bessser wissen; die glauben, dass sie und nur sie den einzig richtigen Weg zur Revolution kennen. Über die mensch am besten Fal ll nur milde lächeln kann. Verorte ich mich nicht selbst innerhalb der antikapitalistischen sozialen Bewegungen? Jener politischen Strömug, die in den letzten 30 Jahren – mit wenigen Ausnahmen- in einer Dauerkrise steckt? Da mag ich andere Menschen belehren? War ich nicht immer der Meinung, dass schwimmen nur die lernen können, die ins Wasser springen? Genoss ich nicht die Stimmung bei den Demos? Sebst wenn es nur langweilige Latschdemos waren, war da nicht einiges an Energie da? Und war da nicht das Gefühl, dass da was Neues, Spannendes entsteht – oder zumindest entstehen kann?+

Das ändert nichts an meiner Kritik. Sie soll so aber in die richtigen Relation gebracht werden. Ich bin ichts als ein kleiner Wicht. Ich nehm für mich das Recht in Anspruch, auch mal ordentlich daneben zu liegen – und ich gesteh auch anderen dieses Recht auf Fehler gerne zu . Das ist wichtig. Denn die Klimabewegung lebt nicht nur von Aktionen, sondern genauso von Theorie, von Reflexion und von Diskussionen. Und wenn wir es schaffen, die nicht vollkommen arsch – zu gestalten, sondern so, dass es Lust macht, sie zu führen, dass es im besten Fall allen einen Ereknntnisgewinn bringen kann, dann , ja dann kann wirklich was Großes geschehen: Eine solidarische und genießbare Bewegung, die wirklich was ändern kann!

P.S. Ich wurde auf einen älteren Artikel in der Graswurzelrevolution aufmerksam gemacht. Ähnliche Diskussionen und Probleme gab es schon früher:

https://www.graswurzel.net/gwr/1997/09/ausgrenzungs-prozesse/

Dieser Vice-Artikel bietet eine Kritik mit Ansicht von innen an:
https://www.vice.com/en_uk/article/59nq3b/extinction-rebellion-tube-disruption-criticism

Die Rückkehr zur Normalität

Der Sommer ist immer ein Stück weit Ausnahmezustand. Das Leben, die Stadt, der Tag und die Nacht – alles funktioniert etwas anders als normal. Doch jetzt sind die Nächte schon wieder länger als die Tage und eine deprimierende Rückkehr zur Normalität hat eingesetzt. Am deutlichsten hat das wohl die Nationalratswahl mit einem zu erwartendem desaströsen Ergebnis zum Ausdruck gebracht. Das schlimmste an der Sache ist, dass der Glaube an Parteien, und dass sie mehr ändern können, bis tief in die linke Szene reinreicht. Im gleichen Maß sinkt das Vertrauen darauf, dass Menschen selbst, in sozialen Bewegungen und durch Aktionen auf der Straße was bewegen könnn. So ist es wenig verwunderlich, dass die Demos in der Zeit, die dank Normalität auch wieder begannen, vor der Wahl stark von Parteien und ihrer Werbung geprägt waren. Am schlimmsten war die Demo „Nie wieder Schwarz-Blau!“ des Bündnisses für eine menschliche Asylpolitik am 21. September. Es war de facto eine gemeinsame Parteiveranstaltung der Oppositionsparteien, an der ca. 3000 Menschen teilnahmen. Auch beim „Earth Strike“ im Rahmen des Friday for Future waren Politiker*innen und Parteien stark vertreten. Doch da hier ca. 30.000 Menschen teilnahmen, wurde die Außenwirkung nicht so stark von Parteien dominiert. FFF brachte übrigens auch Normalität in die Sommermonate, indem sie Woche für Woche kleinere Aktionen machten.
Im Gegensatz dazu machte die Donnerstagsdemo eine Sommerpause. Und sie schaffte den Weg zurück zur Normalität nicht wirklich. Bei der 1. Herbstdemo am 12. September nahmen immerhin noch ca. 2000 Menschen teil. Es war eine Sterndemo mit verschiedenen Aktionsformen radelnd, tanzend, und hatschend wurde zum Ballhausplatz demonstriert. Bei der nächsten Demo am 3. Oktober waren es aber nicht einmal noch 500 Menschen.
Zur Normalität gehört in der Zwischenzeit auch der allherbstliche rechtsextreme Aufmarsch am Kahlenberg durch die Identitäre Bewegung, um die Befreiung von den Osmanen 1683 zu feiern. Dieses gelang es der Gegendemo am 7. September, den Marsch zu blockieren. Die Identitären wichen auch die Innenstadt. Doch auch dort kam es zu kleineren Protesten.
Ein Ausblick: Die Antiregierungs-Aktionen werden wahrscheinlich in nächster Zeit einschlafen. Sollte es zu einer Neuauflage von Schwarz-Blau kommen, werden sie wieder aufwachen. Sollte die neue Regierung, sollte die neue Unterdrückung schwarz-grün werden, wird es wohl mit diesem Widerstand vorbei sein. Die Klimaaktionen werden weiter gehen und werden wahrscheinlich DAS bestimmende Thema der Straße in der nächsten Zeit sein. Sie orientieren sich auch stärker an einer internationale Protestchoreographie, weniger an innenpolitische Entscheidungen. So war nicht nur der „Earth Strike“ ein internationales Ereignis, sondern auch eine Aktionswoche von Extinction Rebellion. In Wien wurde am 7. Oktober von ca. 150 Menschen die Kreuzung MaHü//Zweierlinie besetzt. Am selben Tag stand ein Aktivist, der Opfer der Polizeigewalt bei der letzten Aktion zivilen Ungehorsams wurde, vor Gericht. Er wurde freigesprochen. Ein weiterer Demoschwerpunkt wird die Solidarität mit Rojava bzw. der Protest gegen den türkischen Angriffskrieg sein. Es gab in den letzte zwei Tagen bereits Spontandemos, an denen bis zu 1000 Menschen teilnehmen. Auch für die nächsten Tage sind Kundgebungen geplant.
Hier am Blog wird ebenfalls wieder Normalität einziehen. Die Sommerpause ist vorbei, es werden wieder mehr oder weniger neue Berichte erscheinen. Der versprochene längere Artikel über das Verhältnis Linke-Proletariat braucht länger als gedacht, und wird noch etwas auf sich warten lassen. In der Zwischenzeit wird es ganz unterschiedliche, kürzere Sachen geben.
In diesem Sinne: Wir sehen uns auf den Barrikaden!

Wut am Bau

Die folgende Geschichte über einen Bauarbeiter, der, nachdem er um den Lohn geprellt worden ist, das Haus, das er gebaut hat, einfach wieder einreißt, ist sehr typisch, auch für Österreich. Krasse Geschichten, beispielsweise nach einem Unfall, den Schwerverletzten „abschieben“ anstatt ins Krankenhaus zu bringen, schlafen auf der Baustelle (die eben eine Baustelle und kein Dach über dem Kopf ist) oder eben den Lohn nicht auszahlen, sind nichts Ungewöhnliches.
Der Bericht zeigt aber auch die Probleme, warum sich Auftraggeber so Scheiße aufführen können: Zuwenig Solidarität, kein/zu wenig Zugang zum Rechtssystem, Angst vor Abschiebungen bei den Arbeiter*innen führen dazu, dass es viel zu wenig Widerstand gibt. Ein weiteres, ganz wichtiges Problem ist die fehlende Solidarität der Mehrheitsgesellschaft. Es sind ja nur Ausländer, meistens aus dem Osten mit dementsprechend hohen Alkoholkonsum, die stinken, die unangenehm sind. Außerdem profitieren wir ja von den billigen Bauarbeiter*innen, Putzmänner/-frauen, Sexarbeiter*innen, … Deswegen schauen wir besser nicht so genau hin. Deswegen verschwinden die wenigen Zeitungsberichte, die über die Arbeitsbedingungen berichten, irgendwo unter ferner liefen. Und deswegen finde ich es wichtig, solche Geschichten weiterzuverbreiten. Die hier spielt in London und ist im Neuen Deutschland( bezeichnenderweise ist es dort unter der Rubrik Begegnungen erschienen) erschienenen.
ND: Wut am Bau (inkl. Photos)

Wut am Bau
Es beginnt mit zwei Rissen. Einer oberhalb des Fensters, einer in der Backsteinmauer unterhalb. Dann stürzt die Wand ein. Die Regenrinne fällt zu Boden, Balken brechen heraus, Mauersteine kullern auf den Boden. Bis hierhin sind gerade einmal zehn Sekunden vergangen. Die Schaufel des türkisfarbenen Baggers setzt erneut an. Sie schlägt gegen die Fenster, setzt am Dachgeschoss an, reißt dann die Fenster im Ganzen heraus. Die Kamera schwenkt eine Straße entlang, nimmt fertige und halb fertige Häuser ins Visier. Zeitweise ist eine Stimme zu hören. Ein Mann, offenbar der Filmende, sagt: »Du musst es genau so niederreißen, wie du es auch gebaut hast.« Und weiter: »Das ist, weil du mich nicht bezahlt hast. Mich und meine Jungs. Das hier sollte dir eine Lehre sein.«

Es ist ein Jahr her, dass der Bauarbeiter Daniel Neagu, ein heute 31-jähriger Rumäne, mehrere Einfamilienhäuser in einem kleinen Ort nördlich von London zerstörte, die er gerade selbst gebaut hatte, und sich dabei filmte. Noch auf der Baustelle wurde er festgenommen. Im März dieses Jahres wurde das Urteil gesprochen: vier Jahre Haft.

Plötzlich um 15.000 Pfund ärmer
»Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe«, sagt Neagu heute. »Aber ich hatte keine andere Wahl.« Er steht zu dem, was er getan hat. Im Prozess plädierte er auf schuldig. Doch er ist auch selbst ein Opfer: Nach dem Job auf der Baustelle war er plötzlich um 15 000 Pfund ärmer.

Neagu sitzt seit seiner Festnahme im Gefängnis, seit Mai in Maidstone südlich von London. Die Ausländerquote hier liegt bei nahezu 100 Prozent. Die meisten Häftlinge werden nach Absitzen ihrer Strafe abgeschoben.

Der Besucherraum des Gefängnisses in Maidstone versucht, gemütlich zu wirken. Farbige Sessel sind zu Sitzgruppen angeordnet. Es gibt Kaffee und Kuchen. Etwa 20 Häftlinge sitzen auf den lilafarbenen Sesseln, die allesamt in Richtung Gästeeingang ausgerichtet sind. Die Männer tragen zivile Kleidung, Jeans und T-Shirt. Gemeinsam haben sie nur ein lilafarbenes Band, das sie wie Schärpen über einer Schulter tragen. Ihnen gegenüber stehen jeweils drei graue Plastiksessel, dazwischen ein Tisch. Die Besuchsregeln sind strikt, man darf nichts weiter mit hineinnehmen als 50 Pfund. Selbst Stift und Papier sind verboten. Von dem Geld können die Besucher an der Bar neben Kaffee und Kuchen Snacks und Cola kaufen. Daniel Neagu will nur schwarzen Kaffee.

Er spricht schnell und redet sich in Rage. Verwunderlich ist das nicht: Ein Kollege hatte ihn öffentlich beschimpft, ihn um seinen Lohn betrogen zu haben. Daraufhin hagelte es Drohungen – auch gegen seine Familie. Laut Neagu geht die Geschichte so: Er lebt seit 2015 in England, arbeitet seitdem auf dem Bau, hat auch ein eigenes kleines Unternehmen gegründet. Jim F. von der Firma Fenton rief ihn an und fragte, ob er einen Job übernehmen könne, er sei ihm empfohlen worden. Der Lohn war gut, höher als in der Baubranche üblich, samstags sollte es noch mehr Geld geben. F. fragte, ob er eine Gruppe von Arbeitern zusammentrommeln könne, um die Arbeit schneller zu schaffen. Das tat Neagu. Neun Stunden sollten sie am Tag arbeiten, meistens seien es elf gewesen. »Wir haben Überstunden gemacht, wir haben sonntags gearbeitet«, sagt Neagu. »Wach gehalten haben wir uns mit Kaffee und Red Bull.«

Zwei Wochen arbeiteten sie auf der Baustelle, hoben das Fundament aus, zogen Wände hoch, verlegten Gas-, Wasser- und Stromleitungen. Weil die Baustelle weit außerhalb von London lag, holte Neagu die Kolegen jeden Morgen mit einem Mini-Van an einem vereinbarten Ort ab und fuhr mit ihnen zur Baustelle. Am Ende der zweiten Woche sollte F. Neagu das Geld für die bisherige Arbeit für alle sechs Kollegen geben. Doch der Auftraggeber vertröstete ihn zunächst, er sei im Urlaub und könne ihn nicht treffen.

Das erzählte Neagu den anderen und stellte ihnen frei, am Montag überhaupt zur Arbeit zu kommen. So erzählt es jedenfalls Hafiz, ein junger Kollege, der mit Neagu auf der Baustelle gearbeitet hat. Seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. »Er war ehrlich zu mir«, sagt Hafiz.

Drei Wochen Arbeit ohne Lohn

Tatsächlich gab es auch nach der dritten Woche kein Geld. F. sagte zu Neagu, es gebe Probleme mit den Auszahlungen bei der Bank. Neagu bat ihn, doch wenigstens die Hälfte des Geldes zu zahlen. Das tat er nicht. Stattdessen beleidigte er ihn. »Er hat mich diskriminiert, mich einen Zigeuner geschimpft!«, erzählt Neagu ein Jahr später in Maidstone.

Einer der Kollegen, Valeriu P., wandte sich selbst an F. Der behauptete, er sei den Arbeitern nichts schuldig, Neagu habe das Geld selbst eingesackt. P. machte seinem Ärger nicht nur gegenüber Neagu Luft, sondern postete auch Warnungen in mehreren Facebook-Gruppen, die teils noch online zu finden sind. Darin warnte P. davor, für Neagu zu arbeiten und postete auch dessen Telefonnummer. Unter einem der Posts finden sich 51 Kommentare, einige davon offene Drohungen wie »Such seine Familie und seine Kinder, wenn er welche hat und brich ihnen Arme und Beine.«

Parallel versuchte Neagu, das Geld zusammenzubekommen, um die Kollegen, die er angeworben hatte, auszubezahlen. Einem vermachte er als Bezahlung sein Auto. Er leerte sein Bankkonto, trieb Schulden ein, die andere bei ihm hatten. Bis auf 300 Pfund habe er alle Löhne bezahlt. Auch Hafiz bestätigt, dass Neagu ihm seinen Lohn vollständig bezahlt hat.
Für die Zeit auf der Baustelle hatte F. Neagu einen Van zur Verfügung gestellt. Der Wagen war alt, sagt Neagu. Als er ein Rad wechseln musste, legte er das Geld dafür aus und bekam es nicht wieder. Als auch der Lohn ausblieb, fuhr Neagu mit dem Van bis nach Rumänien und versteckte ihn. Der Van steht da bis heute. Als »Anzahlung« für den Lohn, den F. ihm schuldet, sagt Neagu. In einem Zeitungsbericht erklärte ein Sprecher von Fenton, er habe Geld zurückgehalten, weil Neagu den Van entführt habe. Auf eine schriftliche Anfrage des »nd« antwortet Jim F. nicht. Auf telefonische Nachfrage sagte eine Mitarbeiterin: »Hier wird sich niemand zu der Sache äußern. Bitte rufen sie nicht wieder an.«

Für einen Anwalt fehlt ihm Geld

Neagu ging auch zur Polizei. Wegen des Geldes und wegen der Drohungen. Er wollte F. anzeigen. »Jim hat mein Leben in Gefahr gebracht!« Doch die Polizei nahm keine Anzeige auf. »Wenn es um einen Streitwert von über 5000 Pfund geht, braucht man auf jeden Fall einen Anwalt, wurde mir gesagt. Den konnte ich mir nicht leisten.« Neagu verließ die Wache. Enttäuscht. »Ich bin nur ein einfacher Arbeiter. Ich kenne meine Rechte in England nicht.«

Neagu traute sich kaum noch auf die Straße. Seine Adresse war bekannt, er dachte, gleich kommt jemand und verprügelt ihn. Als er auch noch Angst um seinen Vater bekam, wusste er nicht mehr weiter. Da fuhr er zur Baustelle. Fünf Häuser zerstörte er mit dem Bagger. Er nahm alles mit einer Headcam auf, »um Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeiten zu lenken, die Ausländern in England widerfahren«, sagt er später. Irgendjemand rief die Polizei. Noch auf der Baustelle wurde er verhaftet. Das Video gab er der Polizei.
Das Gericht beauftragte einen Pflichtverteidiger. Er habe ihm die ganze Geschichte erzählt, ihm die Screenshots von den Drohungen gegeben. Doch der Anwalt habe nichts davon vor Gericht zur Verteidigung seines Mandanten angeführt, sagt Neagu. Was ihn außerdem ärgert: »Ein Versicherungsschaden von vier Millionen Pfund ist übertrieben.« Diese Summe wurde in Medienberichten kolportiert. Später hieß es, jedes der fünf Häuser habe einen Wert von 425 000 bis 475 000 Pfund gehabt. Das erscheint ihm zu viel: »Ich habe die Häuser gebaut, ich weiß, was die Wert sind. Ich wollte, dass mein Verteidiger einen Gutachter beauftragt, um den Schaden zu ermessen, doch das wurde nicht gemacht.«

Dass er für seine Tat ins Gefängnis muss, ist für Neagu keine Frage. Aber die Haftzeit kommt ihm vergleichsweise lang vor. Er erzählt von einem Mitgefangenen, der regelmäßig Bankautomaten geknackt hat – und zum wiederholten Mal im Gefängnis sitzt. Für vier Jahre, wie Neagu. »Es ist das erste Mal, dass ich das Gesetz gebrochen habe. Ich habe mir nie zuvor etwas zu Schulden kommen lassen. Ich habe immer meine Steuern und meine Rechnungen gezahlt.«

Bei guter Führung wird die Haftzeit halbiert. Dann hätte Neagu nur noch ein Jahr abzusitzen. Er geht davon aus, dann nach Rumänien abgeschoben zu werden. Das stört ihn nicht. Mit Großbritannien ist er fertig, lieber will er nach Italien zurück. Dort hatte er mehrere Jahre gelebt, bevor er zu seinen Eltern und seiner Schwester nach England ging. In Großbritannien verdiene man mehr, aber der Lebensunterhalt sei viel teurer. Und: »In Italien habe ich immer schnell Hilfe bekommen, wenn ich mal Ärger mit einem Auftraggeber hatte.« In Großbritannien hat er die nicht.

Und zum Abschluss gibt es noch ein paar Links zu ähnlichen Aktionen:
Mall Of Shame in Berlin
Baukranbesetzung in Bochum
UNDOK (die können in Wien zumindest manchmal helfen)

Die Rache des Sesselfurzers

Natürlich verfolge ich gespannt den Spesenskandal der FPÖ. Besonders fasziniert bin ich von der Figur des Bodyguards, der den Whistleblower spielt. Er gab die internen Infos weiter, veröffentlichte die Spesenrechnungen und zeigt so das Luxusleben des Chefs der einfachen Leute auf. Es ist vor allem seine Unauffälligkeit, die mich beeindruckt. Ich habe ihn sicher schon dutzende Male, wenn nicht noch öfters, im Fernsehen gesehen, doch aufgefallen ist er mir bislang noch nie. Er ist eines dieser unscheinbaren Rädchen im System, die die Welt – oder hier genauer gesagt die rassistische Politik der Partei- im Gange hält. Ohne sie, ohne die Kameraleute, die ihre hasserfüllten Messages einfangen, damit sie dann in die Welt hinausposaunt werden kann, ohne die Funktionär*innen, die sie in die Beisl und in die Wohnzimmer hineinkommt, ohne die Sicherheitsleute, die dafür sorgen, dass die Chefs zwar ihren Hass in die Welt spucken können; sie selbst aber nichts vom Hass der Welt abbekommen; ohne sie würde die rassitische Maschinerie dieser Partei nicht laufen.

Wahrscheinlich hatte es der Bodyguard gern gemacht. Wahrscheinlich gehörte er zu jener Spezies Mensch, die gern andere schlecht machen, damit er besser da steht. Er war Bulle, sogar bei der WEGA, er war Mitglied der FPÖ – da gehört das dazu. Eine kurze Internet-Recherche ergab, dass er vor vielen, vielen Jahren ein Skandälchen involvoert war. Er hatte mit einer Gruppe FPÖ-Securitys Maturant*innen aus einem Heurigen geschmissen und mit „Nüttchen“ und „kleine Schwänzchen“ beschimpft. Grund: Die Maturant*innen hatten die sexuell eindeutigen Avancen des Chefs abgelehnt. Später, 2015, sprach er sich für einen bewaffneten Bundesheereinsatz gegen Refugees aus. Nichts Auffälliges in der FPÖ-Welt (und nicht nur dort). Es zeigt aber schön, wie sehr der Bodyguard das Prinzip „Nach Oben buckeln, nach Unten treten“ verinnerlicht hatte. Er wurde dafür auch belohnt und bekam einen Posten in der Bezirksvertretung. Dort trat er nicht groß in Erscheinung.
Insgesamt ergibt sich das Bild eines Sesselfurzers; zwar eine sportliche Version davon, aber dennoch ein Sesselfurzer. Er interessierte sich wenig für die Folgen seines Handelns, dafür umso mehr für seine eigene kleine Welt. Dadurch konnte er gut seine Rolle in der als Sicherheitsfachmann, als kleines Rädchen, in der Parteibürokratie spielen.

Was führte zum Umdenken? Was führte dazu, dass er jetzt seinen Chef ans Messer lieferte? Darüber kann nur spekuliert werden. In den Medien ist von einer schweren Krankheit die Rede und dass der Chef ihm danach nicht mehr den gleichen Job geben wollte. Hatte er die Nachteile von „Nach oben buckeln, nach unten treten“ gespürt? Er reißt sich für den Chef den Arsch auf, der lässt ihn wie eine heiße Kartoffel fallen? Führte das zu einem Umdenken? Oder hatte er gesehen, dass die markigen Sprüche von Treue, Kameradschaft nur hohler Schein sind? Glaubte er, dass er da mitspielen kann? Oder wollte er zumindest den Unterschied zwischen Schein und Sein nutzen, um seinen eigenen Preis in die Höhe treiben? Möglicherweise war es eine Mischung, eher eine diffuse Gefühlslage als klare, rationale Gedanken.

Er hatte sich verspekuliert. Er hatte zwar seinen Chef abgesägt – aber sich selber gleich mit dazu. Anders als gewohnt musste er nicht andere verhaften, sondern wurde selbst verhaftet, und musste sogar zwei Nächte im Knast bleiben. Doch wie es auch immer war, eines ist klar: Die internen Infos weitergeben, die Spesenabrechnungen, das Luxusleben des Chefs der einfachen Leute aufzeigen – dieser Akt, das war die Rache eines Sesselklebers.