Die Baseballschlaegerjahre eines Kleinstadtpunx

Die #Baseballschlaergerjahre gab es nicht nur im Osten. Auch meine Jugend in einer Kleinstadt tief im Westen waren geprägt von rechter Gewalt; von Nazis, die glaubten, einen Volkswillen auszuführen, wenn sie Punx und Migarnt*innen schlug; und von einem Kleinstadtvolk, dass die Nazis vielfach darin bestärkte. Das hier ist mein Bericht, die Erinnerung eines Kleinstadtpunx an die Baseballschlaegerjahre.

Ich schwor mir, dass ich niemals klüger werde würde. Es war einer der üblichen Abende in der Kleinstadt. Sich die Langweile wegsaufen im einzigen alternativen Pub. Auf dem Weg nach Hause traf ich sie. Es hagelte die üblichen Schmähungen und Drohungen. Dann, ohne Vorwarnung, setzte es Tritte und Schläge. Als der Spuk vorbei war, spielte sich einer der Nazis als Oberlehrer auf: „Wir werden dich so lange schlagen, bis du endlich gescheiter wirst!“ Nein, niemals, schwor ich mir, wenn ich auch nur einen Funken Selbstachtung behalten möchte, würde ich da nicht mitspielen.
Schläger als Pädagogen, das war neu. Früher waren es höchstens umgekehrt: Pädagogen waren Schläger. Es wr eine einfache Rechnung: Gewalt war ein Bestandteil der Nazis, und die Nazis waren ein Bestandteil der Stadt. Wenige hatten da was dagegen.
Denn die Atmosphäre dort war geprägt von einer bleiernen Normalität. Das Leben war mit Schule-Arbeit-Frau und Kinder-Pension vorgezeichnet. Abweichungen waren nicht vorgesehen, Alternativen schwer vorstellbar. Wer sich dafür stark machte, wurde zumindest mit Verachtung bestraft. Ich merkte bald, dass das nicht mein System war; dass ich darin fremd war – und damit allein. Ein tiefes Gefühl des Unverstandenseins bestimmte meine frühe Jugend.
Eine der wenigen Vorteile der Kleinstadt war ihre Übersichtlichkeit. So war es nur eine Frage der Zeit, bis ich andere Menschen fand, die sich auch nur schwer anpassen konnten – mein Leben als Kleinstadtpunk begann.
Doch nicht nur ich, nicht nur wir veränderten uns. Auch die Stadt änderte sich – zumindest im Verhalten uns gegenüber. In dieser bleiernen Zeit war unsere simple Existenz, unsere sichtbare Andersartigkeit war eine Riesenprovokation. Wir waren das Zeichen dafür, dass nicht alles so rund lief in dieser Gesellschaft – etwas, was die anderen gerne verleugneten. Wir waren der Beweis dafür, dass es auch andere Wege gab. Uns war das damals so nicht bewusst. In Wirklichkeit waren wir ein paar naive und unwissende Jugendliche, die einen ziemlichen Aufstand auslösten. Dabei war das, was wir machten, anfangs ziemlich harmlos: Wir hörten alternative Musik (ursprünglich sogar eher selten Punk), diskutierten über Bücher und über unsere naiven Vorstellungen von Anarchie und Kommunismus. Ab und an schwänzten wir die Schule, hatten unseren ersten Rausch, rauchten die ersten Zigaretten und später auch die ersten Joints.
Meine Erinnerung an diese Zeit war geprägt von diesen kleinen Erforschungen und Erfahrungen. Dazu kam langsam die Erkenntnis, dass neben dieser kleinkarierten Stadt noch eine andere, eine aufregende, eine weite Welt gab.
Jedenfalls waren wir meilenweit davon entfernt, Aussätzige oder Erzfeinde zu sein, so wie uns die Stadt und die meiste ihrer Bewohner*innen bald behandelte. Gängig wurde die Beschimpfungen der Otto Normalbürger. Da wurde uns bei Dorffesten schon mal ein Aufenthalt in Auschwitz gewünscht. Polizeikontrollen wurde zur Routine und Strafen gab es für Nichtigkeiten. Und die Dorfnazis – korrekt muss es natürlich Kleinstadtnazis   schlugen zu. Bei denen gab es neben dem Gros der dumpfen Schläger gab es einen harten Kern, der ideologisch gefestigt und weit vernetzt war. In einem der Dörfer der Umgebung führte die nationale Elite einmal ihre Wehrsportübungen durch. Doch das hab ich erst später erfahren. Auf jeden Fall war da das Gefühl, dass sie den Volkswillen ausführten, wenn sie uns verprügelten. Die Nazis, das waren die, die brav arbeiten gingen, die gut angezogen waren, die anständig waren. Das Problem waren wir mit unserer kaputten Kleidung und mit unserer Unfähigkeit, uns in das Kleinstadtleben einzufügen. So wurden die Nazis ermuntert und wir zum Schweigen gebracht.
Natürlich ist diese Schilderung unfair. Es gab ein paar wenige Andere, die sich solidarisch verhielten, die sich durch unsere Andersartigkeit nicht bedroht fühlten.
Da gab es nette Mitschüler*innen, vereinzelt verständnisvolle Pädagog*innen und solidarische Nachbar*innen – sie bleiben aber doch die Ausnahme.
Es gab auch die „Türk*innen“ (ein blöder und inkorrekter Name, da sie genauso wie wir in der Kleinstadt gefangen waren), die gerade eben aufgehört hatten, Gastarbeiter*innen zu sein. Stattdessen eröffneten sie ein eigenes Cafe, das erste „ausländische“ Cafe in der Stadt – wichtige Schritte in Richtung Emanzipation. Wir waren dort gerne willkommen. Nicht willkommen waren die Nazis, die dennoch kamen und die Einrichtungen demolierten. Obwohl die Täter bekannt waren, kam es nie zu einem Prozess.
Auch die Gutmenschen katholischer Prägung sollten hier nicht vergessen werden. Sie wollten sich auch solidarisch zeigen. Doch sie glaubten, durch Reden alle Probleme lösen zu können. So kamen sie auf die glorreiche Idee, einen runden Tisch zu organisieren. Die Opfer der Gewalt sollten mit den Tätern reden. Und wir waren so naiv und haben mitgespielt. Wenig überraschend, dass das Ganze kein einziges Problem gelöst hatte, dass das Ganze eine riesiger Schlag ins Wasser war.
Auf den Gedanken der Gegenwehr kamen wir erst relativ spät. Es waren vor allem die jüngeren Punks, die sich nicht mehr alles gefallen ließen, die den Nazis handfest ihre Grenzen aufzeigten – manchmal Hand in Hand mit den „türkischen“ Jugendlichen. Hilfreich war sicher auch, dass in jenen späten Jahren die Nazis in ganz Deutschland und Österreich ihre Attraktivität verloren hatten, ihr Zulauf wurde geringer. So endeten die Baseballschlaegerjahre in dieser bleiernen Kleinstadt.
Für mich hörten sie anders auf: ich verließ die Stadt, sobald sich die Möglichkeit ergab. Das Versprechen, nicht klüger zu werden, nicht in ihrem Sinne, das habe ich bis heute gehalten. Bis heute bin ich antifaschistisch aktiv. Ich kämpfe für eine Welt, die für die Nazis ein Graus ist: Eine solidarische Gesellschaft, in der ALLE in Würde leben können.