Der Kaiser ist nackt!

Eine Masse in Angst, die sich nach einem Führer sehnt, trifft auf eine Regierung, die gar nicht gewillt ist, dieser autoritären Versuchung zu widerstehen, sondern sie als Chance sieht, ihre Macht auszubauen. So lässt sich die momentane politische Realität in Österreich zusammenfassen.

Diese Situation ist hochgefährlich, doch sie hat auch einen Hacken, ein Risiko für die Regierenden, eine Chance für uns, denen die Freiheit noch etwas wert ist: Die Regierenden wissen gar nicht so viel mehr als wir. Sie agieren genauso im Blindflug wie wir alle. Es ist ziemlich simpel: Das Wissen über den Virus ist gering, die letzten Versuche, eine Pandemie einzudämmen, sind gefühlt Ewigkeiten her. Dieser Moment, indem klar wird, dass der Kaiser nackt ist, hat ein ziemlich revolutionäres Potential.

Heute gab es einen kleinen Vorgeschmack: Der Vorschlag des Kanzlers, dass die Gastronomie wieder öffnen könne, wenn alle eine Maske tragen, zeigt hervorragend, wie nackt die Regierung ist!

Update: Natürlich hat unser Gotteskanzler sich berichtigt. Er meinte, nur das Personal müsse Masken tragen. Er hat ja die schönsten Kleider an. Doch schon am nächsten Tag sahen wir ihn schon wieder nackt: Dienstleistungen wie Haarescheniden, Massagen und Fußpflege werden ab 15.Mai erlaubt. Nur muss hier ein Abstand von mindestens 1 Meter gehalten werden.

Schrittweise Rückkehr zur normalen Ausnahmesituation

Ich hab ja ordentlich mit der Ausgangssperre zu kämpfen -wer nicht?- und freu mich schon sehr , wenn dieser Scheiß vorbei ist.

Aber auch die Diskussion um das Ende bzw. die Lockerung der Maßnahmen geht mir langsam aber sicher auf den Keks. Denn da ist kein Wort von den Depressiven die Rede, die die Situation jetzt mehr länger aushalten. Da wird nicht von meiner Nachbarin mit ihren Panikattacken gesprochen, nicht von den Kindern, die schon fast durchdrehen, weil sie drei Wochen ihre Freund*innen nicht gesehen haben. Die Zunahme an häuslicher Gewalt wird selten thematisiert. Und unsere Sehnsucht nach Freiheit, nach Nähe, nach Zärtlichkeit, Freund*innen wieder ins Auge sehen können, das fällt ganz unterm Tisch. Alles, was in dieser Diskussion zählt, ist die Wirtschaft. Der Rubel soll wieder rollen.

Und so kam es auch. Der große Plan, der sich schrittweise Rückkehr zur Normalität nennt, bringt für uns nur Verschärfungen. Die Ausgangssperre wurde bis Ende April verlängert. Dazu kommt die schrittweise Einführung einer Maskenpflicht; in den Supermärkten ist es schon in Kraft, dann kommen die Öffis dran, und schlussendlich der ganze öffentliche Rau, Keine Maskenpflicht gibt es dort, wo es wirklich notwendig wäre, in den Pflegeheimen etwa. Nicht einmal in den Krankenhäuser gibt es genug Masken. Wozu auch, denn die Schutzmasken, die dort gebraucht werden, landen jetzt in den Mistkübel vor den Supermärkten.

Ähnlich sinnbefreit ist ein anderer Erlass, der besonders gefährdete Menschen schützen soll, in dem es für sie Home-Office oder Dienstfreistellungen geben soll. Nur blöderweise wurden „systemrelevante Bereiche“ explizit ausgenommen – also genau jene Orte, wo es das größte Ansteckungsrisiko gibt! Immerhin kommt die verpflichtende Überwachungsapp nicht – zumindest vorerst nicht. Mein Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung ist nicht besonders groß.

Die Normalität, von der sie reden, das ist die Rückkehr des Konsums, das Wiederankurbeln der Wirtschaft. Wir haben darin nur Platz als Produzent*innen und Konsument*innen. Wenn die Geschäfte wieder öffnen werden, wenn manche von uns zurück in die Firma müssen, haben aber die Schulen und Kindergärten noch nicht offen, nur ein Notbetrieb läuft. Wie sich das ausgehen soll, das bleibt den Eltern überlassen.

Das sind keine Ausrutscher, das Ganze hat System. Für Politik und Wirtschaft sind wir nur Zahlenmaterial, nur Statistik. Im Ausnahmezustand der Corona-Pandemie zählen wir nur als Infizierte, Genesene, Tote. Bei der sogenannten Rückkehr zur Normalität ändern sich zwar die Parameter, Zahlenmaterial bleiben wir aber trotzdem: Kaufkraft, Stundenlohn und Produktionsfaktoren. Unsere Hoffnungen, unsere Träume, unsere Ängste, unsere Verletzbarkeiten und unsere Beziehungen passen da nicht hinein. Zahlen sind hin- herschiebbar, mit uns funktioniert das nicht so einfach. Zahlen sind überschaubar, bewältigbar – eine schöne Illusion in diesen Zeiten. Mit den mathematischen Modellberechnungen soll nicht nur die Pandemie, mit den wirtschaftlichen Parameter soll nicht nur die Krise beherrscht werden, sondern auch wir selbst.

Wir sind aber mehr als Zahlen. Und unsere Leidenschaft, unsere Lebenslust und auch unsere Wut wird sich nicht auf ewig zurückhalten lassen.

Den Hoteliers verpflichtet

Eine Maßnahme, die am Montag verkündet wurde, überraschte. Es wurde die behördliche Schließung aller Hotels angeordnet. Der Sinn erschließt sich nicht sofort, denn die Grenzen sind ja so und so zu, es gibt Ausgangssperre, einen Tourismus gibt es momentan nicht. Wenn aber Hotels behördlich geschlossen werden, haben diese ein Anrecht auf Entschädigung, andernfalls müssten sie anders zur staatlichen Kohle kommen. Die Regierung fühlt sich jedenfalls den Hoteliers verpflichtet. Vielleicht ist es ein Dank für den Tiroler Wintersport, der ja bekanntlich Corona so richtig in Europa exportiert hat. Ich bringe hier einen Thread von Jonathan Nauser, der die Ausgangssperre in Österreich mit den Vorfällen in Tirol in Verbindung setzt, und vor allem die Versuche, das ganze medial zuzudecken. Twitter ist leider viel zu kurzlebig für Dokumentationen:

Das Versagen in Ischgl und das Krisenmanagement der österreichischen Regierung ist nur die halbe Geschichte.
Die andere Hälfte ist die Krisenkommunikation und der Schaden, den sie verursacht (hat).

Das treibt mich seit einer Woche um und wird ein langer Thread.

Am 7. März 2020 riegeln BK #Kurz und BM #Nehammer die Grenze nach #Italien ab. Auch zwei Tage nach der #Corona-Warnung aus Island scheint das noch eine geeignete Strategie. Am selben Tag wird ein Barmann positiv getestet und eine Woche später steht ganz Österreich komplett still.

Am 13. März hat Österreich komplett in den Krisenmodus geschaltet. #Lockdown, #Ausgangssperre, Zivildiener werden eingezogen, Wien baut ein Notspital in der Messe, Bundesheer, Grenzen zu, die Tiroler Gemeinden werden einzeln unter #Quarantäne gestellt.

Offensichtlich bereitet sich alles auf eine Riesenwelle vor. Krisenmanagement wird gelobt. Das entschlossene Handeln auf die eigenen Fahnen geheftet. Aber die Regierung sagt nicht, warum das so plötzlich nötig wird. Notfallpläne werden ausgelöst, aber niemand erklärt warum genau.

#Ischgl und St.Anton werden unter Quarantäne gestellt, zugleich werden Personal und Gäste (mind. 20.000 Menschen) rausgeworfen und die gesamte Idee hinter einer Quarantäne ad absurdum geführt. Gäste übernachten in anderen Hotels, reisen dicht gedrängt in Flugzeugen, Bussen heim.

Auch wenn man einen Zettel unterschreiben lässt: wenn man nach Hause darf, kann es nicht so schlimm sein. Auf dem Zettel ist keine Warnung vermerkt, keine Hinweise, wieviele Ansteckungen es in #Ischgl gab. Und vor allem: Wie hoch das Risiko einer Infektion war.

In Tirol wird der Ausnahmezustand verhängt. Alle Gemeinden werden getrennt unter Quarantäne gestellt. Eine verschärfte Maßnahme, die offensichtlich versucht, eine Ausbreitung durch Gemeindedomino in Tirol zu bremsen. Auch hier wird der Grund im Dunkeln gelassen.

Die Regierung ruft Tirolheimkehrer und klare Begründung zur freiwilligen Heimquarantäne auf. Samstag und Sonntag tauchen dann die ersten Berichte in Medien auf und es dämmert: Die Zahlen aus Skandinavien, die überhörten Warnungen und die Häufung der Fälle aus #Ischgl.

Am 9. März war schon klar, dass es in #Ischgl ein Problem gibt. Die SMS von Hörl macht deutlich, dass man es nur lokal begrenzt sah.

Aber irgendwann zwischen 10. und 13. März gab es einen Moment, wo jemand in Wien mal 1 und 1 vorrechnete, dass die Saison jetzt enden muss.

In dem Briefing könnten die Zahlen von Norwegen vorgekommen sein und eine simple Rechnung: Norwegen hat 377 Fälle aus Ischgl, macht aber nur 1,5% der Gäste aus. Wieviele Fälle kann das für Österreich bzw. Deutschland (50% der Gäste) bedeuten?

Die Antwort: Tausende.

Tausende, die schon seit einer Woche zuhause und in der Arbeit saßen und wer weiß wieviele angesteckt haben. Tausende, die sich in diesem Moment anstecken. Unter dem Radar in ganz Ö und D.

Ich wette, dass sinngemäß die Formulierung »unkontrollierbarer Ausbruch« gefallen ist.

Das ist die Realität, die sich jetzt abzeichnet. Der #Corona-Ausbruch in #Tirol hat heute einen höheres Verhältnis Fälle pro Mio Einwohner als die Lombardei. Trotz Ausgangssperre. Das ist die Welle, auf die sich die Regierung seit letzter Woche vorbereitet aber nicht benennt.

In Deutschland war die Prognose am 7. März auf 12.800 Fällen Ende März, schon am 21. März waren es 20.000 Fälle. Die Mehrzahl der neuen Fälle kam aus #Tirol, ganze Reisegruppen waren zu 80% infiziert. Gemessen daran sind 5000 Rückkehrer mit #Corona eine konservative Schätzung.

Diese Entwicklung lag als Prognose wahrscheinlich schon am 12. März 2020 beim Krisenstab in etwa so auf dem Tisch: »Unkontrollierte Ansteckung in ganz Ö mit einer Woche Vorsprung«. Das ließ keine Wahl. Es gab nur mehr den Lockdown, um den explosionartigen Ausbruch zu verhindern.

Das Krisenmanagement und die Regierung wird völlig zu Recht gelobt. Hier wurden große Entscheidungen schnell gefällt und umgesetzt.
Aber gleichzeitig wird alles unternommen, um die Fehler auszublenden. Es wird penibelst vermieden, die Ursachen und Risiken klar zu benennen.

Den Touristen aus der Quarantäne war das Risiko nicht bewusst. Wurden die Länder der Rückkehrer vor dem Risiko gewarnt? Wurde die Reisebusse gewarnt? Die Fluglinien? Die Hotels vor Ort oder sonst wo in Tirol? Wurde die Bevölkerung in Österreich vor dem Risiko gewarnt?

Das wäre notwendig gewesen. Die Situation ungeschönt beschreiben, um andere zu schützen und das Problem lösen zu können. Aber dazu muss man Fehler – die jedem passieren können – eingestehen.

Genau das zu vermeiden ist gerade Hauptaufgabe von #Kurz‘ Kommunikationsteam.

Die #MessageControl versucht sehr bewusst zwei Dinge von Sebastian #Kurz fernzuhalten: die Realität des unkontrollierten #Corona-Ausbruchs und das Ausmaß in dem #Ischgl für ganz Europa Brandbeschleuniger war.

Dafür nimmt man einiges in Kauf:

So laufen die Lifte noch bis Montag. Deswegen gehen die Leute bis Mittwoch noch schön auf die Straße und in Parks. Weil die Regierung nicht über das reale Ausmaß der Bedrohung spricht. Nicht erklärt, dass sich Corona überall in Ö so verteilt hat, dass jeder sich anstecken kann.

Deswegen werden aus den Quarantäne-Orte tausende mögliche Infizierte über Europa verteilt, ohne ein Wort der Warnung von #Kurz.
Das Ausmaß und die Gefahr, die von #Ischgl ausging, haben Journalisten aufgedeckt. Wenn es nach Kurz ging, wär es unter dem Radar geblieben.

Österreich bleibt weitgehend im Dunklen. Die Inszenierung der Notmaßnahmen soll überdecken – und schafft das im Moment erfolgreich – weshalb diese Maßnahmen überhaupt nötig wurden: weil der Ausbruch in #Ischgl außer Kontrolle geriet, während #Kurz noch Grenzen sperrte.

Aus dem Land, dem in einer Gemeinde #Corona so völlig entglitten ist und womöglich am meisten Fälle in ganz Europa exportiert hat, dass es alles abriegeln muss, wird das Land mit der entschlossensten Führung. Mit der Hoffnung, dass »uns andere folgen werden« (O-Ton #Kurz).

Hier wird es besonders widerlich. In seinem deutschen Haus-und-Hof-Blatt #Bild lässt sich #Kurz per »So einen brauchen wir auch« gegenüber #Merkel zum durchsetzungsstarken Macher stilisieren, nachdem er ihr gerade ohne Warnung ein tausend Fälle nach Deutschland geschickt hat.

Innenpolitische Inszenierung wird über effektive gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung von #Corona gestellt. (Es wär nicht das erste Mal)

Die Geschichte vom Krisenmanager soll erzählt werden und bloß nicht, dass #Kurz am 7. März noch die Brenner-Grenze schloss statt dem #Kitzloch.

Am 9.3. gab es 19 bekannte Fälle in Tirol. Heute werden es 900 Fälle (fast 30% von Ö). Tirol hat in Relation zur Bevölkerung Zahlen wie die Lombardei. Das war der Stand vor 9 Tagen und wohl die Prognose wegen der ganz Österreich stillgelegt wurde. Der Ausbruch war schon da.

Die Reißleine wurde gezogen. Der Lockdown bewahrt Westösterreich vor dem Umgreifen von #Corona und biegt hoffentlich auch für Tirol die Kurve. Doch der Ausbruch war schon da und hat nach Deutschland, Skandinavien etc. gestreut. Ohne Warnung und Entschuldigung.

Das treibt mich um. Dass hier politische Inszenierung über Menschenleben gestellt wurde. In einem europäischen Notfall.
Dass man so Angst hat, nicht fehlerlos darzustehen, dass man lieber Menschen ohne die notwendige Warnung nach Hause schickt.

Dass man so Angst hat um sein Leader-Image, dass man nicht mit befreundeten Nationen zusammenarbeitet um Menschen zu retten und die Infektionsgefahr für alle zu senken.
#Ischgl war ein Versagen. Schlimm genug.
Den Umgang damit danach halte ich für den größeren Skandal.