Zwei Seiten von Silvester

Party like it’s Silvester 1966!

Die eine Seite

Armutsbetroffene Jugendliche gehören zu den großen Verlierer*innen der Pandemie. Während der Ausgangsbeschränkungen mussten sie auf öffentlichen Plätzen mit Polizeikontrollen rechnen. Privaten Orte standen ihnen jedoch meist nicht zur Verfügung. Durch die Nachwirkungen, durch die Wirtschafts- und Inflationskrise steigt der Druck gerade in den unteren sozialen Schichten. Und der Ausblick ist nicht gerade rosig. Die Hoffnung, dass es besser werden wird, verschwindet mehr und mehr. Kurz gesagt: Diesen Jugendlichen wurden und werden Lebensjahre und Lebenschancen in einem unglaublichen Ausmaß gestohlen!

Da in diesem Land Armut erheblich rassifiziert ist, mischt sich Rassismus mit diesen Formen sozialer Benachteiligung. Das Ergebnis ist das Wissen, in dieser Gesellschaft ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Egal ob am Wohnungsmarkt oder am Arbeitsmarkt. Die guten Jobs, die schönen Wohnungen sind für andere Leute, nicht für einen selbst, reserviert ist. Auf der Straße ist es das Wissen, dass die Polizei bei Kontrollen gerade die rausfischen wird, die offensichtlich nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören. Dass haargenau dann der Knüppel besonders locker sitzt.

Zu Silvester und bei anderen Parties kommt das übliche Balzverhalten. Jungs, die gerne zeigen wollen, wie groß, cool und stark sie nicht sind. Doch im Gegensatz zu ihren Altersgenoss*innen aus besseren sozialen Schichten fehlen ihnen die privaten und sicheren Räumen, wo sie sich gefahrlos ausprobieren können. Sie müssen das zwangsweise im öffentlichen Raum machen, und stoßen dabei auf ein ganz anderes Echo.

Dass es in dieser Gruppe immer wieder kracht, dass es zu größeren und kleineren Ausschreitungen kommt, ist wenig verwunderlich.

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1.Mai in einer Zeitkapsel

Retropolitik von links und Sozialprotest von rechts?

Aktionen in der Zeitkapsel

Der 1.Mai als Kampf- und Feiertag der Arbeiter*innen hat eine starke Tradition auch in Wien. Diese ist so stark, dass mensch das Gefühl hat, sich in einer Zeitkapsel zu befinden: Die Welt ändert sich, der 1.Mai bleibt gleich.

In der Früh wendet sich die SPÖ für ein paar Stunden ihren Wurzeln zu. Doch dazu wird die Differenz zur jetzigen Politik sichtbar. Immer weniger Menschen haben Interesse daran. Der SPÖ ist das egal. Sie lügt sich die Teilnehmer*inennzahl zurecht, dass sich die Balken biegen.

Kurz vor Mittag läuft dann die internationalistische Demo. Es ist die Zeit der großen Klage, dass der Kommunismus ja doch Recht gehabt hätte, wenn der Weltenlauf ihm eine Chance gegeben hätte.

Am Nachmittag bzw. am Abend kommt der Auftritt der (Post)Autonomen, die für diesen einen Tag über den Umweg der Prekarität die Arbeiter*innenklasse wieder entdecken.

Dazwischen und danach wird gefeiert, sich selbst auf die Schultern geklopft, sich zu „starken, kämpferischen und lauten Aktionen“ beglückwünscht, und auf den 1.Mai nächsten Jahr verwiesen, der natürlich auch wieder „stark, kämpferisch und laut“ werden wird. Bis dahin wird die Zeitkapsel wieder nicht verlassen!1

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Kalter Winter statt Heißer Herbst

Anfang Herbst wurde vom ÖGB schon fast traditionell bei den Lohnverhandlungen ein „heißer Herbst“ angekündigt. In der Rückschau blieb davon aber nicht viel übrig: Die Ergebnisse führten zu massiven Reallohnverlusten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage gestellt, wer die Kosten der Pandemie bezahlen. Von der Forderung „Make the Rich Pay for Covid“ ist nicht allzu viel übrig geblieben. Vielmehr passt „Make the Workers Pay for Covid“ zu der Entwicklung der Zeit. Dennoch ist es auffallend ruhig geblieben. Nur sehr vereinzelt, rund um die Verhandlungen in der Metallbranche, kam es zu ein paar wenigen Protestaktionen. Statt eines heißen Herbstes kam es zu einem kalten Winter, der noch lange anhalten wird.

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ÖGB ermöglicht Hire&Fire in der Putzbranche

Einmal mehr ist der ÖGB bei Kollektivverhandlungen im Liegen umgefallen. Für die Sparte der Gebäudereinigung stimmte er ohne Not einer drastischen Reduktion der Kündigungsfrist zu und ermöglicht so eine Hire & Fire – Praxis in der Putzbranche.

Die Putzbranche wurde durch Corona ordentlich durcheinandergewirbelt. Auf der einen Seite brachen durch Hotelschließungen etc. massiv Aufträge weg, andererseits gab es in Krankenhäuser etc. einen deutlichen höheren Reinigungsbedarf. Die Bosse wünschten sich bereits letztes Jahr, das Risiko durch diese Schwankungen auf die Arbeiter*innen abzuwälzen. Sie wünschten sich eine Kündigungsfrist von nur einer Woche statt bislang sechs Wochen. Schon jetzt beträgt der Durchrechnugszeitraum, in der die Arbeitszeit flexibel gestaltet werden kann, 9 Monate.

Letztes Jahr wurde die Forderung bei den Kollektivverhandlungen noch abgelehnt, doch dieses Jahr fiel die Gewerkschaft um. Ab 1.1. 2022 gilt für alle reinigenden Arbeiter*innen, die weniger als 3 Jahre bei der gleichen Firma sind, nur noch 2 Wochen. Die Kündigung kann täglich ausgesprochen werden. ÖGB ermöglichst somt Hire&Fire in der ganzen Putzbranche!

Die Gegenleistung dafür ist ziemlich mager. Es gibt ein Gehaltsplus von 3,5%. Der Reallohnverlust des letzten Jahres, als es eine Lohnerhöhung von 1,6% bei gleichzeitiger Inflation von 3,6% (Stand Oktober 2021) gab, kann damit nicht ausgeglichen werden. Auch der freiwillige (!) einmalige Coronabonus von €100,- (!) kann eher als Hohn denn als Zeichen der Wertschätzung verstanden werden.Einmal mehr zeigt sich, was das Klatschen wert ist.

Zum Abschluss sei noch festgehalten, dass es einen Arbeitskräftemangel gibt. Eine Gewerkschaft, die diesen Namen auch verdient, würde diesen Umstand nutzen, um Verbesserungen der Arbeiter*innen zu erkämpfen. Stattdessen nutzen Firmen ihre Chance, um eine Kürzung des Arbeitslosengeld zu fordern. Die linksliberale Zeitung „Der Standard“ gab im Oktober zwei dieser Firmen viel Platz für ihre Forderungen (1). Eine ist in der Vergangenheit wiederholt aufgefallen, da sie zu wenig Loh auszahlte (2).

Sinnvoller wäre es, wenn die Bosse vor ihrer eigenen Tür putzen würden. Oder besser noch: Sie können sich auch selbst wegputzen – und ihre gelben Gewerkschaftsfunktionär*innen gleich mitnehmen!

(1) https://www.derstandard.at/story/2000130389446/iss-oesterreich-chefbin-nicht-dafuer-dass-man-faulheit-unterstuetztRetour ligne automatique
https://www.derstandard.at/story/2000130419354/warum-arbeiten-wenn-ich-mit-arbeitslosengeld-mehr-bekommeRetour ligne automatique
(2) https://ooe.arbeiterkammer.at/service/broschuerenundratgeber/arbeitundrecht/B_2016_Schwarzbuch_Arbeitswelt.pdf Die Praktiken der Firma ISS, von der hier die Rede ist, finden sich auf Seite 11.

Corona und die Matroschka-Krise

Vierschachtelung

Matroschkas sind beliebte Souvenirs aus Russland: Holzpuppen, in denen kleiner Puppen versteckt sind. Dieses verschachtelte Spielzeug ist ein Sinnbild für die momentane wirtschaftliche Krise. Begonnen hat sie mit einer exogenen Krise, die von außen durch die Corona-Pandemie, durch Lockdowns und Schließungen herbeigeführt wurde. Damit Betriebe in dieser Situation nicht massenhaft in den Konkurs schlittern, springt der Staat mit viel Geld (Fixkostenzuschuss, Umsatzersatz) ein. Doch dadurch drohen die Staatsschulden zu explodieren. Hier springen die Zentralbanken ein, die selbst Staatsanleihen aufkaufen und billige Kredite vergeben. So soll das Risiko eines Staatsbankrotts minimiert werden.

Die ursprüngliche Krise wird mit einem Konstrukt begegnet, das das eigentliche Problem umgibt, wodurch der Schaden begrenzt werden soll. Sollte sich dieses Gebilde selbst als problematisch erweisen, wird darum wieder ein Konstrukt darum gebaut, um das Risiko so abzufangen – eine Verschachtlung wie bei einer Matroschka.

Bislang funktionierte dieses System gut. Obwohl die Pandemie nun schon eineinhalb Jahre dauert, hält sich der Wirtschaftsabschwung in Grenzen. Zu größeren sozialen Verwerfungen kam es hierzulande (noch?) nicht. Doch hat es auch zwei große Nachteile: Zum einem werden Probleme so nicht gelöst, sondern nur verschoben. Zum anderen können so kleine Störungen zu grö0eren Krisen führen.

In den letzten Wochen und Monaten wurden einige dieser Störungen sichtbar. Am meisten berichtet wird über Probleme in den Lieferketten, doch eine Energiekrise mit steigenden Preisen sowie Arbeitskräftemangel sind genauso kritisch. In den meisten westlichen Ländern machen sich diese Phänomene durch eine steigende Inflation bemerkbar. In Großbritannien und Spanien führen sie bereits dazu, dass die Wirtschaft auf niedrigem Niveau stagniert.

Überproduktionskrise

Die Bekämpfung der Krise erfolgt nach einem Muster, dass schon in ähnlicher Form bei der Finanzkrise 2008 angewandt wurde. Auch damals bildeten billige Schulden, eine deutliche Erhöhung der Geldmengen sowie die staatliche Übernahme von unternehmerischen Risiken und Verlusten die Eckpunkte, mit der auf die damalige Krise reagiert wurde. Dadurch wurden unternehmerische Gewinne privatisiert, während Verluste und Risiken sozialisiert wurden.

Damals wie heute vergrößert sich so der Unterschied zwischen Arm und Reich. Nutznießer des staatlichen Geldregens sind nahezu ausschließlich große Unternehmen. Denn je größer der Umsatz ist, desto mehr Unterstützung gibt es vom Staat. Für Arbeiter*innen hingegen, die in der Pandemie trotz hohen gesundheitlichen Risikos den Laden am Laufen hielten, fallen im besten Falle nur Brosamen ab. Andere marginalisierte Gruppen wie Obdachlose und Refugees schauen ganz durch die Finger. Sie müssen selbst in der Pandemie in Massenquartieren bleiben. Am dramatischsten ist die Lage in den Pflegeheimen, für die es keine zusätzliche finanzielle und personelle Unterstützung gibt. Ebenso unterbleiben Investitionen in die Infrastruktur. Die Macht der Konzerne wird so weiter ausgebaut.

Dennoch ist auch für sie nicht alles rosig. Denn es gibt zwar viel billiges Kapital, aber wenig Möglichkeiten, es gut zu investieren. Wir befinden uns mitten in einer Überproduktionskrise. Der Staat förderte Unternehmen mit beträchtlichen Investitionsprämien in der Hoffnung, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dadurch entstand eine so große Nachfrage, dass Zulieferer nicht mehr nachkamen und es zu beträchtlichen Verzögerungen in den Lieferketten kam. Gleichzeitig wird durch die Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten die Bildung von Blasen begünstigt. Ein Blick auf die Aktienmärkte bestätigt das. In der Zeit der Krise, in einer Zeit von weitreichenden wirtschaftlichen Einschränkungen jagen Dow Jones und DAX (und mit Abstrichen auch der ATX) von einem Rekordwert zum nächsten – und das mitten in einer Krise, in der so viele Menschen wie bislang noch nie auf die Hilfe karitativer Organisationen angewiesen ist.

Problemlöser Sozialstaat?

Der Auslöser für diese Entwicklungen ist die Corona-Pandemie. Wenn die gesundheitliche Krise nicht gelöst wird, gibt es auch wenig Chancen für eine langfristige wirtschaftliche Erholung. Die allermeisten Staaten setzen dabei auf Impfungen – allerdings bislang mit unklarem Ausgang. Trotz hoher individueller Wirksamkeit steigen die Infektionszahlen auch in Ländern mit hohen Impfquoten.
Es wäre also höchste Zeit, die Impfkampagne mit anderen, infektionshemmenden Interventionen zu begleiten. Naheliegend wäre der Ausbau von sozialstaatlichen Angeboten.
Durch Investitionen im Gesundheitsbereich könnten beispielsweise die Anzahl der Spitals- und ICU-Betten erhöht werden. Mehr Geld in der Bildung würde zu kleineren Klassen und damit im Falle des Falles zu kleineren Clustern führen. Ein höherer Personalschlüssel in Alten- und Pflegeheimen würde die Bewohner*innen, die wohl am meisten gefährdete Gruppe, besser schützen. Das über solche Maßnahmen nicht einmal diskutiert wird, sagt viel über den Zustand des Sozialstaates aus.

Tatsächlich gilt nach wie vor das neoliberale Credo der Einsparungen im Sozialbereich. Statteines Ausbaus kommt es zu einem Abbau mit dramatischen Folgen: In Deutschland gingen in den letzten zehn Monaten 3000 von 12.000 ICU-Betten wegen Personalmangels verloren. Im Land Salzburg stehen 10% der Spitalsbetten aus demselben Grund nicht zur Verfügung. Der Pflegekräftemangel ist deutlich in allen Krankenhäusern zu spüren. Kurzfristig müssen deswegen sogar einzelne Stationen geschlossen werden. In Wien werden im Pflichtschulbereich Lehrer*innen eingespart, so dass es fortan größere Klassen gibt. Anstatt für gute Arbeitsbedingungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich zu sorgen, nehmen die städtischen und staatlichen Stellen nehmen lieber die Gefahr eines neuen Lockdowns in Kauf. Mehr muss mensch über den Zustand des hiesigen Sozialstaates nicht wissen.

Sollte die wirtschaftliche Krise an Dynamik gewinnen, sollten noch soziale Verwerfungen im größeren Ausmaß kommen, ist nicht damit zu rechnen, dass dieser in der Lage sein wird, die Auswirkungen abzufedern. Eher wird mit Hinweis auf die Belastungsgrenzen Sozialleistungen gekürzt werden. Als Problemlösung wird er mit ziemlicher Sicherheit nicht in Frage kommen.

Linke Antworten?

An dieser Stelle ist es an der Zeit, die Stopp-Taste zu drücken. Das hier zwischen den Zeilen angedeutete Szenario einer zerplatzenden Blase der Überproduktionskrise, die eine Kettenreaktion auslöst, die den Sozialstaat in die Knie zwingt, während gleichzeitig Corona noch grassiert, ist eben haargenau das: eine Prognose. Wie wahrscheinlich sie ist, ist eine andere Frage. Kein Mensch kann in die Zukunft blicken. Ob bzw. wie stark die Wirtschaftskrise Dynamik aufnimmt, und welche sozialen Verwerfungen dadurch produziert werden, lässt sich momentan nicht sagen. Es sei hier nochmal daran erinnert, dass bislang, nach 18 Monaten Pandemie, die wirtschaftliche Krise überschaubar blieb. Möglicherweise wird es auch so bleiben.

Dennoch bleibt die ökonomische Krise der „Elefant im Raum“. Schon jetzt, in der „überschaubaren“ Wirtschaftskrise ist es so, dass die Reichen reicher werden, während für die „Held*innen“ bestenfalls Brösel überbleiben. Hinzu kommt neuestens, dass es unter dem Deckmantel der Gesundheitsfürsorge der Druck zum Abbau sozialer Errungenschaften massiv steigt. In Österreich kann Ungeimpften das Arbeitslosengeld gestrichen werden, in Deutschland wird die Lohnfortzahlung während einer Quarantäne für sie Impfskeptiker*innen eingestellt. Unter den Linken breitet sich dank dieser Mischung von Gesundheitsfürsorge und Sozialabbau Ratlosigkeit aus. Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, werden nicht einmal andiskutiert.

Das ist verwunderlich, da die soziale Frage eigentlich ein linkes Kernthema ist. Es gibt massig Theorie zu Schulden und Krise im Speziellen sowie zu Kapitalismus im Allgemeinen. Es gibt dutzende Beispiele von der Praxis gegenseitiger Hilfe in Krisenzeiten.

Es entstehen auch mehr und mehr Anknüpfungspunkte für eine soziale Widerstandspraxis. In einigen Berufsgruppen gärt es. Egal ob Fahrradbot*innnen oder Krankenhauspersonal in Berlin, Sozialarbeiter*innen in Wien, Musiker*innen in Burgenland oder Lokführer*innen in Deutschland, Kindergärtner*innen in Österreich– der Arbeitskampf von Appelen und Demos bis hin zu wilden Streiks ist zurück. Sicher, noch sind es noch wenige Kämpfe, nur selten sind sie erfolgreich. Dennoch ist eine Dynamik spürbar, durch die Arbeitsverhältnisse wieder vermehrt in den politischen Fokus gerückt werden.

Um zum Schluss nochmal auf die Figur der Matroschka zurückzukommen: Es ist klar, dass sich in der Puppe eine andere Puppe mit ähnlicher Form befindet, doch wie diese genau ausschaut, ist eine Überraschung. Ebenso wissen wir, dass wir inmitten in einer Krise sind; möglicherweise wird diese noch härter. Doch ob daraus eine neue solidarische, antikapitalistische Praxis erwächst (bzw. ob wir es schaffen, so eine Praxis mit dazugehöriger Theorie zum Leben zu erwecken); oder ob es zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen kommen wird, wissen wir noch nicht. Zum Glück finden wir die Matroschkas, die Verhältnisse, wie sie sind, nicht vor; wir sind dazu aufgerufen, sie zu verändern!

[Splitter 4] Dow Jones auf Allzeithoch

Manche Meldungen muss mensch einfach zweimal lesen, so unglaublich klingen sie. Der Dow Jones ist auf einem Allzeithoch. Zum ersten Mal in der Geschichte überschritt er die „magische“ Grenze von 30 000 Punkten – und das mitten in der Krise mit Lockdowns, mit Rekordsarbeitslosigkeit, etc.
Ehrlich, ich hab keine Ahnung von Finanzmärkten, von Geldflüssen, von pipapo. Aber der Gedanke ist doch naheliegend, dass die Beiden, Krise und Aktienhoch zusammengehören. Dass es den Rekord nicht trotz, sondern wegen der Krise gibt.

[Splitter 3] Geschmacksnerven verloren?

Lockdown 2.0 ist in Kraft. Diesmal gibt es ein besonderes Zuckerl für die (halb) geschlossenen Gastronomiebetriebe: Sie erhalten 80% des Umsatzes des Vorjahres. Spezielle Regeln gibt es für neu eröffnete Lokale. Dazu kommen spezielle Kurzarbeitsregeln; der Staat zahlt das gesamte „überflüssige“ Personal. Als kleine Draufgabe werden die Einnahmen aus Abholung und Lieferung, die ja weiterhin erlaubt sind, nicht gegengerechnet. Schon in der Vergangenheit gab es spezielle Förderungen für die Gastronomie wie den Wiener Gastro-Gutschein oder eine Senkung der Umsatzsteuer.
Nicht falsch verstehen, die meisten Lokale gehören sicher nicht zu den Krisengewinnern. Doch die aktuelle Regelung hilft den großen Lokalen mit viel Personal am meisten. Dort, wo der Wirt, die Wirtin selbst noch hinterm Budel steht, gibt es deutlich weniger Geld. Wenig überraschend, dass McDonalds, die wohl am meisten Geld bekommen werden, bereist an eine Expansion gedacht wird.
Durch die Finger schauen die Köch*innen, die Kellner*innen und das Küchenpersonal. Sie arbeiten so und so schon in einer Branche mit Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitszeiten. Jetzt bekommen sie 80-90% des Lohnes, auf Überstunden und Trinkgeld müssen sie ganz verzichten. Für manche ist das ein herber Lohnverlust. Bei dieser Umverteilungspolitik hin zu den Eigentümer*innen kann mensch schon mal die Geschmacksnerven verlieren.

Update:
Wenig überraschend hat Gewerkschaft mit Alleinvertretungsanspruch einen Teil des Paketes, die Regelung zur Kurzarbeit, mitverhandelt. Doch möglicherweise war ihr das Ergebnis dann doch etwas peinlich. Jedenfalls haben sie im Anschluss noch eine Mini-Prämie von €100,- für die Arbeitrer*innen rausverhandelt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass selbst jetzt die Chefs gewinnen, und die Arbeiter*innen verlieren – wieder mal mit freundlicher Hilfe deiner Gewerkschaft….

Erste, zaghafte Schritte im Sozialbereich, sich selbst zu artikulieren

Massive soziale Verwerfungen gehen Hand in Hand mit der medizinischen Krise, mit der Corona-Pandemie. Stark gestiegene Arbeitslosenzahlen und Menschen in Kurzarbeit, und eine AUA-Rettung, bei der die Arbeiter*innen auf ca. 10 % ihres Reallohnes verzichten müssen, sind die ersten Vorboten davon. Obwohl diese Verwerfungen Thema vieler unserer Gespräche sind, kommt es medial nur verklärt vor. Entweder wird es technisch – als reine Abfolge von Zahlen – oder aus Unternehmer*innensicht – die steigende Gefahr von Pleiten etc.- abgehandelt.

Leider wird das Thema auch innerhalb der diversen Linken nur stiefmütterlich behandelt. Selten geht es in den Artikeln der linken Medien über ein fast schon üblichesund leider auch wirkungsloses „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ hinaus. Auch in den Protesten nach dem Lockdown spielten sie nur eine geringe Rolle. Am 1. Mai, bei BlackLivesMatters, bei der Verteidigung des EKHs und bei mehreren kleinen Protesten waren die Verwerfungen zwar als Hintergrundrauschen vernehmbar, mehr aber auch nicht.

Es gibt jedoch eine Gruppe, die sich intensiv mit beschäftigt, und dabei auch immer wieder die Öffentlichkeit sucht. Es sind jene Menschen, die im Gesundheits- uns Sozialbereich arbeiten. Bereits vor der Corona-Pandemie hatten sie mit hohen Arbeitsdruck, Unterbesetzungen, prekären Bedienungen und mieser Bezahlung zu kämpfen. Deswegen gibt es in dem Bereich vergleichsweise viele Basisinitiativen, die für bessere Arbeitsbedienungen kämpfen.

Sie erlebten mit, wie sie während des Höhepunktes der Krise bejubelt wurden, wie seitens der Politik Versprechungen gemacht wurden, dass sich ihre Arbeitsbedienungen nun verbessern werden. Doch sie erlebten auch mit, wie diese schöne Anerkennung schon einen Moment später wieder vergessen wurde. Die neuen Kollektivverträge im Sozialbereich bringen wenig Vorteile und viele Nachteile. Von den meisten Basismitarbeiter*innen werden sie als Verrat seitens des ÖGBs gesehen. Das Kindergeld für ausländische Pfleger*innen soll trotz eines Rechtsstreites gekürzt werden. Immerhin sind sie damit noch besser dran als ihre Kolleg*innen im Handel, die als Corona-Prämie oftmals nur eine Tafel Schokolade bekamen.

Vor allem der Verrat des ÖGB verändert die Situation der Arbeitskämpfe grundlegend. Bislang wurden sie meist durch Stellvertretungen und Verhandlungen geführt. Dieser Weg funktionierte schon länger nicht mehr. Sei es durch den Neoliberalismus, durch die Digitalisierung, durch das Verschwinden eines gut organisierten Industrieproletariat und durch das Anwachsen einer schlecht organisierten Dienstleistungsklasse, auf jeden Fall verliert der ÖGB Verhandlungsmacht, die Arbeitsbedienungen werden schleichend schlechter. Als Antwort darauf gründetenschon lange vor Coronasich in manchen Bereichen Basisinitiativen. Vergleichsweise viele gibt es bei den Sozialberufen.

In den letzten Wochen und Monaten wurde in vielen Sozialeinrichtungen die Stimmung durch die vorher geschilderten Entwicklungen deutlich angespannter. Doch politisch und aktionistisch findet das noch wenig Niederschlag: Am 15. Juni gab es eine Kundgebung der „Initiative Sommerpaket“ mit dem vielsagenden Titel: „Mehr als nur Applaus wert!“ für bessere Bedienungen im Wohnungslosenbereich. Eine Woche später demonstrierten Initiativen aus dem Gesundheitsbereich für „reale Verbesserungen statt Applaus“. Beide Male blieb die Anzahl der Teilnehmenden übersichtlich, es waren je zwischen 100 und 250 Personen. Es gibt ansprechendere Aktionsformen als Standkundgebungen mit dauerbeschallung durch Redner*innen. Und dass Appelle an die Regierungen wenig bringen, ist auch nicht überraschend. Dennoch ist Kritik oder gar Häme hier an der falschen Stelle. Es waren vielmehr erste Versuche, sich selbst anders zu artikulieren, zu organisieren, und als solche sind sie sehr wertvoll.

Es gibt auch Versuche, sich anders zu organisieren. Manche Basisinitiativen haben ein Bündnis zur Ausfinanzierung der Pflege und des Sozialbereichs gegründet. Das Wiener Arbeiter*innen Syndikat feierte durch direkte Interventionen erste Erfolge im Arbeitskampf.

Wie es weitergeht, welcher Weg erfolgversprechend ist, steht momentan in den Sternen. Es ist klar, dass die Wut sich einen Weg bahnen wird. Doch wie dieser aussehen wird, bleibt unklar. Wir befinden uns politisch und sozial in einer vollkommen neuen Situation, weswegen auch alte Karten, alte Wegweiser nicht helfen. Nur die Solidarität unter den Basismitarbeiter*innen und die Leidenschaft, eine neue, gerechtere Welt zu bauen, geben grob die Richtung vor. Uns bleibt nichts anders über, als langsam neue Schritte zu machen und neue Wege zu finden!

Der Katastrophen-Kapitalismus

Ein kleiner Buchtipp zur richtigen Zeit:

Naomi Klein, Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus (Frankfurt 2007)

Es ist ganz offensichtlich die Strategie der hiesigen Regierung. Sie wird bloß von einer Propaganda überdeckt. Hier wird ein neues milliardenschweres Hilfspaket geschnürt, da wird verkündet, dass alle, die Hilfe brauchen, diese auch bekommen, und dort wird das Motto „Entscheidend wird einzig sein,  wie viele Menschen wir gerettet haben, wie viele Arbeitsplätze wir gesichert haben und wie viele Unternehmen wir vor der Insolvenz bewahrt haben“ ausgegeben. Das Problem: Die Reden haben wenig mit den Realitäten zu tun. Ende Mai, also zweieinhalb Monate nach Beginn des Lockdowns, wurden erst wenige Millionen Staatshilfen ausbezahlt. Auch auf europäischer Ebene steht die österreichische Regierung auf der Bremse: Möglichst wenig Unterstützung, und wenn, dass nur in Form von Krediten. Begründet wird das mit einer Art nationalen Notstand. Wir müssen zuerst den eigenen Leuten helfen, heißt es. Nationalismus überdeckt aber bekannterweise die sozialen Differenzen. Denn auch hier fühlt sie sich vor allem jenen Unternehmern mit viel Geld, die traditionell der ÖVP nahestehen und das auch mit Spenden zeigen, nahe. Wie es aussieht, geht sie nach dem Motto des Nationalbank-Chef Robert Holzmann vor, der gleich zu Beginn der Krise offen erklärte: „Man muss aber sicherstellen, dass nur die überlebensfähigen Firmen überleben, die anderen, die auch ohne Krise aus dem Markt ausgeschieden wären, sollen nicht überleben. Im Moment ist die Bereitstellung von Liquidität das Wichtigste. Danach liegt es an den Banken, zu entscheiden, wer weiterfinanziert wird und wer nicht.“

Dass der Katastrophen-Kapitalismus kommt, kann also nicht wirklich überraschen. Die spannende Frage ist aber, was machen wir damit, Es wird also allerhöchste Zeit, aus dem Corona-Schlaf zu erwachen, Diskussionen zu beginnen, sich Strategien und Bündnisse zu überlegen, und nicht nur passiv alles über sich ergehen lassen.

Zauberkunststück der Gewerkschaft

Der Gewerkschaft ist ein seltenes Kunststück gelungen: Sie ist im Liegen nochmal umgefallen. Ihr war die Entrüstung rund um den schlechten KV noch nicht genug, hat sie einen Eckpunkt gleich nochmal verschlechtert. Ursprünglich war von einer einmaligen Corona-Prämie, die jede*r bekommt, die/der in direkten persönlichen Kontakt mit anderen Personen stand. Plötzlich ist die Rede davon, dass es innerhalb drei Monate 220 Stunden davon braucht, um die ganze Höhe der Prämie zu bekommen. Gleichzeitig starten sie aber eine Unterschriftenliste, in der sie € 1.000 Corona-Prämie fordern. Ich zitier mal: „Unser Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen und die Einkommen der Beschäftigten dauerhaft zu heben – aber in dieser Ausnahmesituation braucht es auch jetzt gleich eine Anerkennung.“

Na, da fragt mensch sich doch, warum habt ihr das nicht im Rahmen der KV-Verhandlungen geschafft? Warum glaubt ihr jetzt, dass durch eine Unterschriftenliste zu schaffen? Warum glaubt ihr, dass wir uns dauernd verarschen lassen?

Dieses Zauberkunststück der Gewerkschaft ist doppelt bitter: Zum einem hört jetzt der Applaus auf, strukturelle Verbesserungen für uns, die wir plötzlich „Systemerhalter*innen“ waren, rücken damit wieder in weite Ferne. Zum anderen wird mehr und mehr sichtbar, wer für die Krise zahlen muss. Bei den Fluglinien, bei den Casinos, in der Post: die Manager*innengehalte werden nicht angetastet: Die Löhne, Pensionen, und Arbeitsbedienungen von uns Arbeiter*innen werden dafür schlechter und schlechter. Die Gewerkschaft ist nicht willen und/oder in der Lage, uns und unsere Rechte zu schützen. Wir müssen uns also untereinander verschwören und auf die alte Tradition der gegenseitigen Hilfe setzen. Und wer weiß: Vielleicht lernen wir so auch zaubern, und erreichen Sachen, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können!