1. Mai mit Abstand

Der 1.Mai dieses Jahr war anders und doch gleich. Am 30.April endete um 24:00 die Ausgangssperre. Und obwohl bis dahin unklar war, wie es weitergeht, welchen legalen Rahmen es für Demos überhaupt gibt, gab es einige Anmeldungen für die rituellen Maikundgebungen und -demos. Alle traditionellen Demos wurden genehmigt, nur die SPÖ verlegte ihre Kundgebung in den virtuellen Raum. So gab es um 10:00 eine Kundgebung von “Sozial, aber nicht Blöd!” (ca. 10 Teilnehmer*innen), um 11:00 eine kommunistische Demo von der Oper zum rathausplatz (ca. 100 Teilnehmer*innen), um 13:00 die Mayday der Prekarisierten vom Praterstern zum Rathausplatz (knapp 1000 Teilnehmer*innen) und eine Kundgebung von Links.Wien, der Donnerstagsdemo-Partei, am Rathausplatz mit ca. 500 Teilnehmer*innen. Dazu kam eine Minikundgebung in Gedenken an Marcus Omofuma, sowie ein Aufruf zu einer unangemeldeten Fahrraddemo.

All die angemeldeten Kundgebungen konnten in üblicher ritualhafter Art ohne größere Probleme durchgeführt werden. Dieses Mal gab es mehr Abstand und mehr Masken, andererseits war auch die Freude, sich nach wochenlangen Lockdown wiederzusehen, größer. Aber dennoch war es irgendwie wie jedes Jahr. Es wurde in gleicher Weise über die gleichen Themen gesprochen, nur manchmal kam ein Corona-Bezug dazu. SANB kritisierte die Arbeitsbedingungen im Sozialbereich, die kommunistische Demo die Repression in der Türkei und Mayday forderte die Auflösung der Lager auf den griechischen Inseln. Nur im Aufruf zur Fahrraddemo wurde explizit die veränderte soziale und politische Lage thematisiert. Es wurde die Wichtigkeit der eigenen Aktionen betont, ohne aber wirklich daran zu glauben, dass sich was ändern könnte.

Immerhin gab es dieses Jahr mehr dezentrale und unangemeldete Aktionen. Da wurden Nachrichten in der Innenstadt hinterlassen, dort wurden Nationalfahnen eingesammelt, hier wurde ein Haus scheinbesetzt, da gab es eine Radtour zu den Kolleg*innen, die am Tag der Arbeit arbeiten mussten.

Aktionistischer Höhepunkt war, als sich um ca. 15:30 verschiedene Demos (Mayday, Fahrraddemo und Links.Wien) am Rathausplatz trafen. Daraus entstand eine neue Fahrraddemo mit ca. 500 Radler*innen. Anfangs gab es eine durchwegs gute und kämpferische Stimmung. Doch nach nicht einmal einer Runde um den Ring war Schluss. Die Polizei versperrte den Weg, setzte den Radler*innen nach und sprengte so die Demo. Selbst kleine Gruppen wurden von der Polizei nicht geduldet. Dennoch schaffte es, eine kleine Gruppe sich zu sammeln, und als Demo zum Prater weiterzufahren. Dort machte aber die Polizei schnell und brutal klar, wer dort Herr der Lage war. Sie beendete die Demo u.a. mit ritten auf fahrende Radfahrer*innen, mit Kesselungen, ID-Feststellungen und 3 Verhaftungen. Auffallend war, dass die Polizei danach nicht einmal bemühte, sich zu rechtfertigen. Die Behauptung, dass die Demo wegen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung aufgelöst wurde, erfüllte die Mindestanforderungen der internen Bürokratie und die Wünsche schreibfauler Journalist*innen, mehr aber auch nicht.

Erst am Tag danach wurde bekannt, dass ein kurdisch-kommunistisches Fest am Viktor-Adler-Markt von türkischen Nationalisten angegriffen bzw. gestört wurde.

So bleibt ein durchwegs ambivalentes Fazit: Es war schön, viele Menschen wiederzusehen. Es waren viele Menschen auf der Straße, es gab vereinzelt kraftvolle Momente, es gab ein paar dezentrale Aktionen.

Aber es wurde auch deutlich, dass die momentane Linke weder taktisch noch inhaltlich Antworten auf die Krise gefunden hatte. So wurde am Tag der Arbeit, den Kampftag der Arbeiter*innenklasse, am Vorabend einer riesigen Wirtschaftskrise, wo es jetzt schon an die 2.000.000 Arbeitslose/ Menschen in Kurzarbeit gibt, die soziale Lage bestenfalls am Rande thematisiert. Auch konnte der Polizeigewalt nichts entgegengesetzt werden. Die Auflösung der Demo ist dabei nur symptomatisch für die zunehmende Polizeimacht der letzten Wochen. Auch die fehlende Kommunikationskultur wurde deutlich. Dass ein rechter Angriff erst einen Tag später bekannt wird, ist besorgniserregend. Twitter & Co, helfen da anscheinend wenig.

Somit bleibt ein bitterer Beigeschmack: Die Zeit, in der wir leben, hält einige Herausforderungen für uns bereit, wo wir schnell Antworten finden sollten. Am 1.Mai wurde sichtbar, welch langer und harter Weg da noch vor uns liegt.

Hong Kong Grippe

Schon mal was von der Hongkong-Grippe gehört? Keine Angst, ich hab vor der aktuellen Pandemie auch noch nie davon gehört. Die Geschichte kommt einem jedenfalls sehr bekannt vor: Ein Virus, in dem Fall war es ein Influenzavirus, wird von Tier auf Mensch übertragen. Dort verbreitet er sich rasch, da der menschliche Körper noch zu wenig Immunstoffe dagegen hatte. Im Falle der Hong Kong Grippe war der vermutete Ursprungsort Hing Kong, und es waren Soldaten aus dem Vietnam-Krieg, die für die globale Ausbreitung sorgten. Am Ende sind zwischen 1 000 000 und 4 000 000 Menschen gestorben.

Es gibt einen einfachen Grund, warum die Hong Kong Grippe heute weitgehend vergessen wurde: Es wurden recht wenig Gegenmaßnahmen ergriffen, deswegen schrieb sie sich nicht ins kollektive Gedächtnis ein. Die Pandemie spielte sich 1968/1969 ab, Ausgangssperren wären damals wohl kaum durchsetzbar gewesen.

Es ist ein kleines Beispiel dafür, dass die Mittel der Eindämmung nicht alternativlos sind. Sie sind vielmehr auch Ausdruck der Zeit. Jede Gesellschaft bekommt irgendwie die Pandemiebekämpfung, die sie verdient. Und seien wir uns ehrlich: Der Ausnahmezustand lag latent schon lange in der Luft; jetzt ist er nur manifest geworden…

Der Katastrophen-Kapitalismus

Ein kleiner Buchtipp zur richtigen Zeit:

Naomi Klein, Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus (Frankfurt 2007)

Es ist ganz offensichtlich die Strategie der hiesigen Regierung. Sie wird bloß von einer Propaganda überdeckt. Hier wird ein neues milliardenschweres Hilfspaket geschnürt, da wird verkündet, dass alle, die Hilfe brauchen, diese auch bekommen, und dort wird das Motto „Entscheidend wird einzig sein,  wie viele Menschen wir gerettet haben, wie viele Arbeitsplätze wir gesichert haben und wie viele Unternehmen wir vor der Insolvenz bewahrt haben“ ausgegeben. Das Problem: Die Reden haben wenig mit den Realitäten zu tun. Ende Mai, also zweieinhalb Monate nach Beginn des Lockdowns, wurden erst wenige Millionen Staatshilfen ausbezahlt. Auch auf europäischer Ebene steht die österreichische Regierung auf der Bremse: Möglichst wenig Unterstützung, und wenn, dass nur in Form von Krediten. Begründet wird das mit einer Art nationalen Notstand. Wir müssen zuerst den eigenen Leuten helfen, heißt es. Nationalismus überdeckt aber bekannterweise die sozialen Differenzen. Denn auch hier fühlt sie sich vor allem jenen Unternehmern mit viel Geld, die traditionell der ÖVP nahestehen und das auch mit Spenden zeigen, nahe. Wie es aussieht, geht sie nach dem Motto des Nationalbank-Chef Robert Holzmann vor, der gleich zu Beginn der Krise offen erklärte: „Man muss aber sicherstellen, dass nur die überlebensfähigen Firmen überleben, die anderen, die auch ohne Krise aus dem Markt ausgeschieden wären, sollen nicht überleben. Im Moment ist die Bereitstellung von Liquidität das Wichtigste. Danach liegt es an den Banken, zu entscheiden, wer weiterfinanziert wird und wer nicht.“

Dass der Katastrophen-Kapitalismus kommt, kann also nicht wirklich überraschen. Die spannende Frage ist aber, was machen wir damit, Es wird also allerhöchste Zeit, aus dem Corona-Schlaf zu erwachen, Diskussionen zu beginnen, sich Strategien und Bündnisse zu überlegen, und nicht nur passiv alles über sich ergehen lassen.