Sicherungshaft


Bei der momentanen Diskussion um die Sicherungshaft kommen bei mir Erinnerungen hoch. Ich gehöre nämlich zur kleinen, exklusiven Minderheit, die diese tolle Idee schon vorab testen durfte.

Winter 2002: Die linke Szene mobilisiert zu Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz. Motto: Von Genua nach München. Die Stadtoberen geraten deswegen aus dem Häuschen. Sie befürchten eine Horde Globalisierungsgegner*innen, die schwarz vermummt die Stadt in Schutt und Asche liegen – mensch kennt diese Gefahrenprognosen ja zu Genüge. Folgerichtig wird praktisch jede Demo, fast jede Kundgebung verboten. Am ersten Protesttag – Freitag, 1.Februar, für die, die es genau wissen wollen – räumt die Polizei eine Kundgebung von 2000 Leuten. Die ersten Leute kommen in Unterbindungsgewahrsam, dem bayrischen Pendant zur Sicherungshaft.
Am nächsten Tag: Praktisch alle Kundgebungen sind verboten. Aber ATTAC kann einen Infotisch weit abseits des Zentrums machen. Wir, eine kleine Gruppe Punks, gehen dorthin, um eventuell Infos zu bekommen. Doch nein, dort herrscht helle Aufregung. Einer aus unserer Gruppe hat ein Bier mit. Und das ist laut polizeilichen Auflagen ja verboten. Die panischen Attacis verweisen uns von der Kundgebung. Draußen wartet schon die Polizei, die uns frisch, fromm, fröhlich, frei in Unterbindungsgewahrsam nimmt. Wir könnten ja an einer nicht genehmigten Demo teilnehmen. Funfact: Das Alles passierte auf der Münchner Freiheit. Symbolisch für die Freiheit, die sie meinen.

Nicht nur wir, auch 850 andere Menschen sind an diesem Wochenende eingefahren. Wegen einem Demonstrationsverbot, dass – welch große Überraschung- wenige Monate später gekippt wurde. Die brandschatzenden Horden blieben – mensch möchte fast sagen leider- aus. Das Demoverbot konnte die Polizei übrigens nicht durchsetzen. Es gab eine ganze Reihe, meist kurzer, Spontis. Manche endeten in einem Kessel. Als Krönung der Polizeifestspiele umstellten sie am Abend das Gewerkschaftshaus – das erste Mal seit 1933.

Uns ist relativ wenig passiert. Wir durften eine Nacht in dem Hotel mit den vergitterten Fenstern schlafen. Doch das wars auch schon. Es gab keine Verhandlung, keine Strafe, keine Verwarnung, gar nix. Und die simple Freiheit, auf der Straße zu gehen, fühlte sich selbst nach dieser Nacht wirklich intensiv an. Doch die Geschichte zeigt schon, wie absurd das Ganze ist: Wegen einem Bier auf einer angemeldeten Kundgebung kommt eine ganze Gruppe in Gewahrsam. Dank einer Gefahrenprognose, die an den Haaren herbeigezogen ist. Dank einer bewussten Panikmache, die eine ganze Stadt trifft. Dank Demoverbote, die später aufgehoben werden.

Und nein, das ist kein Ausrutscher, das ist kein Missbrauch irgendeines Gesetzes. Haargenau so soll Unterbindungsgewahrsam, so soll Sicherungshaft wirken. Es soll Unsicherheit schaffen, es soll Angst verbreiten. Denn es kann alle treffen. Natürlich vor allen die, die den Mund aufmachen, die die Ungerechtigkeiten nicht ertragen und sich dagegen wehren. Also ist es besser, die Füße still zu halten, nicht aufzufallen. Sicherungshaft ist ein Mittel, um Gehorsam herzustellen.

Das, was momentan in Österreich geplant wird, hört sich schlimmer an. Es ist zwar noch nichts Konkretes bekannt, doch die bisherigen Wortmeldungen verheißen nichts Gutes. Es geht jedenfalls nicht um ein stunden- oder tageweises Einsperren, sondern die Betroffenen sollen Monate oder gar Jahre weggesperrt werden. Treffen soll es „gefährliche Menschen“. Die Gefährlichkeit soll von Psycholog*innen (!), aufgrund von Internet-Recherchen (!!) oder gar aufgrund des Herkunftslandes (!!!) festgestellt werden. Momentan gibt es eine ziemlich absurde Diskussion darüber, ob diese „nur“ für Asylwerber*innen oder auch für Österreicher*innen gelten soll. Für die Law & Order-Fraktion von ÖVP und FPÖ ist die verdachtsunabhängige Haft ein feuchter Traum. Da aber auch die Oppositionspartei (oder sollte besser von Blockpartei die Rede sein?) SPÖ mitmischt, kann es für uns ein böses Erwachen geben.

Es ist egal, in welcher Form die Sicherungshaft kommt: In jedem Fall ist es ein Angriff auf unser aller Freiheit. Es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammenrotten, und diesen Wahnsinn stoppen!

Die letzten Demos/Aktionen/Repressionen des Jahres

Die 10.Donnerstagsdemo am 6.12. wurde von „System Change not Climate Change“ zum Thema Klimagerechtigkeit organisiert. An der überraschend dynamischen Demo nahmen zwischen 3500 und 6000 Menschen nehmen teil. Am Dach des Verkehrsministeriums gab es eine Pyro- und Transpieinlage („FPÖVP aus dem Verkehr ziehen“). Vor dem Schwedenplatz wurde sich kurz die Straße von unten vom Autoverkehr zurückerobert. Die Demo zog weiter durch die Innenstadt und endete vor dem Haus der EU in der Wipplingerstraße.

Am Tag darauf wurde die NeLe, ein besetztes Haus in Ottakring geräumt. Es war ca. 2 Wochen geheim und 3 Tage öffentlich besetzt. Die Polizei war darauf bedacht, dass nach außen ein Bild der Besonnenheit und Verhältnismäßigkeit entsteht. Dort, wo es keine Öffentlichkeit gab, setzte es aber auch Schläge und Tritte. 1 Person sitzt seitdem in U-Haft, eine Kostenübernahme des Polizeieinsatzes an die Besetzter*innen steht im Raum.

Am 10.Dezember demonstrierten 60 Menschen gegen Massenabschiebungen nach Nigeria und Afghanistan, die in den beiden tagen darauf stattfanden.

Die 11.Donnerstagsdemo fand das erste Mal nicht in der Innenstadt statt. Zwischen 2700 und 5000 Menschen drehten eine Runde durch Ottakring. Dabei gab es wieder Pyroshows und Transpis in der Nachbarschaft. Es war die letzte Demo vor der Winterpause.

Am Samstag darauf gab es Großdemo. Anlass war der Jahrestag der Angelobung der blau/schwarzen Regierung. Hier zeigte sich die ganze Widersprüchlichkeit der Bewegung. Im Vorfeld wurde die traditionelle Route über die die MaHü verboten. Die Demo musste auf die wesentlich unattraktivere Burggasse ausweichen. Demoverbote werden Tradition: Erst wenige Tage vorher, am 5.Dezember, wurde eine antifaschistische Demo an der Uni verboten.

Die Demo selbst war mit ca. 30.000 Menschen (Polizei: 17.000, orga: 50.000; nochrichten Zählung bei der Burggasse: zwischen 20.000 und 25.000 Menschen) trotz dichten Schneefalls sehr gut besucht. Versuche, das Demoverbot zu kippen, gab es jedoch nicht. So wurde Widerstand geübt, indem mensch widerstandslos Verbote hinnahm; so wurde Stärke gezeigt, in dem mensch sich im vorauseilenden Gehorsam der Polizei ausliefert.

Einen Tag später wurde ersichtlich, wohin das Ganze führen kann: Wegen ein paar Schneebällen wurden mehr als 1300 Menschen eines Rapid-Fanmarsches 7 Stunden lang in der Kälte auf engsten Raum ohne Trinken, Essen; WC eingekesselt. Möglicherweise war es eine Racheaktion für eine Anti-Polizei-Choreographie wenige Tage zuvor. Auf jeden Fall war es eine Machtdemonstration der Polizei, die jedoch zu einer großen Solidaritätswelle innerhalb der Fußballszene führte. Wichtig ist auch eine Solidarität darüber hinaus – auch zum Selbstschutz. Denn es ist klar, über kurz oder lang werden wir auch davon betroffen sein.

An einer Demo gegen den EU-Afrika-Gipfel, gegen Abschiebungen und neokoloniale Träume, am 17.Dezember nahmen an die 110 Personen teil.

Die Polizei löste in der Silvesternacht einen schon fast traditionellen Rave auf. Dabei gab es auch heftige Gegenwehr. Zumindest ein Polizeiauto wurde demoliert, 7 Menschen wurden angezeigt.

Fazit: Die letzten Demos des Jahres waren ein Wegweiser für die kommenden Proteste. Mit Demoverboten, Kessel, U-Haft, Massenabschiebungen gab es heftige polizeiliche Repression. Es gab aber auch einiges an Solidarität; es nehmen weiterhin sehr viele Menschen an den Protesten teil. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor viel Planlosigkeit, viel vorauseilender Gehorsam und viel Angst. Dass es wir selbst sind, hier etwas verändern können, das glauben nach wie vor die wenigsten.
Wenn wir wieder Mut in uns selbst finden, dann kann 2019 ein durchwegs spannendes Jahr werden.

Flüstern und Schreien

Der Widerstand im Herbst des Landes

Regierung
Die Regierungsarbeit im Herbst stand im Zeichen eines massiven Sozialabbaus. Am 1.9.2018 wurde der 12-Stunden-Tag eingeführt. Gleichzeitig trat eine Verschärfung des Asylrechts in Kraft. Zwei Monate später wurde die Kürzung der Mindestsicherung beschlossen. Ab nächsten Jahr soll es auch eine eigene Schnüffeltruppe geben, die „Sozialmissbrauch“ aufspüren soll – natürlich nur bei den Armen, die Reichen werden mit geringer er Strafe belohnt. Beim Umbau der Sozialversicherung gewinnen private Anbieter, während gleichzeitig das öffentliche System ausgehungert wird. Die Einsparungen beim AMS führen zur Einführung eines Logarithmus. Die beschissene Behandlung wird so legitimiert und verstärkt.
Verstärkt wird das Ganze durch einen bekannten autoritären Stil (kritische Zeitungen sollen von Informationen abgeschnitten werden, …) und einen verstärkten Rassismus (schwierige jugendliche Flüchtlinge einsperren, …)

Spontaner Protest
Die Protestbewegung reagierte kaum spontan darauf. Sie hielt sich weitgehend an einem vorher
Entworfenen Aktionsfahrplan. Die wenigen Ausnahmen seien hier genannt: Als in Niederösterreich die Bewegungsfreiheit der Refugees via Hausordnung eingeschränkt wurde, gab es einen dreitägigen Dauerprotest am Heldenplatz. Die Identitären wurden bei all ihren Auftritten mit antifaschistischen Protest konfrontiert. Manche Politiker (Strache bei einer Buchpräsentation, Kurz bei einer Diskussionsveranstaltung in Vorarlberg, Sobotka bei einer Ansprache für die Opfer der Reichspogromnacht) wurden ausgepfiffen. Ein FPÖ-Lokal in Innsbruck wurde mit Schleiße beschmiert.

Gipfelproteste
Der Widerstand im Herbst begann mit Protesten gegen Treffen der EU-Minister*innen. In Wien waren sie eher ereignisarm. Eine Demo gegen das Treffen der Finanzminister*innen floppte mit nur 200 Teilnehmer*innen. Eine Woche später war eine Demo gegen das Treffen der Innenminister*inen, an der 1000 Menschen teilnahmen, etwas größer. Die größte und ereignisreichste Aktion war die Demo gegen den EU-Gipfel in Salzburg mit 1300 Protestierenden. Sie war lautstark, kämpferisch, es gab viel Rauch vor, während und rund um die Demo. Bei der Anreise und nach dem offiziellen Ende gab es heftige Polizeirepression (siehe unten)

Donnerstagsdemo
Seit dem 4.Oktober gibt es jeden Donnerstag eine Demo/Kundgebung gegen die Regierung. Sie ist eine Plattform, die den unterschiedlichsten kritischen Gruppen und Einzelpersonen eine Bühne bietet, mit ausgesprochenen künstlerischen und sozialen Schwerpunkt. Ein offensichtlich erfolgreiches Konzept: Woche für Woche nehmen +/- 5000 Menschen daran teil. Bei der ersten Kundgebung waren es sogar 20.000 Menschen. Ab und zu kommt es zu kleineren Aktionen vor bzw. nach der Demo. Auch in anderen Städten haben sich wöchentliche bzw. monatliche Donnerstagsdemos gebildet. In Wien wird außerdem im deutlich kleineren Rahmen einmal in der Woche gegen die Regierung angesungen.

Sozialer Kampf
Die Gewerkschaften haben den 12-Stunden-Tag nahezu kampflos akzeptiert. Als Ausgleich versprachen sie einen „heißen Herbst“ bei den Lohnverhandlungen. Und tatsächlich kam es bei den Handelsangestellten zu Protesten, bei den Metaller*innen zu Betriebsversammlungen und bei den Eisenbahner*innen sogar zu einem Warnstreik. Die Ergebnisse liegen bislang bei ca. 3,5% Lohnerhöhung plus Verbesserung im Rahmenrecht. Diese Abschlüsse liegen deutlich über den der letzten Jahre, Das ist aber dank der damals schlechten Verhandlungen nicht besonders schwer. Ob diese Verbesserungen allerdings mehr wiegen als der 12-Stunden-Tag kann bezweifelt werden.

Und mehr
Das ist nur ein Ausschnitt der Aktionen in Wien. Feministische Demos (gegen Fundis, gegen Gewalt an Frauen), eine Hausbesetzung, eine Demo gegen Abschiebungen… fanden in dieser Aufzählung keinen Platz. Auch in anderen Städten in Österreich gab es zum Teil recht große Aktionen gegen die Regierung und ihre Politik.

Repression
Die Polizei ist bei Demos tendenziell zurückhaltend. Im Herbst konnte aber ein Anstieg der Repression beobachtet werden. So gab es eine Reihe kurzfristiger Festnahmen wegen Kleinigkeiten (2.Donnerstagsdemo, Nachttanzdemo, Protest gegen die Identitären). Besonders heftig war sie bei dem Gipfelprotest in Salzburg. Heftige Repression bei den Gipfelprotesten in Salzburg. Einer Gruppe Aktivist*innen aus Deutschland wurde die Einreise verweigert. Nach dem Demoende kam es zu Angriffen mit Pfefferspray und Knüppelschläge der Polizei, es kam zu mehreren kurzfristigen Festnahmen, eine Person saß 2 Wochen in U-Haft. Auch bei der Räumung der NELE, eines besetzten Hauses in Ottakring, kam es zu massiver Polizeigewalt. Eine Person sitzt seitdem in Wien in U-Haft.
Strafen gab es auch abseits des Demogeschehens, bei sogenannten „Beleidigung“. Zwei Personen wurden in Tirol verurteilt, weil sie bei einem Radrennen ein Plakat „Kickl ride to Hell“ hielten. Auch ein Wirt wurde verurteil, weil er klar machte, das Strache & Co. Bei ihm keinen Platz haben.
Am meisten betroffen von der steigenden Repression sind Asylwerber*innen und Bettler*innen, was jedoch selten Beachtung findet. Als jedoch nicht verurteilte jugendliche Asylwerber in Drasenhofen in ein NichtKnast-Knast gesperrt wurden, gab es eine Welle der Empörung. Das Lager musste nach nur einer Woche wieder schließen.

Ausblick
Der Widerstand hat im Herbst deutlich an Fahrt aufgenommen. Dennoch bewegt er sich nach wie vor hauptsächlich auf der Ebene der Kritik. Handlungsoptionen, die die Macht der Regieurng beschränken; die es schaffen, ihre Projekte zumindest abzufedern, die es schaffen, Alternativen aufzubauen, sind noch in weiter Ferne. Ob und wie wir es schaffen, dorthin zu kommen; das herauszufinde liegt an uns allen!

Demo gegen den EU-Gipfel

In Kürze: Beim EU-Gipfel in Salzburg wurde die Stadt zur Polizeihochburg. Besprochen wurde ein noch härtere Abschottung Europas – wenn auch ohne Ergebnisse. Es gab eine große und lautstarke Demo dagegen. Nicht teilnehmen konnten Genoss*innen aus München, die an der Grenze festgehalten wurden. Nach dem Ende eskalierte die Polizei. Es gab mehrere Festnahmen und Verletzte, aber auch viel Solidarität. Eine Person saß zwei Wochen in U-Haft. Eine andere Person von der Seenotrettung Sea Watch schaffte es, seine Rede, die er eigentlich bei der Absclusskundgebung halten sollte, vom Gefangenentransporter aus zu halten:


Ausführlich:
Am 19. und 20.September trafen sich die 28 Ministerpräsident*innen in Salzburg zu einem informellen Gipfel. Besprochen wurde eine noch stärkere Abschottung Europas. Diese Art von Politik führt zu Tausenden Toten an den Grenzen Europas. Zwar gab es bei dem Treffen keinen formellen Beschluss, es gab aber auch keine offiziellen Widerspruch. Das Sterben im Mittelmeer mit mehr als 30 000 Opfern ist offizielle EU-Politik.

Bei zwei Demos wurde dieser Politik immerhin symbolisch widersprochen. Am Mittwoch Abend wurden bei eienr Aktion, an der ca. 400 Menschen teilnahmen, die Namen der Ertrunkenen verlesen. Für den Donnerstag wurde zu einer Großdemo mobilisert.
18 Genoss*innen aus München waren nicht dabei, ihnen wurde die Einreise verweigert. Im Zuge des Gipfels wurde die Reisefreiheit eingeschränkt, es gab wieder Passkontrollen. Salzburg glich generell einer Polizeifestung. Es waren 1750 Polizist*innen im Einsatz. Unterstützung bekamen sie von 850 Soldat*innen und 24 Bundesheer – Flugzeugen. Weite Teile der Innensatdt waren Sperrzone und konnten nicht betreten werden. Sie konnten aber militante Aktionen im Vorfeld nicht verhindern.

Vor der Großdemo gab es ein Hearing von Afrcique-Europe-Interact. Sie protestierten dagegen, dass die Grenzkontrollen in den afrikanischen Raum verlagert werden. Schon jetzt endet die Reise durch die Sahara für viele Refugees tödlich. Durch die vermehrten Entrechtungen, Kontrollen und Rückweisungen steigt die Zahl der Opfer. Dieser Themenkomplex wird hier in Europa fast gar nicht diskutiert.

Kurz nach 14:00 bewegte sich die Demo vom Bahnhof in die Innenstadt . Es war eine diverse Menge, wo der schwarze Block neben Kindern, Omas neben Schülerin bei der ersten Demo. Thematisch dominierte das Thema Seenotrettung, visuell durch die Farbe Orange zum Ausdruck gebracht (so gab es genau genommen keinen schwarzen Block, sondern einen schwarz-orangen). Es wurde aber auch Klimagerechtigkeit eingefordert, die EU-Aufrüstung kritisiert, Gemeinwohl propagiert, etc. Die Demo war damit um einiges vielfältiger als die Gipfelinszenierung.

Gleich von Anfang an gab es laute Parolen, viel Rauch und ein paar Böller. Vereinzelt wurde aus der Demo heraus gesprayt. Ein Haus der Burchenschafter, das auf dem Weg lag, wurde verschönert. Außerhalb der Demo gab es einige Transpi-Aktionen. Eines hatte es sogar (ganz klein, aber dennoch) auf das offizielle Abschlussphoto der EU-Spitze geschafft.

Es gab ganz unterschiedliche Reaktionen auf den Protest. Eine alte Frau versuchte, dem schwarz-orangen Block ein Transpi zu entreissen, ein anderes Mal wurden von oben Plastikflaschen auf die Demo geworfen. Es gab aber auch viel positivern Zuspruch. Generell war der „Gaff-Faktor“ recht hoch.

Die Polizei war anfangs defensiv aufgestellt. Nur wenige Einheiten begleiteten die Demo. Aber die Wege Richtung Mozarteum, wo sich die Staatsspitzen trafen, waren stark abgesperrt. Erst als die Route die Innenstadt verließ -und sich damit auch vom Gipfel wegbewegte- gab es Wickel. Die Polizei blockierte die angemeldete Route, und wollte die Menschenmenge durch eine kleine Gasse umleiten. Es kam zu einem eher symbolischen Durchbruchversuch, der von der Polizei zurückgeschlagen wurde. Dabei wurde ein Grün-Abgeordneter verletzt. Nach einem längeren Stand-Off gab die Menge nach, und nahm die Ausweichstrecke. Kurz darauf gab es noch eine ID-Kontrolle.

Das war es dann aber auch schon. Am späten Nachmittag kam die Demo an ihrem Endpunkt, dem Volkspark an. Es war ein warmer spätsommerlicher Tag. Einige Protestierer*innen ließen den Tag mit einer Teichparty ausklingen. Es war ein schönes Ende eines langen Protestes ,wenn, ja wenn die Polizei nicht wäre.

In diese Stimmung, in der die Menschen den Tag Revue passieren lassen,in der viele die Rückreise plannte, in der in der Sonne gechillt, bei der Abschlusskundgebung Musik spielte, platzte die Nachricht, dass es einen Kessel 50 Meter entfernt gibt.

Hunderte Mensche machten sich auf und solidarisierten sich mit den Festgesetzen. Die Polizei vor Ort war überfordert; es wurde geschubst und geschlagen. Nachschub wurde heranbeordert. Mehrer Menschen wurden ohne ersichtlichen Grund festgenommen. Eine Person wurde in den Gefangentransporter gesteckt. Doch der Wagen wurde umgehend von solidarischen Menschen gestoppt. Vor und hinter dem Gefährt bildeten sich Sitzblockaden. Die Situation eskalierte erneut. Die Polizei inkl. WEGA setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Mehrere Menschen wurden verletzt. Dennoch, der Transporter wurde weiter blockiert. Gleichzeitig wurden im Park bei Abschlusskundgebung willkürlich Personalien gesammelt. Als Grund für die ganze Aktion fantasierte die Polizei einen Angriff mit Eisenstangen herbei – einen Tag später ruderte sie halbherzig zurück.

In den nächsten Stunden bewegte sich wenig. Es kommt noch zu vereinzelten Schubserein, aber zu keiner erneuten vollkommenen Eskalation. Es gab viel Solidarität.Und die zahlte sich aus: Kurz nach sieben Uhr wurde ein Mensch aus dem Gefangenentransporter frei gelassen. Es bildete sich noch eine Spontandemo zum PAZ, wo zwei Menschen festgehalten wurden, an der sich immerhin noch an die 60 Menschen beteiligten. Vor dem Knast kam es erneut zu Angriffen durch die Polizei. Eine weitere Person wurde festgesetzt.

Die Repression in Zahlen: 18 Menschen wurden an der Grenze festgehalten. Laut Rechtshilfe gab es 4 Festnahmnen, laut Polizei waren es sogar 11. Die Demosanis haben bei rund 40 Menschen Erste Hilfe geleistet; 4 Menschen wurden im Spital behandelt. Eine Person war zwei Wochen in U-Haft. Sie kam gestern frei.

Fazit: Die Gipfeltage in Salzburg waren Polizei und Repressionsfestspiele, die wenig Spielraum für widerständische Aktionen ließ. Im Rahmen des Möglichen gab es eine kräftige, solidarische, große und diverse Demo mit kleineren Aktionen nebenher. Als die Polizei frei drehte, konnte der Polizeigewalt mit Solidarität und zivilen Ungehorsam Grenzen gesetzt werden. Dennoch gab es mehrere Anzeigen, viele Verletzte und eine Person, die noch im PAZ sitzt.

Update: Eine Person saß zwei Wochen in U-Haft. Für sie gab es ein paar kleinere Soliaktionen. Sie kam gestern frei. Dennoch: Es gab mehrere Anzeigen. Solidarität bleibt weiterhin wichtig.

Zum Abschluss gibt es noch Bert Brecht:

„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“

Ein Blick zurück- Die Salzburger Demos gegen den WEF Gipfel 2001/2002

Morgen ist es soweit: Gipfel und damit auch Gipfelproteste kehren nach Salzburg zurück. Diesemal ist es der EU-Gipfel der Regierungsschef. Thema wird die Abschottung Europsa sein. Die Proteste sind stark antirassistisch geprägt. Damit werden bei einigen Erinnerungen an die Proteste gegen die WEF-Gipfel 2001 und 2002 wach werden.
Der Blick zurück hat immer etwas Gefährliches. Zu leicht wird die Vergangenheit verklärt, und damit die gute, alte Zeit gegen das Heute, wo ja eh nichts geht, ausgespielt. Da soll nicht Ziel dieses Artikels sein. Vielmehr soll es um eine lebendinge Geschichte gehen, und darum Traditionen (Kitschspruch: Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche!)

2001
„Salzburg im Ausnahmezustand“. Das waren die Schlagzeilen vor den ersten großen Gipfelproteste. Und das war mehr als nur Angstmache. Die hieseige Linke hatte durch die Proteste gegen Schwarz-Blau Rückenwind, und international war die Anti-Globalisierungs-Bewegung auf ihren Höhepunkt. Es wurde ein „summer of resistance“ ausgerufen, der die Proteste von Göteborg, Salzburg und Genua verband.
Dementsprechend nervös war die Polizei. Die Demo am 1.Tag des Gipfels war verboten. Nur eine Kundgebung am Hauptbahnhof war erlaubt. Zu der kamen auch ca. 1000 Menschen, vor allem aus dem radikalen Spektrum. Dank des „Summerof Resistance“ war es eine durchwegs internationale Menge, die sich traf. Die Demo ließ sich logischerweise nicht verbieten, sie setzte sich Richtung Tagungsort in Bewegung. Die Polizei ließ sie anfangs gewähren. Sie nutze aber den Bahndamm, um die Konferenz zu sichern. Hinter dem Damm begann die Sperrzone. Die Durchgänge waren martialisch abgesperrt. Die Demo ließ sich davon aber nicht beirren. Sie suchte einfach andre Wege, und tatsächlich der dritte ode rvierte Durchgang war frei.
Ein Gerenne Richtung Kongresshaus setzte ein. In der Sperrzone stellte sich eine Gruppe Polizei im Weg. Daruf folgte ein kurzer, aber heftiger Bewurf. Die Polizei reagierte geschickt: Sie sah ein, dass sie unterlegen war; machte eine Unterwerfungsgeste und zog sich zurück. Die Demo stellte den Bewurf ein, drängte aber der Polizei nach. Das war leider ein Fehler. Plötzlich waren vorne und hinten WEGA, die Falle schnappte zu, und die Demo sass Stunden lang im Kessel. Der wurde immer enger gezogen, die WEGA ist regelmäßig rein und hat willkürlich Leute rausgezogen. Am späten Abend wurden alle (mit Ausnahme der SJ) oberflächlich kontrolliert und zum Bahnhof gebracht. Insgesammt gab es 11 Verhaftungen und 70 Anzeigen. Darunter war ein Mann vom Friedensbüro, der beim Versuch zu Vermitteln festgenommen wurde.

2002
Ganz anders die Situation 2002. Schwarz-Blau I war gerade gescheitert, es standen Neuwahlen vor der Tür (Es wurde schwarz-orange, welch große Verbesserung). Die Gipfeln wurden verschoben. Sie fanden in kleineren Orten und nicht mehr am Wochende statt. Und innerhalb der Anti-Globalisierungsbewegung setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass es taktisch klügere Entscheidungen gibt als den Mächtigen hinterherzureisen und von einem Großaufgebot von Polizei empfangen zu werden.
Ursprünglich wurde die Großdemo am Samstag verboten. Diesmal aber sprang das Salzburg Social Forum -dominiert von Attac &Co. -ein. Sie meldete eine Demo, welche vom Konferenzzentrum weg führte, an. Es war eben Wahlkampfzeit, und es gab ein Interesse an den alternativen Stimmen. Dabei sollten aber möglichst alle Bilder des Konfliktes und der Gewalt vermieden werden. Es wurde eine ereignislose Graoßdemo, an der ca. 5000 Menschen teilnahmen. Den Tag zuvor gab es eine antirassistische Demo, an der ca. 1000 Menschen teilnahmen. Beim Alternativgipfel diskutiuerten Vertreter (es waren nur Männer) von Attac und Wef miteinander. Hööhepunkt war ein Widerstandsfest im Volkspark, wo es mit Chumbawamba und der Volxtheaterkarawane auch radikale Gegenpositionen gab. Am Montag, als der gipfel began, demonstrierten nochmal 100 Menschen dagegen.

Anmerkungen
Das war der Blick zurück, die Berichte von gestern. Damit es aber nicht ganz so verstaubt wirkt, gibt es noch ein paar Anmerkungen.

Antirassismus ist wohl die thematische Klammer, die die kommenden und die vergangenen Proteste verbindet. In der klassischen Antiglobalisierungsbewegung wurde eine Verbindung von ökononmischer Ausbeutung und Migartion gesehen – so nach dem Motto „Kommen Sie nach Europa, ihre Ressourcen sind schon da.“ Der neoliberale Welthandel sorgt für offene Grenzen für Güter, für Menschen, die in den Norden wollen, hat er nur Stacheldraht und Mauern über. Durch neue inter-/transnationale Organsiationsformen (z.B. Peoples Global Action) gab es innerhalb der Protestbewegung für selbstorganisierte, antirassistische Strimmen Aufwind. Bei den „Gipfeltagen“ gab es meist auch eigene antirassistische Demos. Auch wen sich der Fokus geändert hat, jetzt die Seerettung im Mittelpunkt steht, das Thema ist gleich geblieben.

Eine ander Klammer ist die linke Kritik am Event – Charakter. Durch eine einmalige spektakuläre Konfontation mit der Polizei werden Bilder einer Größe und Radikalität herbeigezaubert, die die Bewegung (en) nie hat(ten). Gleichzeitig gibt es kaum ein Konzept, wie der steigenden Repression, die so sicher wie das Amen im Gebet bei den Gipfeln zuschlägt, begegnet werden kann. Im Vorfeld des Gipfels 2002 wurde das Vermummungsverbot bei Demos eingeführt – in der Zwischenzeit ist es so normal geworden, dass es zu einem Burkaverbot im öffentlichen Raum aufgeblasen wurde. Und manche Diskussionen, die nach dem g20-Gipfel in Hamburg stattfanden, gab es in ähnlicher Form 2002 auch schon. Immerhin gibt es Anzeichen, dass es bei den jetztigen Protesten besser wird. Es gibt zwei Gegengipfel mit einem ansprechendem Programm, es gibt die Einbettung in eine längerfristige „Seebrücke“-Kampagne. Hier gibt es auch ein positives Beispiel: Als die Volxtheaterkarawane in Genua 2001 verhaftet wurde, die damailge InnenministerIn sie als amtsbekannte Störenfreidas bezeichnete und der itlaienischen Folterpolizei half, gab es eine breite und lang andauernde Solidaritätswelle. Es war ein Mitgrund, warum sie später nicht Präsidentin wurde. Die Verfahren gegen die Karawane wurden 9 Jahre später (!) eingestellt. Solidarität und Sturköpfigkeit zahlen sich aus!

Und zum Abschluss muss noch die Mediennutzung erwähnt werden. Bei den Gipfeln gab es ein Convergence Center, eine Art kostenloses Internet Cafe. Kurz vor dem Gipfel 2001 ging austria.indymedia.org online. Das ganze diente dazu, Aktivist*innen Zugang zu den Medienkanälen zu geben, so Berichterstattung von unten zu ermöglichen und den Polizei- und Medienberichten etwas entgegen zu setzen. In den nächsten 10 Jahren (mit Unterbrechungen) war indymedia die wichtigste linke Medienplattform in Österreich.