Sicherungshaft


Bei der momentanen Diskussion um die Sicherungshaft kommen bei mir Erinnerungen hoch. Ich gehöre nämlich zur kleinen, exklusiven Minderheit, die diese tolle Idee schon vorab testen durfte.

Winter 2002: Die linke Szene mobilisiert zu Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz. Motto: Von Genua nach München. Die Stadtoberen geraten deswegen aus dem Häuschen. Sie befürchten eine Horde Globalisierungsgegner*innen, die schwarz vermummt die Stadt in Schutt und Asche liegen – mensch kennt diese Gefahrenprognosen ja zu Genüge. Folgerichtig wird praktisch jede Demo, fast jede Kundgebung verboten. Am ersten Protesttag – Freitag, 1.Februar, für die, die es genau wissen wollen – räumt die Polizei eine Kundgebung von 2000 Leuten. Die ersten Leute kommen in Unterbindungsgewahrsam, dem bayrischen Pendant zur Sicherungshaft.
Am nächsten Tag: Praktisch alle Kundgebungen sind verboten. Aber ATTAC kann einen Infotisch weit abseits des Zentrums machen. Wir, eine kleine Gruppe Punks, gehen dorthin, um eventuell Infos zu bekommen. Doch nein, dort herrscht helle Aufregung. Einer aus unserer Gruppe hat ein Bier mit. Und das ist laut polizeilichen Auflagen ja verboten. Die panischen Attacis verweisen uns von der Kundgebung. Draußen wartet schon die Polizei, die uns frisch, fromm, fröhlich, frei in Unterbindungsgewahrsam nimmt. Wir könnten ja an einer nicht genehmigten Demo teilnehmen. Funfact: Das Alles passierte auf der Münchner Freiheit. Symbolisch für die Freiheit, die sie meinen.

Nicht nur wir, auch 850 andere Menschen sind an diesem Wochenende eingefahren. Wegen einem Demonstrationsverbot, dass – welch große Überraschung- wenige Monate später gekippt wurde. Die brandschatzenden Horden blieben – mensch möchte fast sagen leider- aus. Das Demoverbot konnte die Polizei übrigens nicht durchsetzen. Es gab eine ganze Reihe, meist kurzer, Spontis. Manche endeten in einem Kessel. Als Krönung der Polizeifestspiele umstellten sie am Abend das Gewerkschaftshaus – das erste Mal seit 1933.

Uns ist relativ wenig passiert. Wir durften eine Nacht in dem Hotel mit den vergitterten Fenstern schlafen. Doch das wars auch schon. Es gab keine Verhandlung, keine Strafe, keine Verwarnung, gar nix. Und die simple Freiheit, auf der Straße zu gehen, fühlte sich selbst nach dieser Nacht wirklich intensiv an. Doch die Geschichte zeigt schon, wie absurd das Ganze ist: Wegen einem Bier auf einer angemeldeten Kundgebung kommt eine ganze Gruppe in Gewahrsam. Dank einer Gefahrenprognose, die an den Haaren herbeigezogen ist. Dank einer bewussten Panikmache, die eine ganze Stadt trifft. Dank Demoverbote, die später aufgehoben werden.

Und nein, das ist kein Ausrutscher, das ist kein Missbrauch irgendeines Gesetzes. Haargenau so soll Unterbindungsgewahrsam, so soll Sicherungshaft wirken. Es soll Unsicherheit schaffen, es soll Angst verbreiten. Denn es kann alle treffen. Natürlich vor allen die, die den Mund aufmachen, die die Ungerechtigkeiten nicht ertragen und sich dagegen wehren. Also ist es besser, die Füße still zu halten, nicht aufzufallen. Sicherungshaft ist ein Mittel, um Gehorsam herzustellen.

Das, was momentan in Österreich geplant wird, hört sich schlimmer an. Es ist zwar noch nichts Konkretes bekannt, doch die bisherigen Wortmeldungen verheißen nichts Gutes. Es geht jedenfalls nicht um ein stunden- oder tageweises Einsperren, sondern die Betroffenen sollen Monate oder gar Jahre weggesperrt werden. Treffen soll es „gefährliche Menschen“. Die Gefährlichkeit soll von Psycholog*innen (!), aufgrund von Internet-Recherchen (!!) oder gar aufgrund des Herkunftslandes (!!!) festgestellt werden. Momentan gibt es eine ziemlich absurde Diskussion darüber, ob diese „nur“ für Asylwerber*innen oder auch für Österreicher*innen gelten soll. Für die Law & Order-Fraktion von ÖVP und FPÖ ist die verdachtsunabhängige Haft ein feuchter Traum. Da aber auch die Oppositionspartei (oder sollte besser von Blockpartei die Rede sein?) SPÖ mitmischt, kann es für uns ein böses Erwachen geben.

Es ist egal, in welcher Form die Sicherungshaft kommt: In jedem Fall ist es ein Angriff auf unser aller Freiheit. Es ist höchste Zeit, dass wir uns zusammenrotten, und diesen Wahnsinn stoppen!