[Wien] A Reason to Party? Spontandemos gegen die Regierung

Anfang Oktober stand die politische Welt in Österreich Kopf. Durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurde bekannt, wie stark die ÖVP unter Kanzler Kurz ein System der Medienkorruption aufgebaut hatte, um sich selbst in einem guten Licht präsentieren zu können. Es gab mehrere Hausdurchsuchungen, auf die eine veritable Regierungskrise folgte. Schlussendlich musste Kurz zur Seite treten. Er bleibt jedoch als Parteiobmann die wichtigste Person der ÖVP, und wechselt in das Parlament. Neuer Kanzler wird Alexander Schallenberg, ein Hardliner und Kurz-Vertrauter.
Im Laufe dieser Entwicklungen kam es auch zu drei Spontan-Demos. Am Donnerstag, dem 7.Oktober, dem Tag nach den Hausdurchsuchungen, versammelten sich ca. 7000 Menschen vor der ÖVP-Zentrale. Zu Beginn war es durchwegs eine kämpferische und lautstarke Kundgebung. Problematisch war, dass die einzige Initiative vom Lauti, organisiert von Links Wien und SP-Vorfeldorganisationen, ausging. Von dort kam auch die Info, dass am Ballhausplatz, nur wenige Gehminuten entfernt, wichtige ÖVP-Verhandlungen stattfinden würde. In Kleingruppen bewegten sich Menschen dorthin; schlussendlich waren ca. 500 Menschen vor Ort. Der Platz wurde jedoch von vielen Gittern und Polizist*innen abgesichert, so dass die Menge sich nochmals ein paar Meter weiter zum Parlamentsgebäude am Held*innenplatz weiterbewegte. Dort verwandelte sich die Demo in eine Party, die sich langsam auflöste. Getroffen haben sich dort jedoch nur SPÖ-Politiker*innen; die ÖVP verhandelte Kilometer weit weg in ihrer Parteiakademie in Meidling.
Am Samstag, als Kurz zur Seite trat, gab es die nächste Demo. Am Ballhausplatz versammelten sich mehr als 500 Menschen. Dort wurde das Kunststück zusammengebracht, in den Reden den politischen Schachzug scharf zu kritisieren, gleichzeitig aber zum Feiern aufzurufen. Auch diese Kundgebung ging schnell in eine Party über.
Am Dienstag, 12.Oktober, gab es eine Sondersitzung des Parlaments, bei der ursprünglich ein Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz geplant war. An diesem Tag war eine größere Kundgebung, die von nahezu zwanzig verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen organisiert war, geplant. Schlussendlich kamen nur ca. 700 Personen. Die meisten bleiben aufgrund der gefallenen Entscheidungen und des schlechten Wetters nur kurz.
Etwas mehr Wut und Energie, etwas mehr Selbstorganisation und etwas mehr Plan hätte den Protesten gutgetan. Auch etwas weniger Party und Hedonismus wäre angebracht gewesen. Denn objektiv gesehen gibt es kaum einen Grund zum Feiern. Es ist schon schlimm genug, dass wir den Ist-Zustand gegen autoritäre Angriffe verteidigen müssen. Wenn selbst das nicht oder nur unzureichend gelingt, ist das kaum ein Grund zu feiern.
Die autoritären Verhältnisse wirken auch auf die Demos selbst aus. Die schwache Mobilisierung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bald klar war, dass die Entscheidungen nur von wenigen Menschen gefällt wird. Ein „Druck von der Straße“ hatte bald keinerlei Bedeutung. Nur unmittelbar nach Bekanntwerden der Hausdurchsuchungen war der weitere Verlauf noch offen war: Es war immerhin denkbar, dass ein öffentlicher Aufschrei zu politischen Veränderungen beitragen könnte. Zu dieser Kundgebung kamen auch mehrere tausend Menschen. Die Aktionen danach hatten nur noch symbolischen Charakter.
Es soll hier aber nicht der Eindruck entstehen, dass Partys per se schlecht sind. Ein Aktivismus, der nicht zumindest auch lustvoll ist, ist nicht zielführend. Aber die eigene Ohnmacht abzufeiern ist nochmal ein ganz anderes Ding.

If I can’t dance to it, it’s not my revolution!
If I only can dance to it, there is no revolution!

Eindrücke von den Lobau-Protesten

islang gibt es noch wenig subjektive Berichte vom Camp und der Besetzung im Zusammenhang mit der Lobau-Autobahn. Seit gut zwei Wochen gibt es in Hirschstetten ein legales Camp. Kurz darauf wurden drei Baustellen besetzt. An anderen Orten wird jedoch die Stadtstraße, die die Südosttangente mit dem neuen Stadtteil Aspern Seestadt und der noch zu errichtenden Lobau-Autobahn verbinden soll, weitergebaut. Momentan ist die Stimmung dort entspannt. Politik und Betreiber*innen warten wohl auf die kalte Jahreszeit in der Hoffnung, dass sich dann nur noch wenige Besetzer*innen dort befinden, und diese sich leicht räumen lassen.

Die Besetzung lag schon länger in der Luft. Bei Umweltdemos diesen Frühling wurde mehrfach klar gemacht: „Wird gebaut, wird besetzt!“ So ist es jetzt ein schönes Gefühl, dass die Aktionen endlich begonnen haben.
Camp und Blockaden befinden sich in Hirschstetten, einer verschlafenen Vorstadt-Gegend. Das ist leider bei weitem nicht so atmosphärisch wie ein Camp im Auwald, lässt sich aber nun mal nicht ändern. Dennoch ist vor Ort ein schönes Ambiente. Von den Anrainer*innen gibt es einiges an Support, die wenigsten von ihnen haben Lust auf die Lärmhölle Autobahn. Komische Blicke gibt es auch, aber nicht besonders oft.

Die Dynamik vor Ort ist durchwegs positiv. Anfangs waren es eher wenige Aktivist*innen. Doch dank guter Vernetzung, erfolgreicher Mobi und besten Herbstwetters werde es ständig mehr. Mein Gefühl ist, dass hier was echt Gr0ßes entstehen kann. Vor allem bei manchen der Events (z.B. Baustellenkonzert) finden schon jetzt mehrere hundert Leute den Weg in die verschlafende Vorstadt. Normalerweise sind es ein paar dutzend Menschen, die sich auf die vier verscheidenen Orte aufteilen. Es ist zu hoffen, dass jetzt, wo es noch ruhig ist, noch mehr Menschen nach Hirschstetten kommen; damit dann, wenn es stressiger wird, leichter (re)agiert werden kann.

Das Zusammenspiel zwischen beständigen Gruppen vor Ort und Unterstützer*innen, die manchmal vorbeikommen, funktioniert sehr gut und hat durchwegs Potential. So ist es möglich, dass zumindest kurzfristig sich viele Menschen an Aktionen beteiligen. Es ist möglich, auf der Baustelle und im Stadtzentrum gleichzeitig präsent zu sein. Schon jetzt tauchen mehr und mehr Plakate, Stickers und Graffitis mit Lobau-Bezug auf. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es hier in Zukunft zu Problemen kommen kann. Auf der einen Seite Dauerbesetzer*innen, wo es leicht zu Überforderungen kommen kann; eine hohe Fluktuation mit Problemen der Informationsweitergabe, der Entscheidungsfindung und der Organisation allgemein kommen kann. An dieser ein sehr allgemeiner, aber dennoch wichtiger Hinweis: Achten wir auf uns selbst, achten wir aufeinander! So können wir einen guten Protest-Spirist schaffen, der auch länger anhält!
Generell macht es Sinn, sich auf einen langen Kampf einzustellen. Die Betreiber*innengesellschaft ASFINAG rechnet mit einer Bauzeit bis 2025 – nur für die Verbindung zwischen Südosttangente und Lobau-Autobahn. Die beiden Straßen werden mehr als 25 km lang sein. Aus Wortmeldungen der politischen Kräfte im Hintergrund, der Bundes-ÖVP sowie der Wiener SPÖ, ist zu entnehmen, dass sie das Projekt unbedingt durchziehen wollen. Es wird also spannend bleiben.

Zum Schluss kommt nochmal die Bitte´, beim Camp und bei den Blockaden vorbeizuschauen. Es gibt auch ein Programm, meist ist es aber sehr kurzfristig geplant. Es sei hier aber auf zwei-drei größere Events hingewiesen:
17.September, 17:00 Schwarzenbergplatz: Critical Mass zum Lobau-Camp
24.September, 12:00 Praterstern: Klimastreik
25.September: Ergebnis der Evaluation des Lobau-Tunnels wird präsentiert. Davon wird

Pandemiebekämpfung mit Polizeiknüppel – nur nicht für Schwurbler*innen?

Machen wir uns nichts vor: Wir sind letzte Woche (1) in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung eingetreten – jene, die auf Pfefferspray und Polizeiknüppel setzt. In den letzten Tagen und Wochen mehrten sich die Polizeikontrollen von Menschen, die einfach nur am Karlsplatz oder in einem der Beserlparks sitzen. Betroffen sind vor allem marginalisierte Jugendliche. Ein Handyvideo, das die Tage die Runde macht, zeigt, wie die Polizei ohne ersichtlichen Grund einen Mann gegen die Wand knallt und ihn dann fixiert. Es ist nur die Spitze des Eisbergs. Eine Blockade, die eine Abschiebung verhindern wollte, wurde letzten Donnerstag, 28. Januar, hart aufgelöst. In Innsbruck wurde samstags eine antirassistische Demo gekesselt, 15 Menschen wurden tagelang festgehalten. In Wien wurde nahezu alle Demos, die für das Wochenende geplant waren, verboten. Machen wir uns nichts vor: Es wird in Zukunft sehr schwer werden, Demos mit mehr als 100 Teilnehmenden legal zu organisieren.

Die zunehmende Polizeigewalt ist die logische Konsequenz in diesem Stadium der Pandemiebekämpfung. Es gibt seit drei Monaten einen Lockdown, doch die Zahlen der Neuinfizierten geht schon lang nicht mehr zurück. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass sich weniger und weniger Menschen an die Beschränkungen halten. Zu lange müssen wir uns schon privat einschränken, während gleichzeitig im Arbeitsleben kaum Regeln gelten. Die Regierung hat hier nur die Wahl zwischen Aufhebung des Lockdowns, was aber Alternativkonzepte erfordern würde oder mit zunehmender Gewalt auf die Einhaltung der regeln zu pochen. Die Ereignisse der letzten Woche zeigten, welche Wahl getroffen wurde.(1)

Es gibt eine auffallende Ausnahme in diesem Repressionszirkus. Die „Querdenken“-Demo am Sonntag, dem 31. Januar, die von Rechtsextremen, bekennenden Nazis und Verschwörungstheoretiker*innen angeführt wurde, wurde zwar verboten, konnte aber dennoch stattfinden. Anfangs schaute es noch so aus, als wollte die Polizei mit dem Verbot, wenn auch vergleichsweise mit Samthandschuhen, Ernst machen. Die Menschen, die zuerst auf die Straße gingen, wurden gekesselt. Es gab mehrere Polizeiketten in den Straßen rundherum. Dennoch war es nicht überraschend, dass das Konzept der Polizei scheiterte. In der Vergangenheit hatte sie Mühe, Demos mit 1 000 Leuten aufzulösen. Es war zu erwarten, dass sie bei einer Demo mit 10 000 Teilnehmenden bald am Ende des Lateins sein würde. Viele Menschen entgingen der Einkesselung. Die Polizeiketten wurden umflossen. So bildeten sich kurz nach der Auflösung mehrere Spontandemos. Um 15:00, nach 2 Stunden Kessel, gelang schließlich den dort Festgehaltenen ein Ausbruch.

Der Erfolg der Schwurbler*innen wurde durch einen offen ausgetragenen Streit in der Polizeiführung erleichtert. Nach der letzten Großdemo am 16.1. kam es zu einem auch medial geführten Streit zwischen Innenministerium und Wiener Polizeiführung, was der richtige Umgang mit diesen Demonstrationen sei. Spätestens ab dem Durchbruch aus dem Kessel setzte sich jener Teil, der „Deeskalation“, also geheime und offene Verbrüderung mit den Rechten wollte, durch. Die Polizei ließ die Demonstration gewähren, regelte zeitweise nicht einmal noch den verkehr. Sie beschränke sich darauf, zwei kleine antifaschistische Blockaden zu räumen, und Journalist*innen und die wenigen Linken vor Ort zu kontrollieren. Die Schwurbler*innen nutzen die Chance. Sie zogen stundenlang kreuz und quer durch die Stadt. Dabei kam es wiederholt zu Angriffen auf Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen.

Hier ist eine brandgefährliche Situation entstanden. Es war nicht nur ein Riesenerfolg der Schwurbler*innen, sondern auch ein kleiner polizeilicher Putsch gegen das Innenministerium. Sie brachte ihre eigene politische Agenda heute klar zum Ausdruck. Zu befürchten ist, dass die Repression gegen Marginalisierte und gegen Protestbewegungen noch härter. Die einzige Ausnahme gilt den Schwurbler*innen – zumindest so lange der Streit innerhalb der Polizeiführung noch andauert. Sie können sich dennoch als Widerstandsheld*innen feiern, da sie ja das Demoverbot durchbrochen haben – was dieser Szene noch mehr Auftrieb geben wird.

Bislang beschränkte sich linke Kritik vorwiegend auf die ungleiche Behandlung von linken und rechten Demos. So naheliegend das ist, so verkürzt ist das auch. Natürlich ist ein kurzfristiges Einschritten der Polizei bei unmittelbarer Gefahr notwendig– was sie bei der Demo selten gemacht hatte. Doch die Forderung nach mehr Polizei, nach härteren Durchgreifen, nach mehr Verboten kann kaum ein politisches Programm sein. Auch als mittel- oder langfristige Strategie eignet sie sich nicht. Gerade in der letzten Woche zeigte sich: Wer Repression gegen Rechte fordert, bekommt Repression gegen Marginalisierte und Antifaschist*inne frei Haus mit. Der Schrei nach noch mehr Härte in diesem aufgeladenen Klima entlarvt nur die eigene Ohnmacht und Ideenlosigkeit.

Natürlich ist es wichtig, sich den Antisemit*innen, den Rassist*innen und den Verschwörungsideolog*innen entgegenzustellen. Doch genauso wichtig ist es, darüber hinauszugehen, eigene Ideen zu entwickeln, und eigene Schwerpunkte zu setzen, die eigene Basis wieder zu stärken. Die indirekte (ZeroCovid) und direkte Forderung (Reaktion auf #w3101) nach mehr staatlicher Gewalt ist eine Sackgasse, da sie nur die eigene Ohnmacht fördert. Es braucht eine klare Kante gegen staatliche und rechte Gewalt!

(1) Der Artikel wurde kurz in den ersten Februartagen kurz nach der Demo geschrieben. Leider brauchte das Korrekturlesen seine Zeit. Seither hat sich einiges getan: Die ersten Öffnungsschritte aus dem Lockdown widersprechen der These des Artikels nicht; gingen sie doch mit mehr Kontrollen und härteren Strafen einher. Wie sich die Skandale der letzten Zeit (Tirol, Kaufhaus Österreich, viennaattack-Untersuchungskommission, Hausdurchsuchung Blümel) auf das Verhalten der Polizei auswirken werden, werden wir sehen. Umgekehrt ist es so, dass eine Polizei, die die Befehle des Innenministers ignoriert, ein Beispiel dafür ist, auf welch wackeligen Beinen die Koalition steht.

Es liegt an uns, Abschiebungen zu stoppen!

Momentan gibt es einiges an Verschwörungstheorien rund um die Abschiebung von drei Familien nach Armenien und Georgien. Die ÖVP hätte das nur gemacht, um von der Schredder-Affäre abzulenken. Die ÖVP wollte die Grünen brüskieren, und ähnliches mehr.

Das ist alles gefährlicher Unsinn. Es lässt Abschiebungen wie eine tragische Ausnahme erscheinen. In Wirklichkeit sind sie Teil einer tagtäglichen brutalisierten Praxis der Festung Europa. Sie sind nicht viel mehr als ein gewöhnlicher Verwaltungsakt. So war auch diese Abschiebung anfangs auch nicht viel mehr als das – ein gewöhnlicher Vorgang. Die BFA , die für die verweigerte Aufnahme zuständige Behörde, bestätigt das in ihrer OTS-Aussendung zur Abschiebung:

„Trotz der COVID-19 Pandemie hat das BMI keine grundsätzliche Suspendierung bzw. Aussetzung von Abschiebungen vorgenommen und steht hierzu in engem Austausch mit Partnern auf EU- und internationaler Ebene.“

Daran änderte sich erstmal wenig, als Mitschüler*innen anfingen, zu protestieren. Rührselige Geschichten für den Boulevard, aber noch keine Störung in der Abschiebemaschine. Auch als Twitterprominete auf den Zug aufsprangen, Geschichten schrieben, und Druck auf de Grünen machten, machte das noch wenig Unterschied. Immerhin, die Grünen fühlten sich verpflichtet, bei ihren Koalitionspartner nachzufragen. Doch dieser sah sich nicht genötigt, den nervigen Protest des Juniorpartners ernst zu nehmen. Auch die nächtliche Protestaktion vor dem Abschiebeknast in der Zinnergasse lief noch wie gewohnt ab. Eine Sitzblockade wurde zuerst geduldet, dann aber schnell und hart geräumt. Die Familien wurden planmäßig abgeschoben. Wir kennen das Prozedere von vielen anderen Protesten. Nur selten gelingt es, Abschiebungen aufzuhalten.

Erst am nächsten Tag fiel der Ablauf aus den üblich gewohnten Rahmen. Bei dem Versuch, die Abschiebung noch zu verhindern , waren neben den Mitschüler*innen und den „üblichen Verdächtigen“ auch Politiker*innen und Twitterpromineten vor Ort. Die Geschichten rund um die Abschiebung wurden so viel massenhafter verbreitet als gewohnt. Sie trafen auf eine Stimmung vor allem unter den Grün-Wähler*innen, die sich in ihrer Hoffnung auf eine menschlichere Politik betrogen sahen. Die Grünen opferten den im Wahlkampf versprochene Anstand, das angekündigte Pochen auf Menschenrechte dem Festhalten an der Macht. Ein Erregungskorridor wurde geschaffen. Am Abend demonstrierten nochmal 1500 Menschen im strömenden Regen vor der ÖVP-Zentrale und dem Innenministerium. Sogar der Bundespräsident meldete sich zu Wort. Die Grünen waren zuerst auf Tauchstation, und redeten sich dann auf ihre Machtlosigkeit aus – was aus naheliegenden Gründen kaum überzeugend ist.

Die Folge dieser massiven Empörung; Die Koalition steht auf Messers Schneide. Es gibt viele Stimmen, die sich für die Rückkehr einer der Familien einsetzen – und sie haben sogar eine realistische Chance. Wer hätte gedacht, dass eine Abschiebung und der Protest dagegen so weite Kreise zieht? Das ist das Tragische an Verschwörungsmythen. Sie machen uns schwächer als wir sind. In den eingangs genannten Erzählungen sind wir nicht viel mehr als ein Spielball der ÖVP-Medienstrategie. Warum sind wir uns unserer Macht nicht bewusst? Es liegt an uns, Abschiebungen zu stoppen. Es liegt an uns, Regierungen zu stürzen. Es liegt an uns, Utopien Wirklichkeit werden zu lassen. Natürlich müssen die Umstände dafür günstig sein. Doch ob das der Fall ist, wissen wir immer erst im Nachhinein. Wir müssen es also immer wieder versuchen.

Wahrscheinlich wird der Skandal bald wieder von anderen Tagesthemen verdrängt. Und doch wird etwas bleiben: Die Erfahrung der Unmenschlichkeit, die Möglichkeit des Protestes dagegen, realpolitisch ein tieferer Riss in der Koalition. Es wird weiter gären, und anderer Stelle wieder aufbrechen. Wir müssen also wachsam und aktiv bleiben.
Zum Schluss noch ein fetter Shout Out an die Schüler*innen der Stubenbastei, die den Stein ins Rollen brachten. Und den Abgeschobenen viel Kraft und Mut!

Sendepause

Im Moment hab ich ein paar andere Projekte am Laufen, so dass dieser kleine, merkwürdige Blog mal auf Sendepause geht. Vielleicht (Wahrscheinlich, es ist nur eine Frage der Zeit) passiert ja wieder was, sodass ich das Bedürfnis verspüre, unbedingt wieder schreiben zu müssen. Bis dahin wird es hier aber wenig Neues geben.

Zum Schluss noch ein kleines Danke an die Leser*innen und Supporter*innen, ein großes an das Team von Autistici/Inventati für das Bereitstelllen radikaler Infrastruktur.
Mensch sieht sich immer zweimal im Leben!

[Splitter 4] Dow Jones auf Allzeithoch

Manche Meldungen muss mensch einfach zweimal lesen, so unglaublich klingen sie. Der Dow Jones ist auf einem Allzeithoch. Zum ersten Mal in der Geschichte überschritt er die „magische“ Grenze von 30 000 Punkten – und das mitten in der Krise mit Lockdowns, mit Rekordsarbeitslosigkeit, etc.
Ehrlich, ich hab keine Ahnung von Finanzmärkten, von Geldflüssen, von pipapo. Aber der Gedanke ist doch naheliegend, dass die Beiden, Krise und Aktienhoch zusammengehören. Dass es den Rekord nicht trotz, sondern wegen der Krise gibt.

Unvermeidliche Härte?

Ehrlich, ich bin ordentlich sauer wegen des zweiten, nun harten Lockdowns – und das obwohl sich das Ganze eh schon eine ganze Weile abgezeichnet hat.

1., „Wäre im Sozialbereich so viel getestet worden wie im Profisport, wäre uns der Lockdown erspart geblieben,“ so der durchwegs treffende Kommentar eines Kollegen. Aber hey, der Sozialbereich schafft ja keinen Mehrwert, deswegen ist Geld, dass da investiert wird, ja auch verloren – so das Credo des Kapitalismus neoliberaler Prägung. Der schlug unter dem Namen der „neuen Realität“ nach dem Ende der ersten Welle wieder voll zu. Die unsichtbare Hand des Marktes regelt alles. Deswegen braucht es möglichst wenig Staat. Selbst die Pandemie hat daran wenig geändert. Der Staat soll das Füllhorn über die armen, in Not geratenen Unternehmen ausschütten – mehr aber auch nicht.
Besonders deutlich wurde das in den Vorbereitungen des Bildungsbereiches: Die guten Ratschläge, Lüften und möglichst Unterricht draußen, haben den Vorteil, dass sie nichts kosten. Jede weitergehende Präventionsmaßnahmen wie das Anmieten größerer Räume, kleinere Klassen oder selbst der Ankauf von Luftfilteranlagen scheiterte an den Kosten. Ähnlich sieht es im Sozialbereich aus: Trotz leerer Hotels, trotz des Wissens um die Gefahr von Massenquartieren hat sich an der Situation von Refugees und Obdachlosen nichts geändert. Nach wie vor gibt es Quartiere, wo hundert und mehr Leute schlafen müssen, nach wie vor gibt es Schlafsäle, wo Abstand halten illusorisch ist. Es verwundert nicht, dass es dort immer wieder zu Corona-Ausbrüchen kommt.
Weitaus am tragischsten ist die Lage in den Pflegeheimen. Vor Corona waren es Orte des Absonderung. Unsere junge, hippe, mobile, liberale Gesellschaft wollte nicht den Problemen der Alten konfrontiert werden. Doch während der ersten Welle galt es plötzlich solidarisch zu sein mit den Alten, mit den Schwachen. Doch kam war die unmittelbare Gefahr vorbei, wurden sie wieder vergessen. Jetzt, mitten in der zweiten Welle, werden wir wieder aufgerufen, solidarisch zu sein. Die Hälfte der Toten sind aktuell Insass*innen von Pflegeheimen. Sie dürfen vergessen werden, sie dürfen schlecht gepflegt werden, aber eine schlechte PR – und viele Tote sind nun mal eine schlechte PR – dürfen sie nicht machen. Die Aussicht ist klar: Jetzt wird um ihr Leben gerungen, danach werden sie wieder aus dem Gedächtnis der Gesellschaft entfernt – mit den bekannten Folgen.

2., Symptomatisch mit dem Umgang ist die Farce rund um die Sonderbetreuungszeit. Zur Erinnerung: Es war vor allem die Wirtschaft, die die Schulen unbedingt offen halten wollte. Sie hatte Angst, dass so viele Eltern/Betreuende nicht mehr in die Arbeit kommen würden. Immerhin hatte die Regierung erst vor kurzem eine Sonderbetreuungszeit beschlossen, die im Falle von Schulschließungen könnten Eltern/Betreuende ihre Kinder zu Hause betreuen. Es kam, wie kommen musste, Die Schulen schlossen, die Sonderbetreuungszeit gibt es aber nicht. Das Schlupfloch: Eine Betreuung in den Schulen ist weiterhin möglich, sie sind also gleichzeitig offen und geschlossen. Die Eltern/Betreuenden müssen nun einmal mehr zum Wohle der Wirtschaft zaubern lernen: Arbeiten, Kinderbetreuung, Ersatzlehrer*in spielen, und das Ganze ohne die (legale) Möglichkeit, Freund*innen zu treffen oder mal bei einem Bier außerhalb auszuspannen. Mensch merkt hier den Wert des Menschen ganz klar.

3., Und überhaupt, was soll der ganze Scheiß? „Jeder Kontakt ist ein Kontakt zu viel.“ Das ist das Credo eines Psychopathen, vor kurzem feuchter Wunschtraum der Neoliberalen (Remember Margaret Thatcher: „ There is no such thing as society“) jetzt offizielle Linie der Pandemiebekämpfung. Dass der Mensch ein soziales Wesen ist, dass es auch und gerade in Krisenzeiten Begegnungen braucht, dass es die Möglichkeit sicherer Kontakte (draussen, mit Abstand) wird ignoriert. Ignoriert wird auch die Wissenschaft. Laut momentanen Stand ist Frischluft das beste Mittel gegen Aerosolkonzentration, und dadurch gegen Ansteckung. Der Rat müsste eigentlich jetzt lauten: „Leute, geht möglichst viel raus!“ und nicht „Sperrt euch zu Hause ein!“
So, mein Rant endet hier. Zum Schluss hab ich noch zwei kleine Bitten, die zwar phrasenhaft sind, aber ehrlich gemeint sind (und die natürlich zusammenhängen)

Passt aufeinander auf!
Lasst uns das System stürzen!

[Splitter 3] Geschmacksnerven verloren?

Lockdown 2.0 ist in Kraft. Diesmal gibt es ein besonderes Zuckerl für die (halb) geschlossenen Gastronomiebetriebe: Sie erhalten 80% des Umsatzes des Vorjahres. Spezielle Regeln gibt es für neu eröffnete Lokale. Dazu kommen spezielle Kurzarbeitsregeln; der Staat zahlt das gesamte „überflüssige“ Personal. Als kleine Draufgabe werden die Einnahmen aus Abholung und Lieferung, die ja weiterhin erlaubt sind, nicht gegengerechnet. Schon in der Vergangenheit gab es spezielle Förderungen für die Gastronomie wie den Wiener Gastro-Gutschein oder eine Senkung der Umsatzsteuer.
Nicht falsch verstehen, die meisten Lokale gehören sicher nicht zu den Krisengewinnern. Doch die aktuelle Regelung hilft den großen Lokalen mit viel Personal am meisten. Dort, wo der Wirt, die Wirtin selbst noch hinterm Budel steht, gibt es deutlich weniger Geld. Wenig überraschend, dass McDonalds, die wohl am meisten Geld bekommen werden, bereist an eine Expansion gedacht wird.
Durch die Finger schauen die Köch*innen, die Kellner*innen und das Küchenpersonal. Sie arbeiten so und so schon in einer Branche mit Dumpinglöhnen und schlechten Arbeitszeiten. Jetzt bekommen sie 80-90% des Lohnes, auf Überstunden und Trinkgeld müssen sie ganz verzichten. Für manche ist das ein herber Lohnverlust. Bei dieser Umverteilungspolitik hin zu den Eigentümer*innen kann mensch schon mal die Geschmacksnerven verlieren.

Update:
Wenig überraschend hat Gewerkschaft mit Alleinvertretungsanspruch einen Teil des Paketes, die Regelung zur Kurzarbeit, mitverhandelt. Doch möglicherweise war ihr das Ergebnis dann doch etwas peinlich. Jedenfalls haben sie im Anschluss noch eine Mini-Prämie von €100,- für die Arbeitrer*innen rausverhandelt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass selbst jetzt die Chefs gewinnen, und die Arbeiter*innen verlieren – wieder mal mit freundlicher Hilfe deiner Gewerkschaft….

Lockdown 2.0

Gehe in das Gefängnis
Gehe nicht über Los
Ziehe nicht Dm 4000 ein!

Ein neuer Lockdown
Eine Zeitreise zurück in den März
Nur diese Mal
ohne solidarische Nachbarschaftshilfen
ohne Klatschen um 18:00,
ohne dass die Überflüssigen
für systemrelevant erklärt wurden
und sie so gar kleine Prämien bekommen.
Ohne selbstgeleimte Plakate
als kleine Zeichen des Widerstandes

nur mit dem kalten Hauch der Repression

[Splitter 2] Der Wert von Applaus

Corona ist der größte Angriff auf die Arbeiter*innen zumindest seit dem Ende des real-existierenden Sozialismus (so real hat der leider nicht existiert, aber das ist einen andere Geschichte). Es ist natürlich nicht der Virus, sondern die Maßnahmen zur Eindämmung. Erschwert wird das ganze dadurch, dass es nur einen minimalen öffentlichen Diskurs über die sozialen Folgen gibt.

So verwundert es auch nicht, wie schnell die Sozialpartner ÖGB und WKO es schafften, den Wert von Applaus festzulegen.Hintergrund ist der neue Kollektivvertrag für Handelsangestellte – also für jene Menschen, die im Frühling noch als Held*innen bezeichnet wurden, die jeden Abend mit Applaus bedacht wurden. Sie bekommen 1,5% mehr Gehalt, das entspricht genau der offiziellen Inflation. Erfahrungsgemäß ist die Inflationsrate für Geringverdiener*innen, die sich aus dem Mini- und Mikrowarenkorb errechnet, höher.* Dazu kommt eine freiwillige Prämie. Konkret heißt das: Die Handelsangestellten bekommen für ihre Arbeit, die deutlich härter geworden ist, und die beachtliche Gewinne bei Lebensmittelkonzernen erwirtschaftet hat, einen Reallohnverlust. Dieses Ergebnis wurde gleich beim ersten Treffen der Sozialpartner erreicht. Der ÖGB zeigt, wo sein Herz schlägt: für die österreichische Wirtschaft mit fetten Gewinnen der Bonzen und nicht für die Besserstellung der Arbeiter*innen. In diesem Sinne:

Bitte weiterapplaudieren, hier gibt es nichts zu sehen!

* Für die,die es genau wissen wollen: Die Inflationsrate des Mikrowarenkorbs, der den täglichen Einkauf abbilden soll, ist deutlich höher als jener des VPI. Der Miniwarenkorb, der den wöchentlichen Einkorb widerspiegeln soll, hat jedoch eine andere Richtung,‘er ist sogar billiger geworden. Der Grund hierfür ist, dass die Spritpreise, die im Mikrowarenkorb nicht enthalten sind, jedoch nahezu ein Fünftel des Miniwarenkorbs ausmachen, deutlich nachgegeben haben. Vereinfacht gesagt: Das Leben ist teurer geworden, das Autofahren billiger.