Es liegt an uns, Abschiebungen zu stoppen!

Momentan gibt es einiges an Verschwörungstheorien rund um die Abschiebung von drei Familien nach Armenien und Georgien. Die ÖVP hätte das nur gemacht, um von der Schredder-Affäre abzulenken. Die ÖVP wollte die Grünen brüskieren, und ähnliches mehr.

Das ist alles gefährlicher Unsinn. Es lässt Abschiebungen wie eine tragische Ausnahme erscheinen. In Wirklichkeit sind sie Teil einer tagtäglichen brutalisierten Praxis der Festung Europa. Sie sind nicht viel mehr als ein gewöhnlicher Verwaltungsakt. So war auch diese Abschiebung anfangs auch nicht viel mehr als das – ein gewöhnlicher Vorgang. Die BFA , die für die verweigerte Aufnahme zuständige Behörde, bestätigt das in ihrer OTS-Aussendung zur Abschiebung:

„Trotz der COVID-19 Pandemie hat das BMI keine grundsätzliche Suspendierung bzw. Aussetzung von Abschiebungen vorgenommen und steht hierzu in engem Austausch mit Partnern auf EU- und internationaler Ebene.“

Daran änderte sich erstmal wenig, als Mitschüler*innen anfingen, zu protestieren. Rührselige Geschichten für den Boulevard, aber noch keine Störung in der Abschiebemaschine. Auch als Twitterprominete auf den Zug aufsprangen, Geschichten schrieben, und Druck auf de Grünen machten, machte das noch wenig Unterschied. Immerhin, die Grünen fühlten sich verpflichtet, bei ihren Koalitionspartner nachzufragen. Doch dieser sah sich nicht genötigt, den nervigen Protest des Juniorpartners ernst zu nehmen. Auch die nächtliche Protestaktion vor dem Abschiebeknast in der Zinnergasse lief noch wie gewohnt ab. Eine Sitzblockade wurde zuerst geduldet, dann aber schnell und hart geräumt. Die Familien wurden planmäßig abgeschoben. Wir kennen das Prozedere von vielen anderen Protesten. Nur selten gelingt es, Abschiebungen aufzuhalten.

Erst am nächsten Tag fiel der Ablauf aus den üblich gewohnten Rahmen. Bei dem Versuch, die Abschiebung noch zu verhindern , waren neben den Mitschüler*innen und den „üblichen Verdächtigen“ auch Politiker*innen und Twitterpromineten vor Ort. Die Geschichten rund um die Abschiebung wurden so viel massenhafter verbreitet als gewohnt. Sie trafen auf eine Stimmung vor allem unter den Grün-Wähler*innen, die sich in ihrer Hoffnung auf eine menschlichere Politik betrogen sahen. Die Grünen opferten den im Wahlkampf versprochene Anstand, das angekündigte Pochen auf Menschenrechte dem Festhalten an der Macht. Ein Erregungskorridor wurde geschaffen. Am Abend demonstrierten nochmal 1500 Menschen im strömenden Regen vor der ÖVP-Zentrale und dem Innenministerium. Sogar der Bundespräsident meldete sich zu Wort. Die Grünen waren zuerst auf Tauchstation, und redeten sich dann auf ihre Machtlosigkeit aus – was aus naheliegenden Gründen kaum überzeugend ist.

Die Folge dieser massiven Empörung; Die Koalition steht auf Messers Schneide. Es gibt viele Stimmen, die sich für die Rückkehr einer der Familien einsetzen – und sie haben sogar eine realistische Chance. Wer hätte gedacht, dass eine Abschiebung und der Protest dagegen so weite Kreise zieht? Das ist das Tragische an Verschwörungsmythen. Sie machen uns schwächer als wir sind. In den eingangs genannten Erzählungen sind wir nicht viel mehr als ein Spielball der ÖVP-Medienstrategie. Warum sind wir uns unserer Macht nicht bewusst? Es liegt an uns, Abschiebungen zu stoppen. Es liegt an uns, Regierungen zu stürzen. Es liegt an uns, Utopien Wirklichkeit werden zu lassen. Natürlich müssen die Umstände dafür günstig sein. Doch ob das der Fall ist, wissen wir immer erst im Nachhinein. Wir müssen es also immer wieder versuchen.

Wahrscheinlich wird der Skandal bald wieder von anderen Tagesthemen verdrängt. Und doch wird etwas bleiben: Die Erfahrung der Unmenschlichkeit, die Möglichkeit des Protestes dagegen, realpolitisch ein tieferer Riss in der Koalition. Es wird weiter gären, und anderer Stelle wieder aufbrechen. Wir müssen also wachsam und aktiv bleiben.
Zum Schluss noch ein fetter Shout Out an die Schüler*innen der Stubenbastei, die den Stein ins Rollen brachten. Und den Abgeschobenen viel Kraft und Mut!