Die Gewaltlosigkeit, die sie meinen

Die Identitären geben sich ja gerne betont gewaltfrei. Sie präsentieren sich als eine Art neue, aktivistische NGO, die keiner Fliege etwas zuleide tun könnten. Ihre Aktionen sind dementsprechend ausgelegt. Sie sind mediengerecht inszeniert, und vermeiden so Bilder der Gewalt. Auch wenn es in Einzelfällen zur Verfolgung von Kritiker*innen kommt, auch wenn es hier und dort zu Angriffen auf Andersdenkende kommt, so ist das Ausmaß ziemlich klein – vor allem im Vergleich zu den militanten Neonazis der 90er Jahren. Klar, die Angegriffenen und Verfolgten verdienen unsere vollste Solidarität.

Dem steht diametral die Gewalttätigkeit ihrer Messsage entgegen. Sie reden von Krieg, sie entmenschlichen ihre Gegner, sie predigen einen toxischen Männlichkeitskult. Im Kern lässt sich ihre Gewalttätigkeit auf die Frage zurückführen, was sie den gegen den „Großen Austausch“ machen wollen. Mensch kann getrost davon ausgehen, dass sich ein Herr Sellerie, eine Frau Rauhenfaser, oder wie sich die feinen Herren und Damen, die gerne einen auf rebellisch machen, sonst noch heißen, sich die Hände selbst nicht schmutzig machen werden. Sie werden sich nicht dem inständigen Bitten eines Kindes anhören, das nicht versteht, dass es jetzt seine Heimat verlassen muss. Sie werden sich nicht mit den Verzweiflungstaten jener auseinandersetzen, deren einzige Widerstandsmöglichkeiten Selbst- oder Fremdverletzung ist. Diese „Drecksarbeit“ werden sie anderen überlassen.

Im Kern ist ihre Gewaltlosigkeit also ein Abschieben der Verantwortung, eine Auslagerung der Gewalt. Damit sind sie nicht alleine. Der jetzige Bundeskanzler gewann seinen Wahlkampf mit der Behauptung, die Balkanroute geschlossen zu haben. Dass er damit Refugees in libysche Folterlager drängt, bleibt ausgeblendet. Doch nicht nur im Bereich des Rassismus finden sich Beispiele. Ich hatte neulich eine Diskussion über Umweltschutz mit meiner Mutter. Sie meinte, der sei hier gar nicht so schlecht, immerhin gibt es klare Flüsse und Seen. Dass das vor allem dank der Auslagerung gefährlicher Industrie nach Asien und Afrika passierte, wollte sie nicht einsehen.

Es lassen sich leicht noch mehr Beispiele finden. Die Trennung von Gewalt in der Sprache und Gewalt in der Tat hat eine lange Tradition. Es sicherte den Westen ein Image als kulturelle Elite der Welt, während die Verbrechen von Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus etc. im Dunkeln blieben. Es ist bis heute ein praktisches Werkzeug, dass zwei große Vorteile hat.

Zum einem sichert es den Hassprediger*innen den Eintritt in den kultivierten Diskurs. Diejenigen, die die Gewalt ausüben, haben diesen Vorteil nicht. Der Killer von Christchurch, der Mörder von Marcus Omofuma, die Folterknechte aus den lagern in Tripolis, ihre Stimme bleibt ungehört. Doch diejenigen, die diese Verbrechen mitzuverantworten haben, können ihre Hände in Unschuld waschen. Sie können den Diskurs ganz maßgeblich mitbestimmen.

Doch die Gewalt, die eben aus diesem Diskurs entsteht, bleibt im Verborgenen. Natürlich gibt es immer Meldungen und Berichte. Doch sie erscheinen dann seltsam losgelöst, als wäre sie eine Naturkatastrophe, für die niemensch verantwortlich ist. Es bleiben Einzelmeldungen, das Ausmaß der Verbrechen bleibt unbekannt. Wer von uns weiß schon, wie viele Tote es bislang an der Festungsmauer Europa gab? Hier, in diesem diskursiven Dunkeln, passieren die schlimmsten Ausbeutungen, von denen der „kultivierte“ Westen, und mit ihm seine Hassprediger*innen wieder profitieren können.

Uns, die wir diese Form der Gewalt ablehnen, bleibt nichts anderes über, als wieder und wieder darauf hinzuweisen, dass diese Form der Gewaltlosigkeit und die Gewalt zwei Seiten einer Medaille sind – so ganz im Sinne der alten Autonomen:
Menschen sterben, und ihr schweigt!
Scheiben klirren, und ihr schreit!