Der Cop in deinem Kopf

Ich hab heute eine kleine Fahrrad-Tour gemacht und dabei zwei bemerkenswerte Begegnungen gemacht.
Die erste war an einer Stelle, wo es zwei Wege gab, eine tendenziell für Fußgänger*innen, eine tendenziell für Radfahrer*innen. Ich fuhr langsam – ich hatte meinen Hund dabei – auf den „Fußgänger*innenweg“. Da kamen mir drei Menschen entgegen. Sie fuchtelten mit weit ausgestreckten Armen herum und sperrten so imaginär die Straße ab. Sie schrien lautstark: „Hier ist Rad fahren verboten!“. Noch bevor ich ein Wort sagen konnte, drohten sie mir schon mit der Polizei. Ich ignorierte sie weitgehend, fuhr langsam weiter, und nach nicht einmal einer Minute einseitigem Ärger war der Spuk auch schon wieder vorbei.

Ich hab ihnen geglaubt. Es wäre auch kein Problem gewesen, auf die vermeintlich richtigen Seite zu wechseln. Aber ich hatte nicht mal wirklich eine Chance, zu reagieren. Außerdem wollte ich partout nicht auf dieses repressive Verhalten einsteigen. 100 Meter später kam ich zu einem Schild. Demnach ist auf dem Weg sowohl Radfahren als auch Fußgehen erlaubt. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich die drei Wutbürger*innen blamieren können, aber darum soll es hier nicht gehen.

Kurze Zeit später kam eine Stelle, wo wenig Menschen unterwegs waren. Ich ließ also meinen Hund los. Ein Radfahrer kam mir langsam entgegen. Er deutete auf das Tier und sagte nachdrücklich, dass er angeleint werden müsse. Ansonsten sei eine Strafe von achthundert Euro fällig. Nach diesen zwei, drei Sätzen war er auch schon wieder verschwunden.

Was mich an diesen beiden Begegnungen verwunderte, war, mit welcher Selbstverständlichkeit sie zumindest geistig die Polizei um Hilfe riefen. Für sie ist es anscheinend klar, dass die Polizei IHNEN zu IHREM Recht verhilft – egal ob sie tatsächlich recht haben oder nicht. Außerdem brauchen sie sich so gar nicht mit dem tatsächlichem Gegenüber – also mit mir – beschäftigen. Ich hätte kein Problem gehabt, den Weg zu wechseln, ich hätte ohne Widerrede den Hund angeleint, wenn der Radfahrer gesagt hätte, dass er Angst vor ihnen habe. Aber statt Argumente und Auseinandersetzung einfach nur den Repressionshammer auspacken: Sorry, so funktioniert das nicht.

In diesem Sinne: Kill the Cop in your head!

Alltagsrassismus und ein Messer

Am 24.12. noch schnell die Nachrichten geguckt. Eine Meldung, dass es am Weihnachtstag ein Messerangriff in einem Zug gab. Zwei Menschen wurden verletzt. Der Angreifer war anscheinend psychisch auffällig. Und dann den Fehler gemacht, die Kommentare zu lesen. Im Standard, wohlgemerkt, der im Vergleich zu anderen Zeitungen eh noch harmlos ist. Die Meute geiferte. Das einzige, was sie interessierte, war die vermeintlich oder tatsächliche Herkunft des Täters. Viele wussten es natürlich schon. So ein Messermensch, noch dazu psychisch auffällig, das sind doch altbekannte Codes: Das war ein Flüchtling, ein Ausländer, ein Moslem ein Islamist. Die Meute stachelte sich selbst an – zum Glück nur digital. Worte des Beileids für die Opfer gab es nicht. Wenn interessieren schon die Opfer. Wir wollen uns wiedermal so richtig fürchten. Unser Leben ist dann nicht mehr ganz so wertlos, unsere traurige Internet-Existenz bekommt einen Sinn, wenn unsere Leute, unsere Werte und unsere Kultur bedroht werden. Dann können wir auch im Geheimen (noch?) Rachepläne schmieden. Angewidert wend ich mich ab. Der Computer bleibt zwei Tage aus.

Dann eine neue Nachricht: Eines der Opfer war ein junger Afghane. Er ist unmittelbar davor vom Angreifer rassistisch beleidigt worden. Ich mag das „Psychisch instabil“ übrigens nicht bezweifeln, aber das schließt doch ein rassistisches Tatmotiv nicht aus. Diese Schilderung kommt übrigens von einer Unterstützerin des Opfers, nicht von der Polizei. Und die Meute? Die ist weitergezogen. Kein Wort des Bedauerns. Ein Kloster wurde ausgeraubt. Die Täter sprachen deutsch mit ausländischen Akzent. Da wird es ja hoffentlich die richtigen Täter geben.

So, zum Schluss mal langsam: Es gibt diejenigen, die von der Angst profitieren. Die Law &Order Fanatiker*innen in der Politik, die Polizei, die Gefängniskomplex, die Asylindustrie (also, die, die mit Abschieben, Wegsperren, und Sichern Kohle machen): Die brauchen die Angst, um ihre Produkte verkaufen zu können. Auch die Medien gehören dazu, die wollen ihre Geschichten ja auch verkaufen.

Aber es gibt eben auch die Meute. Die keinen unmittelbaren Gewinn aus der Angstmache zieht. Aber sie will sich fürchten, Sie will Angst haben. Es gibt ihnen ein Kick, wenn es wieder einen Messerangriff gibt, wenn Flüchtlinge, wenn Islamisten zuschlagen. Dann können sie sich wieder ergeifern, dann können sie sich wieder wichtig machen. Dann bekommt ihre klägliche Existenz wieder Sinn. Meine Vermutung ist, dass die Menschen die Kontrolle über ihr Leben mehr und mehr verlieren, dass sie weniger und weniger bestimmen können, in welche Richtung ihr Leben geht. Das Symbol für diese Unsicherheit ist der Refugee. Und gleichzeitig spiegelt sich in der vermeintlichen und tatsächlichen Gewalt der Migrant*innen und Islamist*innen Allmachtsphantasien der Meute wider. Mensch Merz hat das anhand der Identitären sehr gut analysiert. Ich befürchte allerdings, dass diese Dynamik nicht nur für einen kleine Kreis rechtsextremer Kader zutrifft, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Damit der Artikel nicht ganz so beschissen endet, gibt es zum Abschluss noch ein buntes Lied der Meute:

Drasenhofen ist Normalität

Groß war in den letzten Tagen die Aufregung rund um Lager in Drasenhofen. Dort wurden unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, die als Unruhestifter gelten, in ein abgelegenes Lager gesperrt. Ausgang hatten sie nur 1 Stunde am Tag, und das nur in Begleitung eines Securities. Überwachungskameras, Securities, Stacheldraht rundeten das Bild eines Gefängnisses für Menschen, die nicht verurteilt wurden, ab. Nach einem Aufschrei und einem vernichtenden Bericht der Jugendanwaltschaft schloss das Heim seine Pforten nur ein paar Tag nachdem die ersten Jugendlichen dorthin verlegt worden sind. Bei diesem Erfolg sollte nicht übersehen werde, dass Drasenhofen nicht alleine dasteht. Es ist eine Verdichtung und Fortführung der Entrechtung, Isolation und Überwachung, aber keineswegs ein Einzelfall. Ganz im Gegenteil, es ist Produkt einer systematischen Entmenschlichung, die Schritt für Schritt Normalität wurde. Deswegen wird hier an ein paar andere, ähnliche Fälle erinnert:

Fieberbrunn ist ein Heim, dass alleine auf einem Berg steht. Der nächste Nachbar ist 3 km entfernt, der nächste Ort 7km. Die Abhängigkeit der Bewohner*innnen von den Betreuer*innen ist dementsprechend groß. Bekanntheit erlangte es 2014, als es einen rassistischen Angriff gab. Damals protestierten Bewohner*innen gegen ihre Isolation. Passiert ist denkbar wenig: Das Haus wurde damals von der Caritas betreut, in der Zwischenzeit ist das Aufgabe der gewinnbringenden Firma ORS. Jetzt werden Menschen mit negativen Asylbescheid dort untergebracht. Die Täter von 2014 wurden zu lächerlich geringen Strafen (300€) verurteilt.

Noch abgelegener ist das Heim Gabcinkovo. Im Sommer 2015, also noch bevor es zu dem großen Anstieg der Asylwerber*innen kam, sah Österreich sich außerstande, alle Asylwerber*innen adäquat unterzubringen. Es wurde also ein Abkommen mit der Slowakei geschlossen, dass in Gabcnkovo, ca. 30 km von der österreichischen Grenze entfernt, ein Heim geöffnet wird. Sprich: die Asylwerber*innen werden in der Slowakei untergebracht, Österreich entscheidet. Die Probleme, die das mit sich bringt, sind offensichtlich: Gibt es Zugang zur unabhängigen Rechtsberatung? Welche Einspruchsmöglichkeiten gibt es? Welche Möglichkeiten haben sie, die österreichische Gesellschaft kennenzulernen?

Das bekannteste Beispiel eines Isolationsheimes ist die Saualm in Kärnten. Für immerhin 4 Jahre waren dort, 17 km vom nächsten Arzt entfernt, vermeintlich straffällige Asylwerber untergebracht.

In einem viel größeren Ausmaß plant der Innenminister eine Isolation durch die Gründung einer „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen für Asylwerbende“. Dadurch soll eine private oder gemeinnützliche Versorgung, Rechtsberatung, etc. verunmöglicht bzw. stark erschwert werden. Der Kontakt zwischen Menschen, die schon länger hier sind, und Menschen, die hier neu angekommen sind, wird so deutlich erschwert. In Niederösterreich macht das gleiche der Landesrat Waldhäusl. Erst im September schränkte er die Freiheit, das Heim zu verlassen, stark ein. Wer dreimal bei Anwesenheitskontrollen fehle, verliere die Grundversorgung.

Um dieses System der Bestrafung und Isolation zu rechtfertigen, braucht es Vorverurteilung und Verleumdung. Wenn der zuständige Landesrat in seiner ersten Aussendung davon schreibt, dass 95% der Polizeieinsätze in Asylheimen stattfinden, so fragt mensch sich, was mit Lärmbelästigung, mit Raser*innen, Alkohol am Steuer, häuslicher Gewalt, etc. geworden ist. Auch die Aussage, dass ein Jugendlicher eine Krankenschwester fast totgeprügelt hatte, entpuppte sich als maßlose Übertreibung.
Auch diese Verleumdungen haben System. Erst vor kurzem wurde von der FPÖ fälschlicherweise ein Lehrling als IS-Sympathisant medienwirksam vernadert. Sie machten damit gegen die Möglichkeit, dass Asylwerber*innen eine Lehre machen können, mobil. Selbst nachdem ihr Fehler aufgedeckt wurde, entschuldigte sich die FPÖ nicht. Umgekehrt ist die FPÖ schnell dabei, Kritiker*innen anzuzeigen.

Drasenhofen gibt Hoffnung. Es zeigt, dass diese Politik der Isolation durchbrochen werden kann. In diesem Fall war es verhältnismäßig einfach. Es war ein schlecht vorbereiteter Alleingang eines cholerischen Landesrats mit katastrophaler Symbolpolitik (wir lernen: Stacheldraht geht gar nicht, administrative Formen der Überprüfung, die viel tiefer gehen, sind kein Problem). Dennoch brauchte es den Aufschrei einer Zivilbevölkerung, um das Lager zu schließen. Und es zeigt: Auch in anderen Fällen, auch an anderen Orten kann die Isolation durchbrochen werden!

Winterrant

Endlich ist es soweit: die Temperaturen steigen, die Tage werden länger, die Sonne lässt sich wieder öfters sehen, das Gras wird wieder grün: Der Frühling ist da. Doch bevor die Frühlingsgefühle überhand nehmen, gibt es hier noch einen Winterrant. Der hielt sich dieses Jahr auch lange und hartnäckig.

Gerade im Winter macht sich das Fehlen von Freiräumen in Wien schmerzlich bemerkbar. Und mit Freiräumen meine ich nicht die autonomen Hausbesetzungs-Freiräume, sondern das, was oft als „Commons“ beschreiben wird – also Orte, die „niemanden“ gehören, und die von allen mit geringen Zugangshürden benutzt werden können.

Im Sommer ist Wien eine echt angenehme Stadt. Die Donauinsel verwandelt sich in eine Urlaubsdestination für Daheimgebliebene, die Dechantlacke mit selbstgebauten Floß dient dabei als Rückzugsort für Alternative und Hippies. Es gibt ein viele Open-Air-Kinos, die meisten umsonst. Grillplätze können für lau gemietet werden,und auch sonst gibt es einige Umsonst & Draussen Parties.

Doch im Winter ist es ganz anders: Mit Glück ist an ein paar Tagen das Eislaufen an der Donau möglich. Noch seltener ist Rodeln und so möglich. Ansonsten bleiben fast nur teure Cafes oder das EinanderBesuchen in den Wohnungen. Das ist aber in manchen Fällen dank nerviger Nachbarn und engen Raumverhältnissen nicht so leicht möglich.

Und gerade im Winter hat das schwerwiegende Folgen. Hat mensch doch sowieso unter wenig Sonne und geschwächten Körper zu leiden. Und die wenigen Freiräume erschweren Sozialkontakte. So bleibt mensch im Kampf gegen die Winterdepression tendenziell allein.

An den wenigen Beispielen zeigt sich schon das Problem der Freiräume in Wien. Es sind großteils Orte, die sich daraussen befinden. Und da im Winter das Wetter bekannterweise meist schlecht ist, sind sie dann wenig nutzbar. Bei wettergeschützten Freiräumen schaut es dagegen schlecht aus. Dank der steigenden Immobilienpreise ist hier wenig Bewegung möglich.

Ein kurzer historischer Reminder: Das war nicht immer so. Beim Bau der ersten Gemeindebauten in der Zwischnekriegszeit wurde darauf geachtet, dass das Erdgeschoss soziale Funktionen erfüllt. In den 80ern wurden einige Freiräume erkämpft, die zum Teil bis heute bestehen (WUK, Arena, RsoLilaVilla, Burggarten). Doch dank einer steigenden Kommerzialisierung verlieren sie stetig ihe Funktion als Commons.

Auch der öffentliche Raum ist nicht frei von der Verwertungslogik, wie der momentane Kampf um den Donaukanal zeigt. Auch auf der Donauinsel, vor allem rund um die U6-Station gibt es mehr und mehr kommerzielle Vernastultungen. Gleichzeitig wir vor allem von rechter Seite ein Angstraum (Donauinsel: Alle Banden) herbeiphnatasiert, was in einer steigenden Präsenz von Securities und Polizei mündet. Aber die Donauinsel ist mehr als 20 km lang, und es gibt genug Raum, auszuweichen. So bleibt dort der Konflikt kalt. Anders am Donaukanal: Hier gibt es zumindest im innerstädtischen Bereich keinen Platz mehr für neue hippe Bars. Darum ist hier der Kampf auch (realtiv) heiß (soviele Aktionen gibt es nicht).

So, und jetzt hört der der Rant auf, immerhin ist der Winter ja vorbei. Und für die warme Jahreszeit gilt: Freiräume erkämpfen, genießen und verteidigen! Drinnen und Draussen, dann wird der Winter irgendwann auch wieder ertragbar!

Die Wut der Normalität

Wie fast jedes Jahr ging ich am Neujahrstag zur Mittagszeit mit meiner Kamera raus. Ich mag es, Photos von den Überbleibsel der Silvesternacht zu machen. Sie haben so etwas Melancholisches: Die Party ist vorbei, der Kater bleibt.

Doch dieses Jahr wurde ich bitter enttäuscht. Denn bereits um 12:00 waren so gut wie alle Spuren weggewischt. Die Parks waren zusammengeräumt, die Mistkübel leer, die Raketenreste weggebracht, die leeren Sektflaschen waren auf den Weg zum Recycling. Ich konnte es nicht glauben, und ging dann eine ziemlich große Runde durch die Stadt, doch überall war das selbe Bild. Es muss eine gewaltige Kraftanstrengung gewesen sein, denn noch wenige Stunden zuvor wurde gefeiert, geböllert und gesoffen, was das Zeug hält. Es müsse hunderte Heinzelmännchen aktiv gewesen sein, um die Stadt innerhalb der kurzen zeit sauber zu kriegen.

Klar kann mensch das als übliche Sauberkeitsneurose ansehen, in der brav alle Probleme unter dem Teppich gekehrt werden. Gewalt ist bekanntlich kein Problem, so lange es innerhalb der eigenen vier Wände passiert. Doch wehe, es geschiet auf offener Strasse; da kommt sofort der Ruf nach mehr Polizei, mehr Kameras, mehr Abschiebungen, mehr Härte,… Und so müssen auch die Strassen dieser Stadt in Ordnung sein in einer Welt, die mehr und mehr aus den Fugen gerät.

Doch ich hab das Gefühl, dass es mehr ist. Es scheint, als wäre die Normalität selbst wütend. Weil sie für eine Nacht das Szepter abgeben musste an den Exzess, an den Rausch. Und weil sie nicht anders kann, weil sie aus Tradition für diese eine Nacht verbannt wird, so müssen zumindest die Spuren davon möglichst schnell beseitigt werden. Okay – am 31. darf gesoffen werden, und okay – am 1. darf noch erholt werden (aber schön sauber); aber für den 2. gibt es keine Ausreden mehr: Da heißt es zurück an die Arbeit, die Geschäfte müssen wieder offen sein, der Rubel muss wieder rollen (das macht er leider auch Silvester), da müssen wieder Urteile gesprochen werden, die Gefängnisse wurden ja nicht umsont gebaut, da müssen wieder Menschen an dern Grenzen krepieren, kurz: die Normalität muss wieder herrschen, und zwar so, als gäbe es nichts anderes als diese Normalität.