Alltagsrassismus und ein Messer

Am 24.12. noch schnell die Nachrichten geguckt. Eine Meldung, dass es am Weihnachtstag ein Messerangriff in einem Zug gab. Zwei Menschen wurden verletzt. Der Angreifer war anscheinend psychisch auffällig. Und dann den Fehler gemacht, die Kommentare zu lesen. Im Standard, wohlgemerkt, der im Vergleich zu anderen Zeitungen eh noch harmlos ist. Die Meute geiferte. Das einzige, was sie interessierte, war die vermeintlich oder tatsächliche Herkunft des Täters. Viele wussten es natürlich schon. So ein Messermensch, noch dazu psychisch auffällig, das sind doch altbekannte Codes: Das war ein Flüchtling, ein Ausländer, ein Moslem ein Islamist. Die Meute stachelte sich selbst an – zum Glück nur digital. Worte des Beileids für die Opfer gab es nicht. Wenn interessieren schon die Opfer. Wir wollen uns wiedermal so richtig fürchten. Unser Leben ist dann nicht mehr ganz so wertlos, unsere traurige Internet-Existenz bekommt einen Sinn, wenn unsere Leute, unsere Werte und unsere Kultur bedroht werden. Dann können wir auch im Geheimen (noch?) Rachepläne schmieden. Angewidert wend ich mich ab. Der Computer bleibt zwei Tage aus.

Dann eine neue Nachricht: Eines der Opfer war ein junger Afghane. Er ist unmittelbar davor vom Angreifer rassistisch beleidigt worden. Ich mag das „Psychisch instabil“ übrigens nicht bezweifeln, aber das schließt doch ein rassistisches Tatmotiv nicht aus. Diese Schilderung kommt übrigens von einer Unterstützerin des Opfers, nicht von der Polizei. Und die Meute? Die ist weitergezogen. Kein Wort des Bedauerns. Ein Kloster wurde ausgeraubt. Die Täter sprachen deutsch mit ausländischen Akzent. Da wird es ja hoffentlich die richtigen Täter geben.

So, zum Schluss mal langsam: Es gibt diejenigen, die von der Angst profitieren. Die Law &Order Fanatiker*innen in der Politik, die Polizei, die Gefängniskomplex, die Asylindustrie (also, die, die mit Abschieben, Wegsperren, und Sichern Kohle machen): Die brauchen die Angst, um ihre Produkte verkaufen zu können. Auch die Medien gehören dazu, die wollen ihre Geschichten ja auch verkaufen.

Aber es gibt eben auch die Meute. Die keinen unmittelbaren Gewinn aus der Angstmache zieht. Aber sie will sich fürchten, Sie will Angst haben. Es gibt ihnen ein Kick, wenn es wieder einen Messerangriff gibt, wenn Flüchtlinge, wenn Islamisten zuschlagen. Dann können sie sich wieder ergeifern, dann können sie sich wieder wichtig machen. Dann bekommt ihre klägliche Existenz wieder Sinn. Meine Vermutung ist, dass die Menschen die Kontrolle über ihr Leben mehr und mehr verlieren, dass sie weniger und weniger bestimmen können, in welche Richtung ihr Leben geht. Das Symbol für diese Unsicherheit ist der Refugee. Und gleichzeitig spiegelt sich in der vermeintlichen und tatsächlichen Gewalt der Migrant*innen und Islamist*innen Allmachtsphantasien der Meute wider. Mensch Merz hat das anhand der Identitären sehr gut analysiert. Ich befürchte allerdings, dass diese Dynamik nicht nur für einen kleine Kreis rechtsextremer Kader zutrifft, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Damit der Artikel nicht ganz so beschissen endet, gibt es zum Abschluss noch ein buntes Lied der Meute: