Den Hoteliers verpflichtet

Eine Maßnahme, die am Montag verkündet wurde, überraschte. Es wurde die behördliche Schließung aller Hotels angeordnet. Der Sinn erschließt sich nicht sofort, denn die Grenzen sind ja so und so zu, es gibt Ausgangssperre, einen Tourismus gibt es momentan nicht. Wenn aber Hotels behördlich geschlossen werden, haben diese ein Anrecht auf Entschädigung, andernfalls müssten sie anders zur staatlichen Kohle kommen. Die Regierung fühlt sich jedenfalls den Hoteliers verpflichtet. Vielleicht ist es ein Dank für den Tiroler Wintersport, der ja bekanntlich Corona so richtig in Europa exportiert hat. Ich bringe hier einen Thread von Jonathan Nauser, der die Ausgangssperre in Österreich mit den Vorfällen in Tirol in Verbindung setzt, und vor allem die Versuche, das ganze medial zuzudecken. Twitter ist leider viel zu kurzlebig für Dokumentationen:

Das Versagen in Ischgl und das Krisenmanagement der österreichischen Regierung ist nur die halbe Geschichte.
Die andere Hälfte ist die Krisenkommunikation und der Schaden, den sie verursacht (hat).

Das treibt mich seit einer Woche um und wird ein langer Thread.

Am 7. März 2020 riegeln BK #Kurz und BM #Nehammer die Grenze nach #Italien ab. Auch zwei Tage nach der #Corona-Warnung aus Island scheint das noch eine geeignete Strategie. Am selben Tag wird ein Barmann positiv getestet und eine Woche später steht ganz Österreich komplett still.

Am 13. März hat Österreich komplett in den Krisenmodus geschaltet. #Lockdown, #Ausgangssperre, Zivildiener werden eingezogen, Wien baut ein Notspital in der Messe, Bundesheer, Grenzen zu, die Tiroler Gemeinden werden einzeln unter #Quarantäne gestellt.

Offensichtlich bereitet sich alles auf eine Riesenwelle vor. Krisenmanagement wird gelobt. Das entschlossene Handeln auf die eigenen Fahnen geheftet. Aber die Regierung sagt nicht, warum das so plötzlich nötig wird. Notfallpläne werden ausgelöst, aber niemand erklärt warum genau.

#Ischgl und St.Anton werden unter Quarantäne gestellt, zugleich werden Personal und Gäste (mind. 20.000 Menschen) rausgeworfen und die gesamte Idee hinter einer Quarantäne ad absurdum geführt. Gäste übernachten in anderen Hotels, reisen dicht gedrängt in Flugzeugen, Bussen heim.

Auch wenn man einen Zettel unterschreiben lässt: wenn man nach Hause darf, kann es nicht so schlimm sein. Auf dem Zettel ist keine Warnung vermerkt, keine Hinweise, wieviele Ansteckungen es in #Ischgl gab. Und vor allem: Wie hoch das Risiko einer Infektion war.

In Tirol wird der Ausnahmezustand verhängt. Alle Gemeinden werden getrennt unter Quarantäne gestellt. Eine verschärfte Maßnahme, die offensichtlich versucht, eine Ausbreitung durch Gemeindedomino in Tirol zu bremsen. Auch hier wird der Grund im Dunkeln gelassen.

Die Regierung ruft Tirolheimkehrer und klare Begründung zur freiwilligen Heimquarantäne auf. Samstag und Sonntag tauchen dann die ersten Berichte in Medien auf und es dämmert: Die Zahlen aus Skandinavien, die überhörten Warnungen und die Häufung der Fälle aus #Ischgl.

Am 9. März war schon klar, dass es in #Ischgl ein Problem gibt. Die SMS von Hörl macht deutlich, dass man es nur lokal begrenzt sah.

Aber irgendwann zwischen 10. und 13. März gab es einen Moment, wo jemand in Wien mal 1 und 1 vorrechnete, dass die Saison jetzt enden muss.

In dem Briefing könnten die Zahlen von Norwegen vorgekommen sein und eine simple Rechnung: Norwegen hat 377 Fälle aus Ischgl, macht aber nur 1,5% der Gäste aus. Wieviele Fälle kann das für Österreich bzw. Deutschland (50% der Gäste) bedeuten?

Die Antwort: Tausende.

Tausende, die schon seit einer Woche zuhause und in der Arbeit saßen und wer weiß wieviele angesteckt haben. Tausende, die sich in diesem Moment anstecken. Unter dem Radar in ganz Ö und D.

Ich wette, dass sinngemäß die Formulierung »unkontrollierbarer Ausbruch« gefallen ist.

Das ist die Realität, die sich jetzt abzeichnet. Der #Corona-Ausbruch in #Tirol hat heute einen höheres Verhältnis Fälle pro Mio Einwohner als die Lombardei. Trotz Ausgangssperre. Das ist die Welle, auf die sich die Regierung seit letzter Woche vorbereitet aber nicht benennt.

In Deutschland war die Prognose am 7. März auf 12.800 Fällen Ende März, schon am 21. März waren es 20.000 Fälle. Die Mehrzahl der neuen Fälle kam aus #Tirol, ganze Reisegruppen waren zu 80% infiziert. Gemessen daran sind 5000 Rückkehrer mit #Corona eine konservative Schätzung.

Diese Entwicklung lag als Prognose wahrscheinlich schon am 12. März 2020 beim Krisenstab in etwa so auf dem Tisch: »Unkontrollierte Ansteckung in ganz Ö mit einer Woche Vorsprung«. Das ließ keine Wahl. Es gab nur mehr den Lockdown, um den explosionartigen Ausbruch zu verhindern.

Das Krisenmanagement und die Regierung wird völlig zu Recht gelobt. Hier wurden große Entscheidungen schnell gefällt und umgesetzt.
Aber gleichzeitig wird alles unternommen, um die Fehler auszublenden. Es wird penibelst vermieden, die Ursachen und Risiken klar zu benennen.

Den Touristen aus der Quarantäne war das Risiko nicht bewusst. Wurden die Länder der Rückkehrer vor dem Risiko gewarnt? Wurde die Reisebusse gewarnt? Die Fluglinien? Die Hotels vor Ort oder sonst wo in Tirol? Wurde die Bevölkerung in Österreich vor dem Risiko gewarnt?

Das wäre notwendig gewesen. Die Situation ungeschönt beschreiben, um andere zu schützen und das Problem lösen zu können. Aber dazu muss man Fehler – die jedem passieren können – eingestehen.

Genau das zu vermeiden ist gerade Hauptaufgabe von #Kurz‘ Kommunikationsteam.

Die #MessageControl versucht sehr bewusst zwei Dinge von Sebastian #Kurz fernzuhalten: die Realität des unkontrollierten #Corona-Ausbruchs und das Ausmaß in dem #Ischgl für ganz Europa Brandbeschleuniger war.

Dafür nimmt man einiges in Kauf:

So laufen die Lifte noch bis Montag. Deswegen gehen die Leute bis Mittwoch noch schön auf die Straße und in Parks. Weil die Regierung nicht über das reale Ausmaß der Bedrohung spricht. Nicht erklärt, dass sich Corona überall in Ö so verteilt hat, dass jeder sich anstecken kann.

Deswegen werden aus den Quarantäne-Orte tausende mögliche Infizierte über Europa verteilt, ohne ein Wort der Warnung von #Kurz.
Das Ausmaß und die Gefahr, die von #Ischgl ausging, haben Journalisten aufgedeckt. Wenn es nach Kurz ging, wär es unter dem Radar geblieben.

Österreich bleibt weitgehend im Dunklen. Die Inszenierung der Notmaßnahmen soll überdecken – und schafft das im Moment erfolgreich – weshalb diese Maßnahmen überhaupt nötig wurden: weil der Ausbruch in #Ischgl außer Kontrolle geriet, während #Kurz noch Grenzen sperrte.

Aus dem Land, dem in einer Gemeinde #Corona so völlig entglitten ist und womöglich am meisten Fälle in ganz Europa exportiert hat, dass es alles abriegeln muss, wird das Land mit der entschlossensten Führung. Mit der Hoffnung, dass »uns andere folgen werden« (O-Ton #Kurz).

Hier wird es besonders widerlich. In seinem deutschen Haus-und-Hof-Blatt #Bild lässt sich #Kurz per »So einen brauchen wir auch« gegenüber #Merkel zum durchsetzungsstarken Macher stilisieren, nachdem er ihr gerade ohne Warnung ein tausend Fälle nach Deutschland geschickt hat.

Innenpolitische Inszenierung wird über effektive gemeinsame Maßnahmen zur Bekämpfung von #Corona gestellt. (Es wär nicht das erste Mal)

Die Geschichte vom Krisenmanager soll erzählt werden und bloß nicht, dass #Kurz am 7. März noch die Brenner-Grenze schloss statt dem #Kitzloch.

Am 9.3. gab es 19 bekannte Fälle in Tirol. Heute werden es 900 Fälle (fast 30% von Ö). Tirol hat in Relation zur Bevölkerung Zahlen wie die Lombardei. Das war der Stand vor 9 Tagen und wohl die Prognose wegen der ganz Österreich stillgelegt wurde. Der Ausbruch war schon da.

Die Reißleine wurde gezogen. Der Lockdown bewahrt Westösterreich vor dem Umgreifen von #Corona und biegt hoffentlich auch für Tirol die Kurve. Doch der Ausbruch war schon da und hat nach Deutschland, Skandinavien etc. gestreut. Ohne Warnung und Entschuldigung.

Das treibt mich um. Dass hier politische Inszenierung über Menschenleben gestellt wurde. In einem europäischen Notfall.
Dass man so Angst hat, nicht fehlerlos darzustehen, dass man lieber Menschen ohne die notwendige Warnung nach Hause schickt.

Dass man so Angst hat um sein Leader-Image, dass man nicht mit befreundeten Nationen zusammenarbeitet um Menschen zu retten und die Infektionsgefahr für alle zu senken.
#Ischgl war ein Versagen. Schlimm genug.
Den Umgang damit danach halte ich für den größeren Skandal.

Die Gewerkschaft im Rücken

Die Gewerkschaft ist hinter uns, sie stärkt uns den Rücken. Die Frage ist bloß, warum hat sie ien Messer in der Hand?

Ehrlich, Gewerkschaft, was soll der Scheiß? Eine Streikbewegung heimlich in den Rücken fallen, wenn dank Corona das LAnd still steht? Die Forderungen der Arbeitgeber-Seite kritiklos erfüllen? Ein KV-Vertrag für drei Jahre abschließen, damit ja wieder Friedhofsruhe einkehrt in diesem Scheiß-Land? Die gleiche Friedhofsruhe, die den medizinischen, pflegerischen udn sozialen Notstand erst hervorgebracht hat, der jetzt unsere Gesellschaft beherrscht!

Wir waren schon vor Corona dem BurnOut nahe. Jetzt ist mit der Infektionsgefahr auch die Arbeistbelastung gestiegen. Doch während die Wirtschaft ein 38 Milliarden Hilfspaket bekommt, sollen wir wieder durch die Finger schauen? Wie lange wollt ihr uns noch verarschen? Wie lange wollen wir uns noch verarschen lassen?

UPDATE: Der miese Deal wurde heute verkündet. Viele Arbeiter*innen sind extrem sauer. Auf der Facebook-Seite der GPA-djp gibt es mehr als 800 Kommentare zum KV-Abschluss, alle – bis auf ein paar Postings der Funktionäre- sind extrem wütend. Das Problem ist bloß: Es fehlt die Möglichkeit zu handeln….

(der Beitrag unten kommt von Sozial, aber nicht Blöd -Facebook. Sorry, gibts nur auf Facebook, darum keine Verlinkung)

EIN OFFENER BRIEF AN GPA-djp, Gewerkschaft vida UND ÖGB:

Liebe SWÖ-KV-ChefverhandlerInnen von GPA-djp und vida,
liebe KollegInnen,

mit großer Verwunderung und Bestürzung haben wir erfahren, dass ihr plant, in der jetzigen Krisensituation die SWÖ-KV Verhandlungen abzuschließen. Was uns noch mehr wundert: Der Abschluss soll für 3 Jahre gelten und ist in weiten Teilen ident mit dem vom gewerkschaftlichen Verhandlungsgremium zuvor einhellig abgelehnten Arbeitgeber-Angebot. Er ist weder eine echte Arbeitszeitverkürzung noch eine Verbesserung unserer Einkommenssituation. Warum das gerade in einer Zeit passieren soll, wo aufgrund der Bekämpfung des Corona-Virus viel mehr Menschen als sonst unsere Arbeit wertschätzen und uns öffentlich eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen wünschen, ist uns schleierhaft (Zitat eines GPA-djp-Funktionärs vor etwa zwei Monaten: „Medien und Gesellschaft sind auf unserer Seite. Wenn wir dieses Jahr die 35-Stunden-Woche nicht schaffen, dann werden wir es nie schaffen!“). Wir verstehen, dass viele BetriebrätInnen derzeit keine Ressourcen für KV-Verhandlungen oder Diskussionen darum haben, und verstehen natürlich alle Beschäftigten, die zurecht eine baldige Lohn-/Gehaltserhöhung einfordern.

Doch das aktuelle „ Angebot“ ist absolut ungenügend. Wir haben mit den Streiks viel riskiert, aber für so ein Ergebnis haben wir und unsere KollegInnen nicht gestreikt!

Ein derartig schwacher Abschluss würde keine Verbesserung unserer in vielen Bereichen sehr schlechten Einkommenssituation und 2022 sogar eine Verschlechterung bei den Einkommen bedeuten:
– durch die fehlende Erhöhung bei Vollzeitbeschäftigten und
– durch die Verschlechterungen beim Mehrstundenzuschlag für alle KollegInnen.

Eine Stunde weniger in 3 Jahren ist keine Arbeitszeitverkürzung, die unsere Arbeitsbedingungen verbessert. Die Arbeitgeber hätten ausreichend Zeit, unsere Arbeit weiter zu verdichten. Die möglichen positiven Effekte einer Arbeitszeitverkürzung würden so nicht spürbar werden.
Dieser Abschluss würde nichts grundsätzlich an den Arbeitsbedingungen verbessern und uns weiter in die Armutsfalle drängen. Vor allem für KollegInnen in den niedrigeren Verwendungsgruppen ist das „Angebot“ unzumutbar.
Wir fordern Euch auf, mit diesem „Angebot“ den KV-Abschluss keinesfalls zu unterschreiben!

Mit kämpferischen Grüßen

Sozial, aber nicht blöd

Soziale Barbarei

Im Netz gibt es verschiedene Aufrufe, sich in der Krise solidarisch zu verhalten (hier z.B. von CWC, und hier als Solidarisch gegen Corona). Das ist umso wichtiger, als viele staatlichen, halbstaatlichen und karitativen Einrichtungen ihren Betrieb einstellten oder stark verkürzten.
Für Wien hab ich folgende Liste zusammenstellt (Infos meist laut Netz, muss also nicht zwangsweise richtig sein)

Wiener Tafel (Essensausgabe): geschlossen
Sozialmärkte haben geöffnet, z.T. aber Beschränkungen
die meisten kirchlichen Essensausgaben haben geschlossen, der Canisibus fährt weiter
ADRA: Kleiderausgabe bleibt geschlossen, Essensausgabe nur am Sonntag

AmberMed (medizinische Versorgung auch ohne Sozialversicherung): geschlossen
Neunerhaus-Arztzentrum: Arztpraxis hat offen, Zahnarzt geschlossen
Luisibus fährt weiter
alle Routine-Untersuchungen im Krankenhaus wurden abgesagt
die meisten Fachärzte und Hausärzte haben entweder Notbetrieb oder ganz geschlossen

Kriseninterventionszentrum (bei psychischen Krisen): keine Erstgespräche mehr, v.a. telefonische Unterstützung
PSD (Psychosozialer Dienst): Ambulatorien reduziert, Tageszentrum geschlossen, insgesamt verstärkt telefonische Beratung

DESI: nur telefonische Beratung
migrant.at: nur telefonische Beratung
Asyl in Not: macht weiterhin Rechtsberatung
HOSI: geschlossen
Heyamat: weiter regulär offen

Notquartiere: sind jetzt 24h offen, dafür wurde die Anzahl der Betten reduziert. Zum Teil keine Neuaufnahmen mehr
Tageszentren: im Notbetrieb offen, längeres Verweilen unmöglich, zum Teil nur für eigene Nächtiger möglich

Suchthilfe: Ambulatorien ist offen, Tageszentrum im Notbetrieb, fix und fertig u.ä. geschlossen

Wiener Jugendzentren: geschlossen, nur digitale Jugendarbeit
Pensionistenklubs: geschlossen

Das ist natürlich nur ein Teil, wie gesagt ob alles so stimmt, dafür kann ich nicht garantieren. So verständlich die Maßnahmen im einzelnen auch sind, so ergibt sich insgesamt ein verheerendes Bild. Ich wollte da aber nicht stehen bleiben, und hab mir angeschaut, wie es am anderen Ende der Fahnenstange, also bei der Produktion unnützer Güter ausschaut. Und was ist unnützer als Waffen?
Auch hier kommen die Informationen aus dem Netz, was nicht immer sehr aussagekräftig ist. Bei vielen Firmen finden sich keine Infos über Corona, obwohl manche regelmäßig News raushauen. Ob dort die Produktion weitergeht, kann ich nicht sagen. Gesucht hab ich nach Infos bei bekannten Waffenproduzenten, und bei Firmen, die bei der Verteidigungs- und Sicherheitsmesse Eurosatory in Paris (wurde abgesagt, die Liste der Aussteller*innen ist aber online) ausstellen wollten. Hier meine kleine Liste:

Steyr Mannlicher: keine Bewerbungen mehr, Schießstand hat zu, keine Info zur Produktion
Rheinmetall: Aktionärsversammlung findet statt, liefert Waffen an die Schweiz, baut Produktion in Australien aus, keine Infos zur Produktion in Wien
Achleitner: Produktion eingestellt
FRAMAG: Produktion eingeschränkt
Kahles: Home-Office, Produktion eingestellt
MFL: Kurzarbeit wegen Auftragsrückgang
Palfinger: Hauptversammlung abgesagt. Möglicherweise weniger Dividende, keine Infos zur Produktion
Plansee: Ende Feb. eröffnete neuer Produktionsstandort in Japan. Seitdem gibts keine Neuigkeiten mehr
Schiebel: im März wurde Liefervertrag mit NATO erweitert
Ressenig: produziert weiter, sucht Mitarbeiter*innen

AVI List, Hirtenberger, Goldeck Textil, Empl, High Pressure Instrumentation, Pik-As, Raytech, SAWI Electronics, Swarovski Optics, Ulbrichts, zippit: keine Informationen

Wie gesagt, die Informationen sind eher spärlich. Dennoch ergibt sich folgendes Bild: Während der gesamte Sozialbereich nur noch im Notbetrieb funktioniert, und dadurch viele Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen wären, auf der Strecke bleiben, gibt es im Rüstungsbereich nur einzelne Betriebe, die Problem vermelden. Andere scheinen sogar zu profitieren, Dass es wirtschaftlich gesehen oft sinnvoller ist, einen Menschen zu töten (oder Beihilfe dazu zu leisten) als zu helfen, ist nichts neues. Dass der Unterschied aber innerhalb weniger Tage riesig wird, sehr wohl. Und ich befürchte, es wird mehr brauchen als solidarisches Handeln, um diese Barbarei zu beenden!

DerStandard macht Home-Office! Alle?

Der Standard berichtet in einem Artikelt , dass er nun ausschließlich durch Home-Office produziert wird. Nur Marlene, die Newsroom-Managerin ist noch vor Ort. Der Artikel wirft einige Fragen auf: Was passiert, wenn der Schutzschalter vor Ort fällt? Wird jetzt nicht mehr geputzt? Wer druckt die Zeitung? Wer packt sie ab? Wer fährt sie aus? Wer verkauft sie?

Die Darstellung mach mich deswegen so wütend, weil hier wieder mal zwischen wichtiger, sichtbarer, gut bezahlter Arbeit und der unsichtbaren, schlecht bezahlten unterschieden wird. In der Corona-Krise bekam diese Aufteilung einen tiefen Riss. Es wurde offensichtlich, dass für das Funktionieren der Gesellschaft es jene „unsichtbaren“ Arbeiter*innen braucht: Die Supermarktkassierer*innen, die Pfleger*innen, die Menschen von der Müllabfuhr etc. Dagegen erscheinenen die meisten Home-Office-Jobs erstaunlich nutzlos. DerStandard-Artikel stellt die alte Ordnung wieder her und deutet an, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Die Systemrelevanten bekommen Applaus, und dürfen sich dann wieder mit ihrer schlechten Bezahlung und ihrem schlechten Sozialprestige in ihre Löcher verkriechen.

Das Alles hat natürlich Tradition. Ich mag deswegen mit einer kleiner Veränderung eines Brecht-Gedichtes enden:

Bertolt Brecht
Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon

Wer baute es so viele Male auf?
In welchen Häusern des goldstrahlenden Limas wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer?
Das große Rom ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie?

Über wen triumphierten die Cäsaren?
Hatte das vielbesungene Byzanz nur Paläste für seine Bewohner?
Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Cäsar schlug die Gallier.
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.

Wer kochte den Siegesschmaus?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?
So viele Berichte. So viele Fragen.

DerStandard macht jetzt Home-Office.
Habe sie das Coltan in einer Mine
unter der eigenen Wohnung gefunden?
Die Computer selbst zusammenbaut?

Corona: Im Zweifel Dagegen

Die Stunde der Besserwisser*innen


Es ist die Stunde der Besserwisser*innen. Noch vor zwei, drei Wochen wusste niemand etwas über den Virus. Und jetzt sitzen Millionen Expert*innen zu Hause vor ihren Computer und geben anderen Menschen Verhaltensratschläge und fordern Bestrafung für jene, die sich nicht an ihren wohlfeilen Fingerzeig nicht hören.


Derweil ist die Sache ziemlich einfach: Die letzte sich schnell ausbreitende Pandemie ist schon gefühlt tausend Jahre her. Es können also nicht einmal echte Fachkundige mit Sicherheit sagen, welche Maßnahme mit Sicherheit wirken und welche nicht. Auch über das Virus selbst ist noch wenig bekannt. Wie wird es übertragen, welche Mortalitätsrate gibt es, wie wahrscheinlich mutiert es? Darüber gibt es nur Annäherungen, nur Wahrscheinlichkeiten, nur Modelle, keine Sicherheiten.


Ich für mich nehm diese Unsicherheit, diese Unwissenheit gerne in Kauf. Als Informationsjunkie hab ich, während andere Lebensmittel hamstern waren, Informationen gehamstert. Mein Wissensstand gleicht also den der eingangs genannten Expert*innen. Dennoch steh ich mit leeren Händen da. Wenn ich hier mein Unwissen preisgebe, so hoffe ich damit einen Raum des Zweifels, auch des Selbstzweifels (Ich habe meine Meinung zu der Pandemie in den letzten 14 Tage sicher dutzendmal geändert), zu öffnen, und damit auch einen Raum der Diskussion.


Klar ist, obwohl wir wenig wissen, muss gehandelt werden, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Klar ist auch, wir wissen nicht, was die richtigen Handlungen sind. Aus diesem Zwiespalt erwächst eine Angst, die nur allzu gerne und allzu oft geleugnet wird. Diese Furcht potenziert sich mit dem Brustton der Überzeugung, die die eigene Unsicherheit verdrängen soll. Verbunden mit einer namens- und formlosen Furcht als Grundstimmung unserer Zeit gebärt sie wahre Monster.


Ein Krieg gegen den Virus?


Die Fratze des Monsters zeigt sich in den repressiven Notfallgesetzen und der breiten Zustimmung zu diesen. Quarantäne war immer das Mittel der Wahl bei Pandemien. Doch sie waren nie ganz wirksam, denn es konnte und es kann nicht scharf zwischen Gesunden und Kranken unterschieden werden. Es gab und gibt Gesundem die dennoch infiziert sind, und so die Pandemie weiterverbreiten. Die Reaktion des jetzigen Gesundheitsstaates kommt einem von diversen Verschärfungen des Überwachungsstaates sattsam bekannt vor: Alle sind potentiell Überträger – und damit muss es präventive Quarantäne für alle geben. Die Ausgangssperre ist die Ultima Ratio der Aufstandsbekämpfung. Nun wird sie präventiv für die Gesundheit eingesetzt. China Überwachungstechniken galten im Westen lange Zeit als Warnung, als Gefahr für die persönliche Freiheit. Nun werden sie Vorbild. Es gibt nur eine repressive, ja sogar militärische Reaktion des Staates auf die Seuche.


Deutlich wird das in der Sprache. Da wird zu einem Krieg gegen den Virus aufgerufen. Krankenhäuser werden zu Schützengräber umgedichtet, Ärzt*innen und Pflerger*innen befinden sich scheinbar an der Front. Dagegen wird ein kollektives Wir mobilisiert, ein „Team Österreich“, das jeden Tag um 18:00 mit „I am from Austria“ zwangsbeschallt wird. Doch die Strateg*innen und Möchtegern-Feldherrn vergessen eines: Ein Krieg wird zwischen zwei einigermaßen gleich starken Armeen geführt. Der Albtraum der Militärs sind Partisan*innen, jene kleinen und mobilen Einheiten, gegen die mit rein militärischen Mittel nicht gewonnen werden kann. Wie wollen sie dann gegen einen Virus, der mit freien Auge nicht sichtbar ist und der sich schnell von Mensch zu Mensch weiterbewegt, siegen?


Auch in der Vergangenheit war die Abschottung, die Quarantäne, nie der alleinige Schlüssel zum Erfolg bei der Bekämpfung von Seuchen. Erst die Verbindung mit sozialen Maßnahmen brachte Erfolg. Die Cholera wurde durch die Zuleitung von Frisch- und Quellwasser in die Städte beendet. Bei der Spanischen Grippe war es die Verbesserung der Lebensmittelversorgung, und im Falle der Tuberkulose war es der soziale Wohnbau, die zu ihrem Verschwinden beitrugen. Aber über soziale Maßnahmen wird bei uns nicht einmal nachgedacht, nicht einmal angesprochen geschweige denn diskutiert. Mit rein repressiven Maßnahmen wird hoffentlich (!) die Pandemie verlangsamt, gelöst wird dadurch jedoch nicht.


Auf der Suche nach Alternativen


Es bleibt die Frage nach Alternativen. Ich könnte sie durch meine Position des Unwissens zurückweisen, doch das würde nur die Ausweglosigkeit steigern. Und es ist diese Alternativlosigkeit, die und vielleicht zähneknirschend, aber doch, die Ausgangssperren etc. akzeptieren lässt. Es würde auch heißen, das Feld den Besserwisser*innen, den selbsternannten Expert*innen zu überlassen. Die Unwissenheit und die Zweifel dürfen nicht als Ausrede dazu dienen, nichts zu tun – selbst auf die Gefahr hin, dass das falsch ist.
Wir werden scheinbar vor die Wahl gestellt zwischen der Akzeptanz der Maßnahmen und einem barbarischen Nichtstun, durch das sich die Seuche weiter unkontrolliert ausbreiten kann.


In einem ersten Schritt muss es also darum gehen, sich überhaupt Alternativen vorstellen zu können. Wie die Genoss*innen des Ex-Workers Collective feststellen, fehlt uns dazu noch die Diskussion:

Grundsätzlich besteht das Problem darin, dass uns ein Diskurs über Gesundheit fehlt, der nicht auf einer zentralen Steuerung beruht. Über das gesamte politische Spektrum hinweg basiert jede Metapher, die wir für Sicherheit und Gesundheit haben, auf dem Ausschluss von Unterschieden (z.B. Grenzen, Absonderung, Isolation, Schutz) und nicht auf dem Ziel, eine positive Beziehung zu Unterschieden zu entwickeln (z.B. die Ausweitung der Gesundheitsressourcen auf alle, auch außerhalb der Grenzen der USA).
Wir brauchen eine Vorstellung von Wohlbefinden, die körperliche Gesundheit, soziale Bindungen, Würde und Freiheit als miteinander verbunden begreift. Wir brauchen eine Art und Weise, auf Krisen zu reagieren, die auf gegenseitiger Hilfe beruht – die den Tyrannen nicht noch mehr Macht und Legitimität verleiht.



Wir müssen also überhaupt erst eine Sprache finden, um diese Diskussion zu beginnen in der Hoffnung, dass es am Ende tragbare Alternativen gibt. Ein Blick nach Asien kann dabei hilfreich sein: Südkorea schaffte es mit massenhaft Tests, aber ohne Ausgangssperren, die Pandemie in den Griff zu bekommen.


Als unbedingte Sofortmaßnahme ist es wichtig, das Feld des Sozialen zu verteidigen. Pflegen wir unsere Freundschaften, so wie es uns richtig erscheint. Kümmern wir uns um die, die Einsamkeit schlecht aushalten, die sich jetzt abschotten, weil ihnen alles zu viel wird, denen die Decke auf den Kopf fällt genauso wie um die, die von der Seuche besonders bedroht sind. Gerade in dieser Situation ist Solidarität und gegenseitige Hilfe von enormer Bedeutung.


Ein weiteres Puzzlestück ist die Verbesserung des staatlichen Gesundheitssystems. In unseren Diskussionen und in unserer zukünftigen Praxis müssen wir zwar deutlich darüber hinausgehen (siehe oben), doch als erste Schritte sind Verbesserungen innerhalb dieses Systems unumgänglich. Vereinfach gesagt ist das Problem an diesem Virus die fehlende Grundimmunisierung, wodurch es zu einer schnellen Ausbreitung kommt, wodurch das Gesundheitssystem schnell an seine Grenzen gelangt. Wäre es in den letzten Jahrzehnten nicht kaputtgespart worden, wären wir jetzt deutlich besser vorbereitet. Das ganze Gerede von „Flatten the Curve“ zielt ja nicht darauf ab, die Anzahl der Ansteckungen, der Kranken zu vermindern, sondern nur sie herauszuzögern, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Es ist primär also weniger ein gesundheitliches Risiko als ein infrastrukturelles, es ist eine Krise des Gesundheitssystems.


Es führt aber kein Weg daran vorbei, die Ursachen der Pandemie anzugehen. Wir müssen also im besten Sinne des Wortes wieder radikal (radix lat. = Wurzel) werden. Sehr wahrscheinlich ist der Ausbruch des Virus auf die veränderten sozialen und wirtschaftlichen Bedienungen in China zurückzuführen. Die Kapitalisierung der Landwirtschaft und die Verstädterung bei gleichzeitig miesen sozialen, ökologischen und medizinischen Bedienungen für den Großteil der Bevölkerung waren auch schon in der Vergangenheit der Ursprung für globale Seuchen. Hier in Europa war der Wintertourismus in Tirol der Turbobeschleuniger für die Ausbreitung des Virus. Dieser ist schon lange für miese Arbeitsbedienungen, für das Ignorieren von Gefahren und für die Konzentration von Geld und Macht in den Händen bekannt. Das einzige Ziel war nur das schnelle Geld. So sorgten letzten Herbst Pläne, einen Berggipfel zu sprengen, um ein neues Skigebiet zu schaffen, für Wirbel – obwohl der Skibetrieb in Zukunft dank des Klimawandels unsicher ist. Durch diese Mentalität wurde Gefahr, die von Corona ausgeht, ignoriert. Stattdessen gab es Business as Usual. So wurden hunderte Tourist*innen angesteckt, die danach in ihre Heimat zurückkehrten und den Virus weiter verbreiteten.


Wenn wir also langfristig die Pandemie bekämpfen wollen, werden wir an Antikapitalismus nicht vorbei kommen. Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg – ein Weg, der im Nebel liegt und wo wir praktisch ohne Wegweiser auskommen müssen. Ob wir in die richtige Richtung gehen oder ob wir uns vollkommen verirren, wissen wir nicht. Um die Gefahr zu minimieren, brauchen wir einander, brauchen wir eine intensive Diskussion. Deswegen klinkt euch ein: Übersetzt Texte aus betroffenen Gegenden! Teilt eure Erfahrungen, eure Gedanken, eure Ängste und Hoffnungen! Nur gemeinsam können wir der Barbarei des Virus und der Barbarei des Staates die Stirn bieten!


Zum Abschluss noch ein paar Links:


medico international waren wahrscheinlich die Ersten, die sich kritisch mit der Pandemiebekämpfung auseinandersetzten
Texte und Übersetzung von Sebastian Lotzer, manchmal etwas fatalistisch, aber auf jeden Fall lesenswert!
Solidarisch gegen Corona sammelt, übersetzt und schreibt selbst Texte gegen den Wahnsinn mit ein paar Handlungsmöglichkeiten. Hier ist eine Übersetzung der Angry Workers aus London

My Corona

Der versprochene längere Analyse-Artikel lässt noch auf sich warten. Ich hab nicht die Kraft und noch weniger die Konzentration gefunden,ihn fertig zu schreiben. Außerdem muss er ja deutlich geändert werden. Denn dass, was ich vor einer Woche noch für sinnvoll und wahr hielt, stimmt heute nicht mehr. Stattdessen gibt es als Beginn meiner Corona-Berichte (ich geh davon, dass es länger dauern wird) einen persönlichen Einstieg:

Ich persönlich habe keine Angst vor Virus. Ich hab noch ein paar Jahre bis ich zur Risikogruppe der Ü60 zähle, habe keine bekannten Vorerkrankungen, und bin tendenziell eher fit. Das Risiko, dass Corona bei mir einen kritischen Verlauf nehmen würde, ist äußerst gering.

Die Pandemie als solche kann ich nicht verstehen. Sie übersteigt mein Denkvermögen, meine Vorstellungskraft. So sehr ich mich auch bemühe, ich kann sie nicht verstehen.

Ich hab Angst vor der Quarantäne. Aber ich seh keinen Weg, sie zu verhindern.
Ich hab Angst, andere Menschen anzustecken. Aber ich kann mich dagegen nicht wehren. Ich arbeite im Sozialbereich, in der Betreuung. Da lässt sich Kontakt nicht vermeiden, auch nicht der zu besonders gefährdeten Personen. Doch ich seh keine Alternative dazu. Ich würd mich gerne testen lassen, aber die Möglichkeit dazu gibt es nicht. Die einzige Möglichkeit wäre blau zu machen. Krankschreibungen sind momentan ja kein Problem. Aber das würde nur heißen, dass eine andere Person statt mir in der gleichen Situation wäre. Und wir hatten schon vor dem Ausbruch der Pandemie schon Personalknappheit. Jetzt ist sie noch drastischer geworden. Was bleibt mir also anders über, als das Risiko in Kauf zu nehmen.

Ich merke, wie sich das auch auf mein anderes Leben auswirkt. Ich werde wütend, wenn Leute noch schärfere Maßnahmen fordern. Wenn sie Leute anschwärzen, die sich trotzdem draußen bewegen, sich noch mit Freund*innen treffen. Wenn ich schon in der Arbeit zu einem Risikoverhalten gezwungen werde, dann will ich zumindest in der sogenannte Freizeit mein Risiko selbstbestimmt wählen können. Es ist klar, ich halte im öffentlichen Raum Abstand, ich besuche Freund*innen, die zur Risikogruppe gehören nicht mehr. Aber ich seh nicht ein, warum ich mich bei meinen Kollegin*innen in der Arbeit anstecken darf, bei Bier danach ist aber die Ansteckungsgefahr zu groß?

Ich habe Angst vor der sozialen Barbarei. Schon jetzt sind Sachen möglich, die noch vor wenigen Wochen undenkbar erschienen. Und das ist erst der Anfang, es wird noch schlimmer kommen. Schon jetzt drehen manche Menschen durch. Auf der Straße wirst du ohne Grund angepöbelt. Streit wegen Kleinigkeiten. Eine Stimmung der gegenseitigen Verdächtigungen. Wer hat den Virus schon in sich, wer kann mich anstecken?
Auf der institutionellen Seite werden massenweise soziale Einrichtungen geschlossen. Alle Treffpunkte für Jugendliche, für Senior*innen, für sozial Benachteiligte haben zu! Die ohnehin wenigen Stellen, die im Falle psychischer Krisen Unterstützung anboten, machen nur noch Telefonberatung. Die Tafel, die Menschen mit wenig Kohle mit Essen unterstütze, hat ihren Betrieb eingestellt. Immerhin, die Sozialmärkte haben noch offen, wenn auch mit Eingangskontrollen. Aber in den Fabriken dürfen weiterhin Waffen hergestellt werden. Wenn es dort zu Betriebseinschränkungen/—schließungen, dann wegen Lieferschwierigkeiten, und nicht wegen der Gesundheit der Arbeiter*innen.

Das ist meine größte Angst: Das ich selbst Teil dieser Barbarei werden könnte. Ich bin ja nicht außen vor. In meiner Arbeit wurden alle Freizeitaktivitäten gestrichen. Besuche sind verboten. Und wenn jemand mit der Situation nicht klar kommt, muss ich im schlimmsten Fall die Polizei holen. Auch persönlich merk ich, dass die Anspannung der Zeit sich in mir niederschlägt. Ich bin deutlich nervöser, kann schlechter entspannen. Meine Fähigkeit zur Empathie leidet darunter.

Ich hab Angst, weil jetzt wieder nur auf die gehört wird, die am lautesten schreien. Die zumindest vorgeben, einen Plan zu haben – doch wer hat den schon in diesen Tagen? Dennoch gilt es als Fehler, Unwissenheit und Angst zuzugeben.

Ich hab Angst, dass der Ausnahmezustand bleiben wird – und sei es nur als Möglichkeit im Sinne von: „ Wenn ihr nicht brav seid, wenn ihr nicht oft genug die Hände wäscht, wenn ihr nicht genug Abstand haltet, wenn ihr wagt, unsere Maßnahmen zu hinterfragen, dann gibt es wieder Ausgangssperre!“

Ich hab Angst, dass die jetzt verordnete Einsamkeit die neue Realität. Auch sie war vorher schon da: WhatsApp statt Face to Face Kontakte, Vereinzelung in der Arbeit, in den Wohnungen,.. Jetzt ist das Ganze staatlich vorgeschrieben. Wie kommen wir da wieder raus?
Ich hab Angst, dass wir das verlernen, was den Mensch zum Mensch macht. Liebe, Freundschaft, Solidarität. Das ganze Zwischenmenschliche. Ich habe Angst, dass wir es schon verloren haben. Denn warum würden sonst so viele Menschen immer noch weitreichendere Abschottung fordern mit der Bestrafung jener, die sich daran nicht halten können.

Over and Out
Angst essen Seele auf!

Würdest du ihn verraten?

„Würdest du ihn verraten?, fragte sie. Ich verstand nicht.
„Wenn du ihn treffen würdest, würdest ihn den Bullen übergeben?“
Sie deutete mit ihren Kopf auf den Bildschirm.
Dort war ein Junge zu sehen. Kurz geschnittene Haare, schwarzer Hoodie, schaute ziemlich gewöhnlich aus. Der Text daneben verriet, dass er abgängig sei. Er sei mit Auto unterwegs und sei psychisch krank. Er brauche dringend seine Medikamente. Das „dringend“ war groß und fett geschrieben. Es wirkte ernst.
Ich war ratlos.
„Sowas macht mir Angst“, meinte sie. „Wer weiß, was passiert ist? Wer weiß, warum er abgehauen ist?“ Sie machte eine kurze Pause. „ Die Menschen sind bereit, ihre Nachbarn zu verraten; ihre Freunde. Und das Ganze nur, damit sie ein Stück falsche Sicherheit bekommen. Und falsches Glück.“
Ich war misstrauisch. Waren wir nicht selber drauf? MDMA- Ein Stück von außen, um innen ein klein wenig Glück zu bekommen. Und das soll besser sein als das falsche Glück, das sie kritisierte?
„Nein, nein“, widersprach sie, „ Es gibt Tage, meistens sind es Nächte, die passen einfach. Die richtigen Schwingungen, die richtige Luft. Leute, die sich verstehen, ohne dass sie miteinander sprechen müssen. Natürlich sprechen sie trotzdem. Heute ist so ein Tag.
MDMA kann dabei helfen, aber du kannst es nicht erzwingen. Du musst offen sein, du musst deine Angst hinter dir lassen. Und das da“, sie deutete mit ihren Kopf wieder auf den Bildschirm, wo längst schon was anderes lief, „ hindert uns daran. Es will, dass die Angst gewinnt; dass wir uns nicht mehr kennenlernen können, wie wir sind, ohne Masken.“
Ich blieb skeptisch. Wo ist jetzt genau der Unterschied zwischen richtigem und falschem Glück? Und warum ist Glück überhaupt so wichtig?
Mir fiel die Geschichte ein, wie die Tauben die Menschheit retteten. Dass Töne und Melodien die Stimmung beeinflussen können, ist schon lange bekannt. Nun aber hat die Wissenschaft die perfekten Töne und die perfekte Melodie gefunden. Sie aktiveren das Gehirn , sie machen perfekt glücklich. Das Verständnis von Sprache und auch von Mathematik wird stark angeregt. Du hast plötzlich Lösungen für wissenschaftliche Probleme, von denen du vorher gar nicht gewusst hast, dass es sie gibt. Und dabei fühlst du sich ganz locker, leicht und frei. Verständlich, dass die Leute darauf abgefahren sind. Sie haben alles liegen und stehen lassen, nur um die Möglichkeit zu bekommen, diese Musik zu hören. Und sie haben sich dabei selbst und ihre Umgebung vollkommen vergessen.
Die Einzigen, die bei diesen Spiel nicht mitmachten, waren die Tauben. Die waren ordentlich sauer, weil sie schon wieder außen vor bleiben mussten. Und nun gab es die allgemeine Glückseligkeit, und sie waren wieder ausgeschlossen. Sie machte sich also auf den Weg dorthin, wo die Musik gespielt wurde. Unterwegs schlossen sich ein paar Wenige an, die mit dem Glück wenig anfangen konnten.
Sie kamen an den Platz, wo die wunderbaren Töne und Melodien gespielt wurden. Wie von Sinnen begannen sie, auf die Menschen einzuschlagen. Die Zuhörer waren so in ihrer Welt gefangen, dass sie die Schläge und Tritte, die Stöcke und Steine, gar nicht richtig wahrnahmen. Sie ließen sie vollkommen passiv auf sich sich niedergehen. Erst als Blut floss, erwachten sie langsam aus ihrem Traum. Viele waren schon abgemagert und ausgetrocknet; in ihrem Wahn haben sie sich nicht einmal um Essen und Trinken gekümmert.
Die Tauben hatten also die Welt gerettet. Doch ihnen wurde nicht gedankt. Den Menschen war es peinlich, wie leicht sie sich verführen ließen. Deshalb wurde die ganze Geschichte schnell vergessen.
Ihr gefiel die Geschichte. Sie lächelte. „Vielleicht ist er“, sie deutete mit dem Kopf wieder Richtung Bildschirm zu dem Jungen mit dem Hoodie, „ Vielleicht ist er ja einer der Tauben.“
Nein, ich würde ihn nicht verraten.

Früher bin ich aus Alpträumen erwacht,

heute ist es genau umgekehrt.
Im Angesicht der momentanen Krise wird es Zeit wieder zu bloggen. Ich war bei der Blogpause nicht sehr konsequent, in nächster Zeit wird es jedenfalls hier wieder mehr Beiträge geben. Thematisch wird es dabei in nächster Zeit vor allem um Corona handeln. Ein Artikel ist schon fast fertig und wird wahrscheinlich morgen erscheinen. Als nächstes kommt aber noch was ganz anderes:
Ich hab endlich mit einer Kurzgeschichte, die schon lange halb fertig in der Lade lag,zu Ende geschrieben.
In welcher Regelmäßigkeit hier Berichte erscheinen, ist absolut unklar. Ich befinde mich in einem klassischen Gefangtenen-Dilemma: Eigentlich muss ich genug am Computer arbeiten, doch kaum schalt ich ein, zieh ich mir die neuesten Nachrichten zur Krise rein.
Bald wird es auch wieder eine Kontakt-Adresse geben. Kommentare sind leider nicht möglich, aber ich werde einige Artikelm auch auf de.indymedia.org veröffentlichen. Da könnt ihr dann euren Senf dazu geben. Bis dann!
Bleibt gesund! Bleibt kritisch! Bleibt solidarisch!

Das BurnOut-Gespenst

Manchmal muss mensch sich selbst korrigieren. In meinem letzten Bericht schrieb ich folgenden Satz: Die Flexibilisierung der Arbeitszeit, der Mangel an Arbeitskräften genauso wie die gesteigerte Produktivität und die Burnout-Prophylaxe sind nicht viel mehr als rhetorische Figuren in diesem Klassenkampf. Nach dem letzten Streiktag, nach der öffentlichen Streikversammlung muss ich das korrigieren.

BurnOut war dort DAS Thema. Es wurde am öftesten auf Plakaten und bei Reden thematisiert, Es war DIE zentrale Legitimation für eine Arbeitszeitverkürzung. Das ist wenig verwunderlich: wahrscheinlich kennt jede*r, der/die zumindest ein Jahr in dem Bereich arbeitet zumindest eine Person, die den Job aufgrund von BurnOut hingeschmissen hat. Und wahrscheinlich hat jede*r, der/die schon länger dabei ist, an sich selbst schon erste Warnzeichen gespürt.

Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung hat einen hohen symbolischen Wert. Den meisten Menschen bringt sie konkret nichts, da diese nur für Leute in Vollzeit gelten wird. Im Sozialbereich arbeiten aber mehr als 80% Teilzeit. Für sie bringt das Thema praktisch eher Nachteile. Die Arbeitnehmer*innen werden sich die Arbeitszeitverkürzung etwas kosten lassen, möglicherweise eine geringere Inflationsanpassung oder eine Erhöhung des Durchrechnungszeitraumes. Dennoch stehen die meisten Arbeiter*innen hinter der Forderung, ist es doch eine symbolische Anerkennung der Schwere der Arbeit.

BurnOut ist aber nicht nur eine persönliche Krankheit – oft genug wird es immer noch als individuelle Schwäche ausgelegt- sondern genauso Folge von ökonomischen Zwängen. Der Kapitalismus muss wachsen, sonst würde er untergehen. So werden auch mehr und mehr von unseren Beziehungen und unsere soziale Kontakte kapitalisiert. Die Folge: Der Sozialbereich wächst. Gleichzeitig wird aber durch das Mantra des Neoliberalismus der Staat, der nolens volens der größte Geldgeber ist, verschlankt. Als Folge davon machen sich mehr und mehr gewinnorientierte Firmen in dem Bereich breit. Auch Non-Profit-Organisation geraten unter Druck, und müssen „sparsam“ mit ihren Mittel umgehen. Für die Arbeiter*innen im Sozialbereich bedeutet das konkret: mehr Arbeit, mehr Druck bei gleichzeitig weniger Personal und weniger Handlungsspielräumen – ein perfektes Arbeitsklima für BurnOut.

Deutlich wird das beim Thema Krankenstand. Ich habe es zweimal bei verschiedenen Arbeitgebern erlebt, dass Menschen, die lange im Krankenstand waren, unter Druck gesetzt wurden, dass sie einer Kündigung zustimmen. Die Firma, für die du dich kaputt gearbeitet hast, lässt dich fallen wie eine heiße Kartoffel, du produzierst zu hohe Kosten. Von den MitArbeiter*innen gibt es dann wenig Solidarität. Die meisten sind froh, nicht mehr so oft einspringen zu müssen. Dadurch bleiben aber nicht nur die dahinter liegenden politischen, sozialen und ökonomischen Gründe unberührt, auch das Arbeitsklima ändert sich. Du wirst es dir zweimal überlegen, ob du in den Krankenstand gehst – bis du ausgebrannt bist, und einen längeren Krankenstand brauchst. Ein Teufelskreislauf!

Darum ist es wichtig Solidarität im Betrieb zu leben, um sich gemeinsam gegen kleinere und größere Zumutungen wehren zu können! Nur eine dieser Zumutungen ist die lange Arbeitszeit. Dennoch bleibt es dabei: Wir können uns was deutlich Besseres mit unserer Zeit machen als diese Art der Arbeit. 35 Stunden sind mehr als genug!

Zum Schluss kommt noch ein Kurzbericht des letzten Streiktages vom 27.Februar: Die zentrale Streikdemo startete vom Praterstern und ging zum Sozialministerium. Ca. 2500 Menschen, und damit deutlich mehr als geplant, nahmen daran teil. Im Vergleich zum letzten Streiktag war auch deutlich mehr Schwung zu spüren. Und obwohl es eine gewerkschaftsnahe Demo war, gab es doch einige kritische Zwischentöne. Ansonsten war eine der üblichen Gewerkschaftsdemos mit gefühlt hundertmal den gleichen Reden, holprigen Slogans, etc. Spannender waren wohl die dezentralen betrieblichen Versammlungen im Vorfeld. Die Streiks gehen weiter, da auch die nächste KV-Verhandlungsrunde nichts brachte. Es bleibt also spannend!
Dienstag, 10. März, 14:00 Platz der Menschenrechte

35 Stunden sind zu viel!

Wiedermal wird breit über das Thema Arbeitszeit diskutiert. Dieses Mal kommt der Anstoß von Streiks im Sozialbereich für die Einführung einer 35-Stunden-Woche.

Hinter dem Streit um die Arbeitszeit verbirgt sich ein ziemlicher simpler Klassenwiderspruch: Die meisten von uns können sich was Besseres mit ihrer Zeit vorstellen als Lohnarbeiten zu gehen. Im Gegensatz dazu will der Kapitalismus uns möglichst lange und intensiv ausbeuten (der Einfachheit halber lassen wir außen vor, dass wir unfreiwillig auch ein Teil des Kapitalismus sind). Es ist somit eine originär politische Frage, bei der es um die Machtverhältnisse der Arbeiter*innen zum Kapital geht. Oder anders gefragt: Welche Möglichkeit hab als Individuum, dem zu entkommen? Welche Möglichkeiten haben wir als Kollektiv, dem Arbeitsdruck was entgegen zu setzen? Und welche Möglichkeiten haben sie (wobei dieses „sie“ meist unpersönlich ist), uns dazu zu zwingen?

Alle anderen Argumente sind großteils vorgeschoben. Das gilt für die Argumente der Wirtschaftskammer und der Sozialverbände genauso wie für jene der Gewerkschaft. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit, der Mangel an Arbeitskräften genauso wie die gesteigerte Produktivität und die Burnout-Prophylaxe sind nicht viel mehr als rhetorische Figuren in diesem Klassenkampf. Auch die manchmal in linken Kreisen zu hörende Hoffnung, dass der technische Fortschritt, die Digitalisierung die Arbeit verringern werde – hier z.B. durch die Autonome Antifa Wien vorgebracht –, verschleiert diese Tatsache. Historisch gesehen war es so, dass die Einführung neuer Technologien meist Hand in Hand mit einer Ausweitung der Arbeitszeit ging. Das ist auch logisch, wurden doch diese neuen Produktionsbedingungen von oben eingeführt und verschaffte den Bossen wirtschaftlich und politisch einen Vorteil. Dieser wurde auch dazu genutzt, die Arbeiter*innen weiter auszupressen.

Zurück zur Gegenwart: Die Einführung der 60-Stunden-Woche und der geringe Widerstand der Gewerkschaft dagegen sind eine deutliche Beschreibung des jetzigen Kräfteverhältnisses. Umso erstaunlicher ist die momentane Bewegung für eine 35-Stunden-Woche. Wenig verwunderlich ist es aber, dass es im Sozialbereich startet. Dort ist der Grad der gewerkschaftlichen Organisation gering, dafür gibt es eine vergleichsweise hohe Anzahl an Basisorganisationen. Für erste bedeutet das ziemlich wenig. Es sind weiterhin ein paar wenige Gewerkschafter, die verhandeln. Die meisten Arbeiter*innen dürfen zwar kämpfen, streiken und Propaganda machen, aber nicht einmal über das Verhandlungsergebnis abstimmen. Dennoch: Hier geht es um mehr als um eine kleine Arbeitszeitverkürzung. Zum ersten Mal nach vielen Jahren kommen Arbeiter*innen wieder ein Stück weit in die Offensive! Und im besten Fall entsteht durch den Druck der Basisorganisationen oder aus diesen selbst neue Zusammenschlüsse und neue Wege zu kämpfen . Und die sind in diesen Zeiten bitter nötig! Daher:

35 Stunden sind mehr als genug!

Arbeitszeitverkürzung jetzt!

(und zum Schluss eine historische Parole:)

Generalstreik ein Leben lang!