1.Mai in einer Zeitkapsel

Retropolitik von links und Sozialprotest von rechts?

Aktionen in der Zeitkapsel

Der 1.Mai als Kampf- und Feiertag der Arbeiter*innen hat eine starke Tradition auch in Wien. Diese ist so stark, dass mensch das Gefühl hat, sich in einer Zeitkapsel zu befinden: Die Welt ändert sich, der 1.Mai bleibt gleich.

In der Früh wendet sich die SPÖ für ein paar Stunden ihren Wurzeln zu. Doch dazu wird die Differenz zur jetzigen Politik sichtbar. Immer weniger Menschen haben Interesse daran. Der SPÖ ist das egal. Sie lügt sich die Teilnehmer*inennzahl zurecht, dass sich die Balken biegen.

Kurz vor Mittag läuft dann die internationalistische Demo. Es ist die Zeit der großen Klage, dass der Kommunismus ja doch Recht gehabt hätte, wenn der Weltenlauf ihm eine Chance gegeben hätte.

Am Nachmittag bzw. am Abend kommt der Auftritt der (Post)Autonomen, die für diesen einen Tag über den Umweg der Prekarität die Arbeiter*innenklasse wieder entdecken.

Dazwischen und danach wird gefeiert, sich selbst auf die Schultern geklopft, sich zu „starken, kämpferischen und lauten Aktionen“ beglückwünscht, und auf den 1.Mai nächsten Jahr verwiesen, der natürlich auch wieder „stark, kämpferisch und laut“ werden wird. Bis dahin wird die Zeitkapsel wieder nicht verlassen!1

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Wandertipps gegen den Austrofaschismus

Hinweis in eigener Sache: Hier werden in Zukunft ein paar Wandertipps zu finden sein. Der Hintergrund für diesen leicht überraschenden Move: Ich werde eine kleine Serie ganz im Sinne der “Geschichte von unten” dem Widerstand gegen den Austrofaschismus widmen. Im Jahreskreis   werden (wahrscheinlich) sieben verschiedene Widerstandsaktionen/-aspekte vorgestellt Dazu passend gibt es Lieder und Wandervorschläge. Los gehen wird es rund um den 1.Mai. Seid gespannt!

Update:

Leider ist meine Zeitplannung suboptimal. Der Text zum 1.Mai wartet noch darauf, fertig gestellt zu werden. Deswegen wird jetzt einfach veschoben. Losgehen wird es im Juli, dem Text zum 1.Mai wird die kleine Serie enden.

Kalter Winter statt Heißer Herbst

Anfang Herbst wurde vom ÖGB schon fast traditionell bei den Lohnverhandlungen ein „heißer Herbst“ angekündigt. In der Rückschau blieb davon aber nicht viel übrig: Die Ergebnisse führten zu massiven Reallohnverlusten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage gestellt, wer die Kosten der Pandemie bezahlen. Von der Forderung „Make the Rich Pay for Covid“ ist nicht allzu viel übrig geblieben. Vielmehr passt „Make the Workers Pay for Covid“ zu der Entwicklung der Zeit. Dennoch ist es auffallend ruhig geblieben. Nur sehr vereinzelt, rund um die Verhandlungen in der Metallbranche, kam es zu ein paar wenigen Protestaktionen. Statt eines heißen Herbstes kam es zu einem kalten Winter, der noch lange anhalten wird.

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Hört auf, nach mehr Repression zu rufen!


Einmal mehr zogen die Schwurbler*innen gestern durch die Stadt. Einmal mehr schaute die Polizei zu, obwohl die Demo vorher verboten wurde. Einmal mehr wurde das Vorgehen mit linken Demos verglichen. Einmal mehr wurde ein härteres Vorgehen, wurde mehr Repression gefordert. HÖRT AUF DAMIT!

Das härtere Vorgehen ist bereits da. Als oberster Corona-Bekämpfer wurde ein Militär mit Geheimdienst-Vergangenheit ernannt. Das Virus soll wie ein Feind bekämpft werden. Demos werden immer leichter und unter immer abstruseren Gründen verboten – wenn es auch nicht immer durchgesetzt wird. In Straßburg wurde für Silvester eine Ausgangssperre für Unter 16Jährige verhängt – nicht aus Angst vor Corona, sondern aus Angst vor Ausschreitungen.

Das ist das Wesen der Repression. Sie trifft nicht nur die, die es treffen soll, sondern potenziell alle – auch die, die nach ihr rufen. Linke bzw. liberale Demos werden genauso verboten bzw. müssen zu unmöglichen Zeiten stattfinden!

Deswegen nochmal: Hört auf, nach mehr Repression zu rufen! Hört auf, darauf zu hoffen, dass die Polizei die gesellschaftlichen Probleme löst! Das müssen wir schon selbst tun! Die Schwurbler*innen stellen eine nicht zu unterschätzende, gefährliche Strömung der jetzigen Zeit dar. Sich ihnen auf allen Ebenen entgegenstellen, ist wichtig. Doch wenn wir das der Polizei überlassen, bedeutet das noch mehr Autorität und Repression für uns alle. Darum müssen wir uns schon selbst kümmern!

ÖGB ermöglicht Hire&Fire in der Putzbranche

Einmal mehr ist der ÖGB bei Kollektivverhandlungen im Liegen umgefallen. Für die Sparte der Gebäudereinigung stimmte er ohne Not einer drastischen Reduktion der Kündigungsfrist zu und ermöglicht so eine Hire & Fire – Praxis in der Putzbranche.

Die Putzbranche wurde durch Corona ordentlich durcheinandergewirbelt. Auf der einen Seite brachen durch Hotelschließungen etc. massiv Aufträge weg, andererseits gab es in Krankenhäuser etc. einen deutlichen höheren Reinigungsbedarf. Die Bosse wünschten sich bereits letztes Jahr, das Risiko durch diese Schwankungen auf die Arbeiter*innen abzuwälzen. Sie wünschten sich eine Kündigungsfrist von nur einer Woche statt bislang sechs Wochen. Schon jetzt beträgt der Durchrechnugszeitraum, in der die Arbeitszeit flexibel gestaltet werden kann, 9 Monate.

Letztes Jahr wurde die Forderung bei den Kollektivverhandlungen noch abgelehnt, doch dieses Jahr fiel die Gewerkschaft um. Ab 1.1. 2022 gilt für alle reinigenden Arbeiter*innen, die weniger als 3 Jahre bei der gleichen Firma sind, nur noch 2 Wochen. Die Kündigung kann täglich ausgesprochen werden. ÖGB ermöglichst somt Hire&Fire in der ganzen Putzbranche!

Die Gegenleistung dafür ist ziemlich mager. Es gibt ein Gehaltsplus von 3,5%. Der Reallohnverlust des letzten Jahres, als es eine Lohnerhöhung von 1,6% bei gleichzeitiger Inflation von 3,6% (Stand Oktober 2021) gab, kann damit nicht ausgeglichen werden. Auch der freiwillige (!) einmalige Coronabonus von €100,- (!) kann eher als Hohn denn als Zeichen der Wertschätzung verstanden werden.Einmal mehr zeigt sich, was das Klatschen wert ist.

Zum Abschluss sei noch festgehalten, dass es einen Arbeitskräftemangel gibt. Eine Gewerkschaft, die diesen Namen auch verdient, würde diesen Umstand nutzen, um Verbesserungen der Arbeiter*innen zu erkämpfen. Stattdessen nutzen Firmen ihre Chance, um eine Kürzung des Arbeitslosengeld zu fordern. Die linksliberale Zeitung „Der Standard“ gab im Oktober zwei dieser Firmen viel Platz für ihre Forderungen (1). Eine ist in der Vergangenheit wiederholt aufgefallen, da sie zu wenig Loh auszahlte (2).

Sinnvoller wäre es, wenn die Bosse vor ihrer eigenen Tür putzen würden. Oder besser noch: Sie können sich auch selbst wegputzen – und ihre gelben Gewerkschaftsfunktionär*innen gleich mitnehmen!

(1) https://www.derstandard.at/story/2000130389446/iss-oesterreich-chefbin-nicht-dafuer-dass-man-faulheit-unterstuetztRetour ligne automatique
https://www.derstandard.at/story/2000130419354/warum-arbeiten-wenn-ich-mit-arbeitslosengeld-mehr-bekommeRetour ligne automatique
(2) https://ooe.arbeiterkammer.at/service/broschuerenundratgeber/arbeitundrecht/B_2016_Schwarzbuch_Arbeitswelt.pdf Die Praktiken der Firma ISS, von der hier die Rede ist, finden sich auf Seite 11.

Corona und die Matroschka-Krise

Vierschachtelung

Matroschkas sind beliebte Souvenirs aus Russland: Holzpuppen, in denen kleiner Puppen versteckt sind. Dieses verschachtelte Spielzeug ist ein Sinnbild für die momentane wirtschaftliche Krise. Begonnen hat sie mit einer exogenen Krise, die von außen durch die Corona-Pandemie, durch Lockdowns und Schließungen herbeigeführt wurde. Damit Betriebe in dieser Situation nicht massenhaft in den Konkurs schlittern, springt der Staat mit viel Geld (Fixkostenzuschuss, Umsatzersatz) ein. Doch dadurch drohen die Staatsschulden zu explodieren. Hier springen die Zentralbanken ein, die selbst Staatsanleihen aufkaufen und billige Kredite vergeben. So soll das Risiko eines Staatsbankrotts minimiert werden.

Die ursprüngliche Krise wird mit einem Konstrukt begegnet, das das eigentliche Problem umgibt, wodurch der Schaden begrenzt werden soll. Sollte sich dieses Gebilde selbst als problematisch erweisen, wird darum wieder ein Konstrukt darum gebaut, um das Risiko so abzufangen – eine Verschachtlung wie bei einer Matroschka.

Bislang funktionierte dieses System gut. Obwohl die Pandemie nun schon eineinhalb Jahre dauert, hält sich der Wirtschaftsabschwung in Grenzen. Zu größeren sozialen Verwerfungen kam es hierzulande (noch?) nicht. Doch hat es auch zwei große Nachteile: Zum einem werden Probleme so nicht gelöst, sondern nur verschoben. Zum anderen können so kleine Störungen zu grö0eren Krisen führen.

In den letzten Wochen und Monaten wurden einige dieser Störungen sichtbar. Am meisten berichtet wird über Probleme in den Lieferketten, doch eine Energiekrise mit steigenden Preisen sowie Arbeitskräftemangel sind genauso kritisch. In den meisten westlichen Ländern machen sich diese Phänomene durch eine steigende Inflation bemerkbar. In Großbritannien und Spanien führen sie bereits dazu, dass die Wirtschaft auf niedrigem Niveau stagniert.

Überproduktionskrise

Die Bekämpfung der Krise erfolgt nach einem Muster, dass schon in ähnlicher Form bei der Finanzkrise 2008 angewandt wurde. Auch damals bildeten billige Schulden, eine deutliche Erhöhung der Geldmengen sowie die staatliche Übernahme von unternehmerischen Risiken und Verlusten die Eckpunkte, mit der auf die damalige Krise reagiert wurde. Dadurch wurden unternehmerische Gewinne privatisiert, während Verluste und Risiken sozialisiert wurden.

Damals wie heute vergrößert sich so der Unterschied zwischen Arm und Reich. Nutznießer des staatlichen Geldregens sind nahezu ausschließlich große Unternehmen. Denn je größer der Umsatz ist, desto mehr Unterstützung gibt es vom Staat. Für Arbeiter*innen hingegen, die in der Pandemie trotz hohen gesundheitlichen Risikos den Laden am Laufen hielten, fallen im besten Falle nur Brosamen ab. Andere marginalisierte Gruppen wie Obdachlose und Refugees schauen ganz durch die Finger. Sie müssen selbst in der Pandemie in Massenquartieren bleiben. Am dramatischsten ist die Lage in den Pflegeheimen, für die es keine zusätzliche finanzielle und personelle Unterstützung gibt. Ebenso unterbleiben Investitionen in die Infrastruktur. Die Macht der Konzerne wird so weiter ausgebaut.

Dennoch ist auch für sie nicht alles rosig. Denn es gibt zwar viel billiges Kapital, aber wenig Möglichkeiten, es gut zu investieren. Wir befinden uns mitten in einer Überproduktionskrise. Der Staat förderte Unternehmen mit beträchtlichen Investitionsprämien in der Hoffnung, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dadurch entstand eine so große Nachfrage, dass Zulieferer nicht mehr nachkamen und es zu beträchtlichen Verzögerungen in den Lieferketten kam. Gleichzeitig wird durch die Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten die Bildung von Blasen begünstigt. Ein Blick auf die Aktienmärkte bestätigt das. In der Zeit der Krise, in einer Zeit von weitreichenden wirtschaftlichen Einschränkungen jagen Dow Jones und DAX (und mit Abstrichen auch der ATX) von einem Rekordwert zum nächsten – und das mitten in einer Krise, in der so viele Menschen wie bislang noch nie auf die Hilfe karitativer Organisationen angewiesen ist.

Problemlöser Sozialstaat?

Der Auslöser für diese Entwicklungen ist die Corona-Pandemie. Wenn die gesundheitliche Krise nicht gelöst wird, gibt es auch wenig Chancen für eine langfristige wirtschaftliche Erholung. Die allermeisten Staaten setzen dabei auf Impfungen – allerdings bislang mit unklarem Ausgang. Trotz hoher individueller Wirksamkeit steigen die Infektionszahlen auch in Ländern mit hohen Impfquoten.
Es wäre also höchste Zeit, die Impfkampagne mit anderen, infektionshemmenden Interventionen zu begleiten. Naheliegend wäre der Ausbau von sozialstaatlichen Angeboten.
Durch Investitionen im Gesundheitsbereich könnten beispielsweise die Anzahl der Spitals- und ICU-Betten erhöht werden. Mehr Geld in der Bildung würde zu kleineren Klassen und damit im Falle des Falles zu kleineren Clustern führen. Ein höherer Personalschlüssel in Alten- und Pflegeheimen würde die Bewohner*innen, die wohl am meisten gefährdete Gruppe, besser schützen. Das über solche Maßnahmen nicht einmal diskutiert wird, sagt viel über den Zustand des Sozialstaates aus.

Tatsächlich gilt nach wie vor das neoliberale Credo der Einsparungen im Sozialbereich. Statteines Ausbaus kommt es zu einem Abbau mit dramatischen Folgen: In Deutschland gingen in den letzten zehn Monaten 3000 von 12.000 ICU-Betten wegen Personalmangels verloren. Im Land Salzburg stehen 10% der Spitalsbetten aus demselben Grund nicht zur Verfügung. Der Pflegekräftemangel ist deutlich in allen Krankenhäusern zu spüren. Kurzfristig müssen deswegen sogar einzelne Stationen geschlossen werden. In Wien werden im Pflichtschulbereich Lehrer*innen eingespart, so dass es fortan größere Klassen gibt. Anstatt für gute Arbeitsbedingungen im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich zu sorgen, nehmen die städtischen und staatlichen Stellen nehmen lieber die Gefahr eines neuen Lockdowns in Kauf. Mehr muss mensch über den Zustand des hiesigen Sozialstaates nicht wissen.

Sollte die wirtschaftliche Krise an Dynamik gewinnen, sollten noch soziale Verwerfungen im größeren Ausmaß kommen, ist nicht damit zu rechnen, dass dieser in der Lage sein wird, die Auswirkungen abzufedern. Eher wird mit Hinweis auf die Belastungsgrenzen Sozialleistungen gekürzt werden. Als Problemlösung wird er mit ziemlicher Sicherheit nicht in Frage kommen.

Linke Antworten?

An dieser Stelle ist es an der Zeit, die Stopp-Taste zu drücken. Das hier zwischen den Zeilen angedeutete Szenario einer zerplatzenden Blase der Überproduktionskrise, die eine Kettenreaktion auslöst, die den Sozialstaat in die Knie zwingt, während gleichzeitig Corona noch grassiert, ist eben haargenau das: eine Prognose. Wie wahrscheinlich sie ist, ist eine andere Frage. Kein Mensch kann in die Zukunft blicken. Ob bzw. wie stark die Wirtschaftskrise Dynamik aufnimmt, und welche sozialen Verwerfungen dadurch produziert werden, lässt sich momentan nicht sagen. Es sei hier nochmal daran erinnert, dass bislang, nach 18 Monaten Pandemie, die wirtschaftliche Krise überschaubar blieb. Möglicherweise wird es auch so bleiben.

Dennoch bleibt die ökonomische Krise der „Elefant im Raum“. Schon jetzt, in der „überschaubaren“ Wirtschaftskrise ist es so, dass die Reichen reicher werden, während für die „Held*innen“ bestenfalls Brösel überbleiben. Hinzu kommt neuestens, dass es unter dem Deckmantel der Gesundheitsfürsorge der Druck zum Abbau sozialer Errungenschaften massiv steigt. In Österreich kann Ungeimpften das Arbeitslosengeld gestrichen werden, in Deutschland wird die Lohnfortzahlung während einer Quarantäne für sie Impfskeptiker*innen eingestellt. Unter den Linken breitet sich dank dieser Mischung von Gesundheitsfürsorge und Sozialabbau Ratlosigkeit aus. Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, werden nicht einmal andiskutiert.

Das ist verwunderlich, da die soziale Frage eigentlich ein linkes Kernthema ist. Es gibt massig Theorie zu Schulden und Krise im Speziellen sowie zu Kapitalismus im Allgemeinen. Es gibt dutzende Beispiele von der Praxis gegenseitiger Hilfe in Krisenzeiten.

Es entstehen auch mehr und mehr Anknüpfungspunkte für eine soziale Widerstandspraxis. In einigen Berufsgruppen gärt es. Egal ob Fahrradbot*innnen oder Krankenhauspersonal in Berlin, Sozialarbeiter*innen in Wien, Musiker*innen in Burgenland oder Lokführer*innen in Deutschland, Kindergärtner*innen in Österreich– der Arbeitskampf von Appelen und Demos bis hin zu wilden Streiks ist zurück. Sicher, noch sind es noch wenige Kämpfe, nur selten sind sie erfolgreich. Dennoch ist eine Dynamik spürbar, durch die Arbeitsverhältnisse wieder vermehrt in den politischen Fokus gerückt werden.

Um zum Schluss nochmal auf die Figur der Matroschka zurückzukommen: Es ist klar, dass sich in der Puppe eine andere Puppe mit ähnlicher Form befindet, doch wie diese genau ausschaut, ist eine Überraschung. Ebenso wissen wir, dass wir inmitten in einer Krise sind; möglicherweise wird diese noch härter. Doch ob daraus eine neue solidarische, antikapitalistische Praxis erwächst (bzw. ob wir es schaffen, so eine Praxis mit dazugehöriger Theorie zum Leben zu erwecken); oder ob es zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen kommen wird, wissen wir noch nicht. Zum Glück finden wir die Matroschkas, die Verhältnisse, wie sie sind, nicht vor; wir sind dazu aufgerufen, sie zu verändern!

[Wien] A Reason to Party? Spontandemos gegen die Regierung

Anfang Oktober stand die politische Welt in Österreich Kopf. Durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurde bekannt, wie stark die ÖVP unter Kanzler Kurz ein System der Medienkorruption aufgebaut hatte, um sich selbst in einem guten Licht präsentieren zu können. Es gab mehrere Hausdurchsuchungen, auf die eine veritable Regierungskrise folgte. Schlussendlich musste Kurz zur Seite treten. Er bleibt jedoch als Parteiobmann die wichtigste Person der ÖVP, und wechselt in das Parlament. Neuer Kanzler wird Alexander Schallenberg, ein Hardliner und Kurz-Vertrauter.
Im Laufe dieser Entwicklungen kam es auch zu drei Spontan-Demos. Am Donnerstag, dem 7.Oktober, dem Tag nach den Hausdurchsuchungen, versammelten sich ca. 7000 Menschen vor der ÖVP-Zentrale. Zu Beginn war es durchwegs eine kämpferische und lautstarke Kundgebung. Problematisch war, dass die einzige Initiative vom Lauti, organisiert von Links Wien und SP-Vorfeldorganisationen, ausging. Von dort kam auch die Info, dass am Ballhausplatz, nur wenige Gehminuten entfernt, wichtige ÖVP-Verhandlungen stattfinden würde. In Kleingruppen bewegten sich Menschen dorthin; schlussendlich waren ca. 500 Menschen vor Ort. Der Platz wurde jedoch von vielen Gittern und Polizist*innen abgesichert, so dass die Menge sich nochmals ein paar Meter weiter zum Parlamentsgebäude am Held*innenplatz weiterbewegte. Dort verwandelte sich die Demo in eine Party, die sich langsam auflöste. Getroffen haben sich dort jedoch nur SPÖ-Politiker*innen; die ÖVP verhandelte Kilometer weit weg in ihrer Parteiakademie in Meidling.
Am Samstag, als Kurz zur Seite trat, gab es die nächste Demo. Am Ballhausplatz versammelten sich mehr als 500 Menschen. Dort wurde das Kunststück zusammengebracht, in den Reden den politischen Schachzug scharf zu kritisieren, gleichzeitig aber zum Feiern aufzurufen. Auch diese Kundgebung ging schnell in eine Party über.
Am Dienstag, 12.Oktober, gab es eine Sondersitzung des Parlaments, bei der ursprünglich ein Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz geplant war. An diesem Tag war eine größere Kundgebung, die von nahezu zwanzig verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen organisiert war, geplant. Schlussendlich kamen nur ca. 700 Personen. Die meisten bleiben aufgrund der gefallenen Entscheidungen und des schlechten Wetters nur kurz.
Etwas mehr Wut und Energie, etwas mehr Selbstorganisation und etwas mehr Plan hätte den Protesten gutgetan. Auch etwas weniger Party und Hedonismus wäre angebracht gewesen. Denn objektiv gesehen gibt es kaum einen Grund zum Feiern. Es ist schon schlimm genug, dass wir den Ist-Zustand gegen autoritäre Angriffe verteidigen müssen. Wenn selbst das nicht oder nur unzureichend gelingt, ist das kaum ein Grund zu feiern.
Die autoritären Verhältnisse wirken auch auf die Demos selbst aus. Die schwache Mobilisierung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass bald klar war, dass die Entscheidungen nur von wenigen Menschen gefällt wird. Ein „Druck von der Straße“ hatte bald keinerlei Bedeutung. Nur unmittelbar nach Bekanntwerden der Hausdurchsuchungen war der weitere Verlauf noch offen war: Es war immerhin denkbar, dass ein öffentlicher Aufschrei zu politischen Veränderungen beitragen könnte. Zu dieser Kundgebung kamen auch mehrere tausend Menschen. Die Aktionen danach hatten nur noch symbolischen Charakter.
Es soll hier aber nicht der Eindruck entstehen, dass Partys per se schlecht sind. Ein Aktivismus, der nicht zumindest auch lustvoll ist, ist nicht zielführend. Aber die eigene Ohnmacht abzufeiern ist nochmal ein ganz anderes Ding.

If I can’t dance to it, it’s not my revolution!
If I only can dance to it, there is no revolution!

Eindrücke von den Lobau-Protesten

islang gibt es noch wenig subjektive Berichte vom Camp und der Besetzung im Zusammenhang mit der Lobau-Autobahn. Seit gut zwei Wochen gibt es in Hirschstetten ein legales Camp. Kurz darauf wurden drei Baustellen besetzt. An anderen Orten wird jedoch die Stadtstraße, die die Südosttangente mit dem neuen Stadtteil Aspern Seestadt und der noch zu errichtenden Lobau-Autobahn verbinden soll, weitergebaut. Momentan ist die Stimmung dort entspannt. Politik und Betreiber*innen warten wohl auf die kalte Jahreszeit in der Hoffnung, dass sich dann nur noch wenige Besetzer*innen dort befinden, und diese sich leicht räumen lassen.

Die Besetzung lag schon länger in der Luft. Bei Umweltdemos diesen Frühling wurde mehrfach klar gemacht: „Wird gebaut, wird besetzt!“ So ist es jetzt ein schönes Gefühl, dass die Aktionen endlich begonnen haben.
Camp und Blockaden befinden sich in Hirschstetten, einer verschlafenen Vorstadt-Gegend. Das ist leider bei weitem nicht so atmosphärisch wie ein Camp im Auwald, lässt sich aber nun mal nicht ändern. Dennoch ist vor Ort ein schönes Ambiente. Von den Anrainer*innen gibt es einiges an Support, die wenigsten von ihnen haben Lust auf die Lärmhölle Autobahn. Komische Blicke gibt es auch, aber nicht besonders oft.

Die Dynamik vor Ort ist durchwegs positiv. Anfangs waren es eher wenige Aktivist*innen. Doch dank guter Vernetzung, erfolgreicher Mobi und besten Herbstwetters werde es ständig mehr. Mein Gefühl ist, dass hier was echt Gr0ßes entstehen kann. Vor allem bei manchen der Events (z.B. Baustellenkonzert) finden schon jetzt mehrere hundert Leute den Weg in die verschlafende Vorstadt. Normalerweise sind es ein paar dutzend Menschen, die sich auf die vier verscheidenen Orte aufteilen. Es ist zu hoffen, dass jetzt, wo es noch ruhig ist, noch mehr Menschen nach Hirschstetten kommen; damit dann, wenn es stressiger wird, leichter (re)agiert werden kann.

Das Zusammenspiel zwischen beständigen Gruppen vor Ort und Unterstützer*innen, die manchmal vorbeikommen, funktioniert sehr gut und hat durchwegs Potential. So ist es möglich, dass zumindest kurzfristig sich viele Menschen an Aktionen beteiligen. Es ist möglich, auf der Baustelle und im Stadtzentrum gleichzeitig präsent zu sein. Schon jetzt tauchen mehr und mehr Plakate, Stickers und Graffitis mit Lobau-Bezug auf. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es hier in Zukunft zu Problemen kommen kann. Auf der einen Seite Dauerbesetzer*innen, wo es leicht zu Überforderungen kommen kann; eine hohe Fluktuation mit Problemen der Informationsweitergabe, der Entscheidungsfindung und der Organisation allgemein kommen kann. An dieser ein sehr allgemeiner, aber dennoch wichtiger Hinweis: Achten wir auf uns selbst, achten wir aufeinander! So können wir einen guten Protest-Spirist schaffen, der auch länger anhält!
Generell macht es Sinn, sich auf einen langen Kampf einzustellen. Die Betreiber*innengesellschaft ASFINAG rechnet mit einer Bauzeit bis 2025 – nur für die Verbindung zwischen Südosttangente und Lobau-Autobahn. Die beiden Straßen werden mehr als 25 km lang sein. Aus Wortmeldungen der politischen Kräfte im Hintergrund, der Bundes-ÖVP sowie der Wiener SPÖ, ist zu entnehmen, dass sie das Projekt unbedingt durchziehen wollen. Es wird also spannend bleiben.

Zum Schluss kommt nochmal die Bitte´, beim Camp und bei den Blockaden vorbeizuschauen. Es gibt auch ein Programm, meist ist es aber sehr kurzfristig geplant. Es sei hier aber auf zwei-drei größere Events hingewiesen:
17.September, 17:00 Schwarzenbergplatz: Critical Mass zum Lobau-Camp
24.September, 12:00 Praterstern: Klimastreik
25.September: Ergebnis der Evaluation des Lobau-Tunnels wird präsentiert. Davon wird

Pandemiebekämpfung mit Polizeiknüppel – nur nicht für Schwurbler*innen?

Machen wir uns nichts vor: Wir sind letzte Woche (1) in eine neue Phase der Pandemiebekämpfung eingetreten – jene, die auf Pfefferspray und Polizeiknüppel setzt. In den letzten Tagen und Wochen mehrten sich die Polizeikontrollen von Menschen, die einfach nur am Karlsplatz oder in einem der Beserlparks sitzen. Betroffen sind vor allem marginalisierte Jugendliche. Ein Handyvideo, das die Tage die Runde macht, zeigt, wie die Polizei ohne ersichtlichen Grund einen Mann gegen die Wand knallt und ihn dann fixiert. Es ist nur die Spitze des Eisbergs. Eine Blockade, die eine Abschiebung verhindern wollte, wurde letzten Donnerstag, 28. Januar, hart aufgelöst. In Innsbruck wurde samstags eine antirassistische Demo gekesselt, 15 Menschen wurden tagelang festgehalten. In Wien wurde nahezu alle Demos, die für das Wochenende geplant waren, verboten. Machen wir uns nichts vor: Es wird in Zukunft sehr schwer werden, Demos mit mehr als 100 Teilnehmenden legal zu organisieren.

Die zunehmende Polizeigewalt ist die logische Konsequenz in diesem Stadium der Pandemiebekämpfung. Es gibt seit drei Monaten einen Lockdown, doch die Zahlen der Neuinfizierten geht schon lang nicht mehr zurück. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass sich weniger und weniger Menschen an die Beschränkungen halten. Zu lange müssen wir uns schon privat einschränken, während gleichzeitig im Arbeitsleben kaum Regeln gelten. Die Regierung hat hier nur die Wahl zwischen Aufhebung des Lockdowns, was aber Alternativkonzepte erfordern würde oder mit zunehmender Gewalt auf die Einhaltung der regeln zu pochen. Die Ereignisse der letzten Woche zeigten, welche Wahl getroffen wurde.(1)

Es gibt eine auffallende Ausnahme in diesem Repressionszirkus. Die „Querdenken“-Demo am Sonntag, dem 31. Januar, die von Rechtsextremen, bekennenden Nazis und Verschwörungstheoretiker*innen angeführt wurde, wurde zwar verboten, konnte aber dennoch stattfinden. Anfangs schaute es noch so aus, als wollte die Polizei mit dem Verbot, wenn auch vergleichsweise mit Samthandschuhen, Ernst machen. Die Menschen, die zuerst auf die Straße gingen, wurden gekesselt. Es gab mehrere Polizeiketten in den Straßen rundherum. Dennoch war es nicht überraschend, dass das Konzept der Polizei scheiterte. In der Vergangenheit hatte sie Mühe, Demos mit 1 000 Leuten aufzulösen. Es war zu erwarten, dass sie bei einer Demo mit 10 000 Teilnehmenden bald am Ende des Lateins sein würde. Viele Menschen entgingen der Einkesselung. Die Polizeiketten wurden umflossen. So bildeten sich kurz nach der Auflösung mehrere Spontandemos. Um 15:00, nach 2 Stunden Kessel, gelang schließlich den dort Festgehaltenen ein Ausbruch.

Der Erfolg der Schwurbler*innen wurde durch einen offen ausgetragenen Streit in der Polizeiführung erleichtert. Nach der letzten Großdemo am 16.1. kam es zu einem auch medial geführten Streit zwischen Innenministerium und Wiener Polizeiführung, was der richtige Umgang mit diesen Demonstrationen sei. Spätestens ab dem Durchbruch aus dem Kessel setzte sich jener Teil, der „Deeskalation“, also geheime und offene Verbrüderung mit den Rechten wollte, durch. Die Polizei ließ die Demonstration gewähren, regelte zeitweise nicht einmal noch den verkehr. Sie beschränke sich darauf, zwei kleine antifaschistische Blockaden zu räumen, und Journalist*innen und die wenigen Linken vor Ort zu kontrollieren. Die Schwurbler*innen nutzen die Chance. Sie zogen stundenlang kreuz und quer durch die Stadt. Dabei kam es wiederholt zu Angriffen auf Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen.

Hier ist eine brandgefährliche Situation entstanden. Es war nicht nur ein Riesenerfolg der Schwurbler*innen, sondern auch ein kleiner polizeilicher Putsch gegen das Innenministerium. Sie brachte ihre eigene politische Agenda heute klar zum Ausdruck. Zu befürchten ist, dass die Repression gegen Marginalisierte und gegen Protestbewegungen noch härter. Die einzige Ausnahme gilt den Schwurbler*innen – zumindest so lange der Streit innerhalb der Polizeiführung noch andauert. Sie können sich dennoch als Widerstandsheld*innen feiern, da sie ja das Demoverbot durchbrochen haben – was dieser Szene noch mehr Auftrieb geben wird.

Bislang beschränkte sich linke Kritik vorwiegend auf die ungleiche Behandlung von linken und rechten Demos. So naheliegend das ist, so verkürzt ist das auch. Natürlich ist ein kurzfristiges Einschritten der Polizei bei unmittelbarer Gefahr notwendig– was sie bei der Demo selten gemacht hatte. Doch die Forderung nach mehr Polizei, nach härteren Durchgreifen, nach mehr Verboten kann kaum ein politisches Programm sein. Auch als mittel- oder langfristige Strategie eignet sie sich nicht. Gerade in der letzten Woche zeigte sich: Wer Repression gegen Rechte fordert, bekommt Repression gegen Marginalisierte und Antifaschist*inne frei Haus mit. Der Schrei nach noch mehr Härte in diesem aufgeladenen Klima entlarvt nur die eigene Ohnmacht und Ideenlosigkeit.

Natürlich ist es wichtig, sich den Antisemit*innen, den Rassist*innen und den Verschwörungsideolog*innen entgegenzustellen. Doch genauso wichtig ist es, darüber hinauszugehen, eigene Ideen zu entwickeln, und eigene Schwerpunkte zu setzen, die eigene Basis wieder zu stärken. Die indirekte (ZeroCovid) und direkte Forderung (Reaktion auf #w3101) nach mehr staatlicher Gewalt ist eine Sackgasse, da sie nur die eigene Ohnmacht fördert. Es braucht eine klare Kante gegen staatliche und rechte Gewalt!

(1) Der Artikel wurde kurz in den ersten Februartagen kurz nach der Demo geschrieben. Leider brauchte das Korrekturlesen seine Zeit. Seither hat sich einiges getan: Die ersten Öffnungsschritte aus dem Lockdown widersprechen der These des Artikels nicht; gingen sie doch mit mehr Kontrollen und härteren Strafen einher. Wie sich die Skandale der letzten Zeit (Tirol, Kaufhaus Österreich, viennaattack-Untersuchungskommission, Hausdurchsuchung Blümel) auf das Verhalten der Polizei auswirken werden, werden wir sehen. Umgekehrt ist es so, dass eine Polizei, die die Befehle des Innenministers ignoriert, ein Beispiel dafür ist, auf welch wackeligen Beinen die Koalition steht.