Auf den Spuren der Februarkämpfe im Waldviertel

Ein Spaziergang von Amaliendorf nach Schrems

Heute wirkt Amaliendorf wie eine ganz normale Ortschaft, die sich in nichts von anderen Dörfern der Umgebung unterscheidet. Das war mal anders. In der Zwischenkriegszeit galt der Ort als „Verbrechereldorado“ Der damalige Bürgermeister erklärte das folgendermaßen: „Arbeitslosigkeit hat einige verwegene Burschen zu Nahrunggddiebstählen getrieben. Eingesperrt und rücksichtslos bestraft, bekamen die im Kerker die „Hohe Schule“ und wurden Berufsdiebe. Das ist zugegeben. Doch sind sie nur eine ganz verschwindende Zahl der Bevölkerung.“

Der Grund für den schlechten Ruf war also das große Elend, dass in dem Ort herrschte. Der Kleinbauer und sozialdemokratische Aktivist Laurenz Genner beschrieb die Lage so: „Das Waldviertel ist ein besonderes Elendsgebiet. Es gibt dort mehr Steine als Brot.“ Doch selbst das mit den Steinen war so eine Sache. Eigentlich sorgten sie für Arbeit. Doch durch die Wirtschaftskrise der 30er Jahre wurde der Betrieb in vielen Steinbrüchen eingestellt. Dadurch ging für viele Arbeiter*innen die einzige Einnahmequelle verloren. In Amaliendorf, wo nur etwas mehr als 1000 Menschen leben, waren „370 Einwohner arbeitslos, 111 beziehen die Notstandshilfe, 24 Familien ausgesteuert“

Unter diesen Umständen verwundert es wenig, dass die Mehrheit der Bevölkerung Sozialdemokrat*innen waren. Es ist daher auch naheliegend, dass, als die Februarkämpfe ausbrachen, der Parteivorsitzende der benachbarten Stadt Schrems, Alois Junker, verhaftet wurde, einige Dorfbewohner*innen ihrem bedrängten Genossen zu Hilfe eilen wollten. Zumal es enge Beziehungen zwischen den beiden Ortschaften gab. Vielen Amaliendorfer*innen arbeiteten in den Schremser Steinbrüchen. Umgekehrt war Alois Junker einige Jahre Lehrer in Amaliendorf. Mit seiner Unterstützung wurden ein örtlicher Ableger der Kinderfreunde gegründet. Ein Lehrerkollege gründete den „Arbeiter-Gesangs- und Musikverein“. Deshalb versammelten sich am 12. und 13. Februar zweimal die Arbeiter*innen des Ortes. Doch beide Male scheiterte der Plan. Einmal wurden keine Waffen gefunden, sodass die Menschen, die bereits unterwegs waren, glaubten, das Unterfangen sei sinnlos und wieder umdrehten. Ein anderes Mal ließen sich von einer Rede eines Landtagsabgeordneten einschüchtern und/oder beruhigen.

Der Weg von Amaliendorf nach Schrems kann heute eher als leichter Spaziergang als eine ernstzunehmende, schweißtreibende Wanderung zurückgelegt werden. Anders dürfte die Situation vor 90 Jahren gewesen sein. Viele Arbeiter*innen mussten die Strecke tagtäglich bei jedem Wetter nach einem anstrengen Arbeitstag gehen. Der Weg beginnt bei der Ortskapelle, wo auch eine Busstation ist. Die Hauptstraße runter, an der Schule vorbei, und bei der dritten Abzweigung links in die Wackelsteinstraße einbiegen. Hier ist der Weg als „NLW“ und „630“ markiert. Der Weg führt in den Wald an Wackelsteinen, den den Wahrzeichen der Ortschaft, vorbei. Nach ca. einer halben Stunde wird die Hubertuskapelle erreicht. Dort gehen die markierten Wege rechts weiter. Der schnellste Weg nach Schrems führt aber gerade aus. Möglich ist ein Umweg rechts nach Eugenia. Dort befindet sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine Glasfabrik. Heute wird der Standort von einem Energieunternehmen genutzt. Bis heute ist es ein Arbeiter*innendorf, was in der Architektur und Struktur des Ortes, anders als in Amaliendorf oder Schrems sichtbar geblieben ist. Für diesen Weg einfach auf der Strecke „NLW“ und „630“ bis zum Dorf bleiben. Beim Rückweg kann nach der Brücke am Ortseingang der Weg über den Eliasteich (beschildert) genommen werden. Kurz nach dem Teich mündet der Weg in den ursprünglichen Weg.

Die Kleinstadt Schrems wird über die Pfarrgasse erreicht, die am Hauptplatz endet. Direkt gegenüber liegt die Josef-Widy-Straße, in der sich auch das Arbeiterheim befand. Doch zuvor geht es am Hauptplatz links. Nach wenigen Metern ist das Rathaus erreicht. Gleich daneben befindet sich die Polizeistation. Dort wurde Alois Junker in den verhängnisvollen Februartagen gefangen gehalten. Am Platz davor versammelte sich eine stetig größer werdende Menschenmenge, die seine Freiheit forderte. Als sie schlussendlich Erfolg hatte, zog sich zum Arbeiterheim zurück. Auf der Josef-Widy-Straße wurde noch eine Barrikade gebaut.

Heute erinnert nichts mehr an die dramatischen Ereignisse vor knapp 90 Jahren. Selbst das Arbeiterheim hat seinen Namen verloren. Es heißt jetzt Kulturhaus. Es sind auch keine politischen Parteien oder Initiativen beheimatet. Als letzter Überrest ist eine Mutterberatung übriggeblieben. Außerdem ist ein Pizzeria dort eingezogen. So wird der Spaziergang auf den Spuren der Februarkämpfe unweigerlich auch eine Wanderung einer untergegangen Arbeiter*innenkultur. Das Elend der 30er Jahre ist verschwunden. Aber auch die Kämpfe, die die Arbeiter*innen damals führen mussten, wurden weitgehend vergessen. Auch das vielfältige Kulturleben ist untergegangen. Nur noch die Hülle des Arbeiterheims in Schrems sowenig ein wenig der Ort Eugenia erinnern noch an die damals in Blüte stehenden Arbeiter*innenkultur.

Karte:

https://www.openstreetmap.org/#map=14/48.8125/15.0726

Foto:

Vorspiel: Trotz Verbot wurde am 1. Mai 1933 vor dem Arbeiterheim in Schrems demonstriert.

Nachspiel:Der Protest als Spektakel. Im März 1934 wurde die Februarkämpfe nachgestellt.

Quellen:

Zahlen zur Arbeitslosigkeit in Amaliendorf aus: (Das Kleine Blatt, 15. Juni 1932, S.5).

Zitate und Fotos aus: Robert Streibel, Februar in der Provinz. Eine Spurensuche zum 12. Februar 1934 in Niederösterreich (Grünbach 1994)