Sommerpause

Für die nächsten ein, zwei Monate wird es ruhig hier sein. Der nächste Artikel kommt wahrscheinlich erst im Oktober. Der wird dafür länger. Thematisch wird es um die Beziehung zwischen „Proletariat“ und Linken gehen. Andererseits halt ich Versprechen selten ein …

Es wird auch Zeit, ein kleines Dankeschön zu sagen. Es finden langsam doch ein paar mehr Leute den Weg zu diesem obskurem Blog. Ich hoffe, es gefällt euch!

Als Dank hab ich in den vergangenen Wochen eine Kontaktadresse eingerichtet (auch wenn ich nur sporadisch erreichbar bin) und die Artikel mit Schlagwörter versehen.

Ekstase und Konsens

Ich hab grad „Uns verbrennt die Nacht“ von Craig Kee Strete gelesen. Er beschreibt darin rauschhafte Nächte Mitte/Ende der 60er in Los Angeles, die er gemeinsam mit Jimi Morrison verbracht hatte. Und wie so oft bei Beatnik- und Hippieromanen bin ich hin und hergerissen. Sie beschreiben einen Rausch, und bei den besseren Büchern ist das Lesen auch kleiner Rausch. Doch gerade die Darstellung von Frauen* hinterlässt mehr als einen bitteren Nachgeschmack. Sie sind schmückendes Beiwerk, nicht viel mehr als Fickobjekte, wie Drogen ein Mittel den eigenen Rausch voranzutreiben. Craig Kee Stret entschloss sich, eine düster-mystische Version seiner Hippiezeit zu schreiben, in der beides, Rausch und Misogynie, extrem vorkommen.

Dass das Ganze eine stark sexistische und patriarchale Schlagseite hat, hat damit zu tun, dass es vorwiegend Rauschgeschichten von Männern* aufgeschrieben wurden. Doch die hatten die sexuelle Revolution nicht gepachtet. Auch Frauen* profitierten davon: Mensch denke an Janis Joplin oder an Nico, um nur zwei Beispiele aus der Welt der Rockmusik zu nennen. Doch in der Literatur fand das zunächst wenig Niederschlag. Meines Wissens gab es erst ab den 90ern/Jahrtausendwende weibliche* Rauschgeschichten, die größere Verbreitung fanden. Ich hab da die genialen Comics von Ulli Lust im Kopf, die aber nochmals ein Stück später entstanden.

Hinter diesem Missverhältnis liegt aber ein viel tieferliegender Gegensatz. Rausch und Ekstase beruhen im Kern auf Grenzüberschreitung. Zumindest die Grenzen des Alltags werden dabei hinter sich gelassen. Konsens beruht im Gegensatz dazu auf eine ruhige Innenschau, zumindest in der besten Version. Die beiden Pole scheinen sich auszuschließen.

In den Romanen wird aber meist noch eine andere Grenzüberschreitung beschrieben – die zwischen Weggefährten, zwischen Kumpels. Doch diese wird meist als bereichernd, als anregend beschrieben. Es hilft, den Schatten zu überspringen, sich selbst mehr zuzutrauen, das Gewohnte, Alltägliche, das Hemmende hinter sich zu lassen. Der Erfolg von Craig Kee Strete#s Buch beruht zum Großteil auf die Kumpanei mit einem fiktiven Jimi Morrison. Dieser klein Taschenspielertrick brachte ihm viel Aufmerksamkeit, brachte dem Buch allein in der deutschen Übersetzung 18 Auflagen.

Diese Kumpelei zeigt aber auch, dass Ekstase und Konsens nicht zwangsläufig Gegensatzpaare sind, dass sich das ganze auch viel anders denken und handeln lässt. Wenn es ein aktives Wahrnehmen, wenn es Vertrauen gibt, können sich Rausch und Zustimmung wunderbar ergänzen. Und ja, es liegt an uns Männer, dieses Missverhältnis zu beenden, diese Kultur zu ändern!

Es lebe die Angst

Du sollst ein Frustrierter werden, der es nicht merkt, flüstert Jenö, einer, der tagelang marschiert, sich im Schlamm wälzt und dann mit heißem Gesicht salutiert, dazu müssen sie unsere Furcht vernichten, jeden Tag, bei jeden Appell, bei jeder Übung, glaub mir, wenn wir uns nicht mehr fürchten, dann sind wir am Ende, dann sind wir tot oder töten, Zoli, Zoli sei mutig, tapfer! Schreien sie dir in den Kopf, weißt du was das heißt? Stirb oder töte, nichts anderes, glaub mir ich hab das studiert, Zoli, ich weiß Bescheid, du zitterst doch, weil dein Schiss aus dir rausplatzt, zeig deine Furcht nicht, Zoli, aber behalt sie immer in dir (…)
die Angst ist menschlich und vermutlich das, was den Menschen vom Unmenschen unterscheidet, sagt er, aber hier, gottverdammt, in der Armee machen sie dich fertig mit deiner Angst, das musst du doch verstehen, Zoli, deshalb musst du die Angst in dir hüten wie eine Kostbarkeit, versteh doch!

Melinda Nadj Abonji, Schildkrötensoldat (Berlin 2017) 80f.

Den beiden Protagonisten nutzt ihre Furcht im Roman nichts – der eine wird von seinem Vorgesetzten zu Tode gehetzt, der andere wird darüber verrückt, doch ich finde diese Stelle wunderschön und superspannend. Die Autorin redet dabei vom Jugoslawienkrieg Anfang der 90er Jahre. Ich glaube aber, dass diese Gedanken in Wien der Gegenwart auch ihre Gültigkeit haben. In der neoliberalen Konkurrenzgesellschaft wird ein ständiger Kampf jedeR gegen jeden geführt. Da kann mensch sich eigentlich keine Fehler erlaube. Mensch muss selbstbewusst, jugendlich, partytauglich, global interessiert, … sein, das Profilbild muss schöner, die Follower mehr sein. Wer da nicht mit will oder mit kann, der hat zum Teil echt krasse Konsequenzen zu befürchten. Ich hab diesbezüglich grade den Drachenlord im Kopf, es lassen sich aber auch hundert andere Beispiele finden. In so einer Gesellschaft die eigenen Narben auf der Haut und auf der Seele offen zu zeigen, die Angst vor dem Versagen nicht zu verstecken, das Recht auf Imperfektion einzufordern, das ist tatsächlich eine revolutionäre Tat.