Der 12. Februar 1934, an dem der Aufstand der österreichischen Arbeiter*innen unter Führung der sozialdemokratischen Partei und des Schutzbundes begann, war ein historischer Tag. Das war den Zeitzeug*innen klar. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es einen bewaffneten, kollektiven Widerstand gegen den Faschismus. Dennoch finden die Februarkämpfe nur schwer ein Platz im kollektiven Gedächtnis. Zu sehr steht die kleinspurige, österreichische Spielart des Faschismus im Schatten der großen, nationalsozialistischen Version.
So werden an den Jahrestagen, in der Literatur und in der Forschung vorwiegend die Kämpfe in Wien thematisiert. Dass es auch im restlichen Österreich, in der Provinz, zu zahlreichen Protestaktionen kam, wird vielfach übersehen. Um das zumindest graduell zu ändern, werden hier die Kämpfe in den Kleinstädten Schrems im Waldviertel, Ebensee im Salzkammergut und Wörgl im Tiroler Unterland vorgestellt.
Schrems & Umgebung
Noch ehe am Montag, dem 12.Februar 1934, die Nachrichten über den Aufstand bekannt wurden, wurde der Vorsitzende der Schremser Sozialdemokratie, Alois Junker, verhaftet. Sowohl die Nachricht über die Gefangennahme als auch jene über den Beginn des Arbeiter*innenaufstandes verbreiteten sich in der Kleinstadt schnell. Es war vor allem dieses lokale Ereignis, dass die Schremser Arbeiter*innen erregte. Bald versammelte sich eine Menschenmenge vor der Polizeistation. Anfangs waren es vor allem Arbeitslose, die Freiheit für Junker forderten. Doch schon bald wurden sie ersten Fabriken bestreikt. Am Abend waren es bereits mehr als 500 Menschen, die die Polizei, die sich in deutlicher Unterzahl befand, bedrängte. Diese sah sich schlussendlich gezwungen, den Gefangenen freizugeben.
Um die Situation zu entspannen, schlug Alois Junker vor, sich ins Arbeiterheim zurückzuziehen. Die Menge folgte seinen Rat, errichtete jedoch zuvor eine Barrikade. Nur kurze Zeit später konnte jedoch die Polizei in das Haus eindringen. Laut manchen Berichten gab es heftige Gegenwehr. Anderen Berichten zufolge wurden die Türe von den Arbeiter*inenn selbst geöffnet, um so ein Blutvergießen zu vermeiden. Jedenfalls ist kein einziger Schuss gefallen, es gab keinen einzigen Toten. Einige dutzend Menschen, darunter auch Alois Junker, wurden jedoch verhaftet. Der Sieg der Aufständischen, die Gefangenenbefreiung, war nur von kurzer Dauer.
Doch damit endet die Geschichte noch nicht. Im Nachbarort Amaliendorf versammelten sich zweimal die Arbeiter*innen, um ihren bedrängten Schremser Genoss*innen zu Hilfe zu eilen. Am Montag in der Nacht drehten sie jedoch um, nachdem sie keine Waffen finden konnten. Am Dienstag wurde ein erneuter Versuch nach einer kalmierenden Rede eines lokalen Parteiführers aufgegeben.
Im nur 10 km entfernten Heidenreichstein spielten sich ähnliche Szenen wie in Schrems ab. Der sozialdemokratische Bürgermeister, der Parteivorsitzende sowie der Führer des Schutzbundes wurden festgenommen. Auch dort versammelte sich eine Menschenmenge mit der Forderung, die Betroffenen freizulassen. Unterstützung kam von den Arbeiter*innen von zumindest zwei örtlichen Betrieben. Sie legten am Montag und am Dienstag die Arbeit nieder. Doch anders als in Schrems war ihr Protest nicht von Erfolg gekrönt. Die drei Sozialdemokraten blieben in Gefangenschaft.
Ebensee
Die Nachrichten vom Beginn des Aufstandes erreichten Ebensee bereits am Montag, dem 12. Februar, zu Mittag. Dennoch war das Echo anfangs verhalten. Die Saline, die größte Firma im Ort, wurde bestreikt, und der Schutzbund in Alarmbereitschaft gesetzt. Doch schon am nächsten Tag brachen die Aktionen mit der Verhaftung von drei führenden Persönlichkeiten des Aufstandes zusammen. Doch am Mittwoch drehte sich das Blatt erneut. Der Streik, der am Tag zuvor abgebrochen wurde, wurde wieder aufgenommen. Die örtliche Polizei und die Heimwehr wurden entwaffnet. Die Aufständischen hatten somit die Macht im Ebensee an sich gerissen. Die Berichte widersprechen sich über die gründe für den erneuten Stimmungsumschwung.. Möglicherweise war es Druck der Arbeitslosen, möglicherweise waren es Gerüchte über einen bevorstehenden Angriff der Gmundener Heimwehr.
Die Entwaffneten schafften es jedoch, telefonisch das Bundesheer um Hilfe zu rufen. Eine ganze Kompanie wurde mit dem Zug Richtung Ebensee in Bewegung gesetzt. Am Donnerstag, 15. Februar, in der Früh erreichten sie den dortigen Bahnhof. Der Schutzbund, der nur über wenige Waffen verfügte, sah die Ausweglosigkeit der Situation ein, und zog sich auf den Almhausberg zurück.
Ebensee war der Ort, der am längsten von den Aufständischen gehalten wurde – ohne, dass auch nur ein einziger Schuss gefallen wäre. Das einzige Opfer war der Schutzbündler Anton Nußbaumer. Nach der Niederschlagung nahm er die volle Verantwortung des Aufstandes auf sich und erschoss sich.
Wörgl
Wörgl war der einzige Ort in Tirol, wo im Februar ‘34 Schüsse fielen. Das Oberinntal war eine der wenigen sozialdemokratischen Hochburgen. Auch in den Nachbarorten Häring und Kirchbichl gab es eine aktive Partei mit dementsprechend ausgeprägter Arbeiter*innenkultur und wachsamen Schutzbund.
Dennoch führte die Berichte über den Ausbruch der Arbeiter*innenkämpfe am Montag erstmals zu Ratlosigkeit. Erst am Dienstag in der Früh drang der Aufruf zum Generalstreik durch. In den drei genannten Orten wurde die Arbeit unter anderem in einem Kohlebergwerk, einer Zellulosefabrik, einem Montagewerk, einer Sensenfabrik und einem Lebensmittellager eingestellt.
Gleichzeitig versuchten jedoch Heimwehr und Polizei gemeinsam mit dem sozialdemokratischen Bürgermeister den lokalen Parteivorsitzenden Johann Lenk im Arbeiterheim zu verhaften. Doch der anwesende Schutzbund verhinderte die Ausführung. Daraufhin wurde von den Arbeiter*innen der Entschluss gefasst, sich mit der Schutzbündler*innen aus Kirchbichl zu vereinigen. Am Gelände der Zellulosefabrik trafen sich die beiden Gruppen.zurückzuziehen.
Doch die Heimwehr setzte ihnen nach. Ein erster Angriff, bei dem auch von beiden Seiten geschossen wurde, konnte zwar zurückgeschlagen werden, aber Johann Lenk erlitt einen Oberschenkeldurchschuss. So konnten er kurze Zeit später verhaftet werden. Daraufhin zog sich der Rest der Gruppe in einen der umliegenden Wälder zurück.
Gleichzeitig musste sich der Schutzbund aus Häring, der ebenfalls in Wörgl unterwegs war, zurückziehen, nachdem er auf eine Übermacht des Militärs gestoßen war. Beim Rückzug stießen sie mit Polizei und Heimwehr zusammen. Hierbei kam es zu einem weiteren Feuergefecht.
Bei den Kämpfen wurden fünf Menschen schwer verletzt. Zwölf Personen wurden verhaftet, Schutzbund, Partei sowie alle Vorfeldorganisationen wurden verboten. Ihr Vermögen, unter anderem das Arbeiterheim und eine Naturfreunde-Hütte, wurde eingezogen. Für die Tiroler Linke war dies ein schwerer Schlag. Dennoch kam es auch in den nächsten Jahren immer wieder zu antifaschistischen Widerstandsakten.
Fazit
Die Beschäftigung mit den Ereignissen in der Provinz schärfen den Blick auf die die Dynamiken der Februarkämpfe. Zuallererst ist hier eine große Kampfbereitschaft zu nennen. In vielen Städten und Dörfern kam es zu größeren und kleineren Aktionen. Kaum ein anderes politisches Ereignis fand ein derart flächendeckendes Echo. So gab es in Schrems, einer Stadt mit etwas mehr als 5000 Einwohner*innen, eine Gefangenenbefreiung. In Ebensee, wo weniger als 10 000 Menschen wohnen, hatte zeitweise der aufständische Schutzbund das Sagen.
Doch auch die Gründe für die Niederlage werden deutlich. Heimwehr, Polizei und Bundesheer waren sehr gut auf den Aufstand vorbereitet. Die Fahndungslisten lagen fix und fertig in der Lade. Zeitgleich mit Beginn es Aufstandes begannen in nahezu allen Orten auch die Verhaftungen zentraler Personen von Partei und Schutzbund sowie von Betriebsrät*innen. Die organisierten Arbeiter*innen waren dagegen erstaunlich rat- und planlos, obwohl schon lange Aufstandspläne geschmiedet wurden. Vielerorts konnten Waffen nicht aufgefunden werden, da selbst die Vertreter*innen der lokalen Führer*innen die Verstecke nicht kannten. An manchen Orten versammelten sich die Arbeiter*innen und warteten auf Informationen und Instruktionen. Da diese nicht kamen, gingen sie ergebnislos wieder auseinander.
Deutlich treten auch die Spannungen innerhalb der Linken zutage. Parteispitze gegen Basis. Verhandler*innen gegen Revolutionäre. Arbeitslose gegen Arbeiter*innen. Jung gegen Alt. Solche Spannungen ziehen sich durch die Geschichte der Sozialdemokratie, doch fanden sich immer Möglichkeiten des Ausgleichs. Im Februar 1934 trafen die Gegensätze in voller Wucht aufeinander. Die Konfliktlinien wurden just in dem Moment, in dem Solidarität am wichtigsten gewesen wäre, offensichtlich. So beruhigte in Schrems der lokale Parteiführer Alois Junker die aufgebrachte Menge, die ihm zuvor befreit hatten, so sehr, dass sie der Polizei das Arbeiterheim kampflos überließen. In Wörgl ließ der sozialdemokratische Bürgermeister den Vorsitzenden der eigenen Ortspartei verhaften.
Realistischerweise muss gesagt werden, dass auch unter besseren Bedingungen die Arbeiter*innen kaum eine Chance gehabt hätten. Die Macht, das Geld, die Waffen waren auf der Seite der Faschist*innen. Dass sie den Aufstand dennoch wagten, dass sie dem Faschismus die Stirn boten, dafür gebührt ihnen Dank und Respekt – bis zum heutigen Tag!
(Bild: Demonstration am 12.Februar 1934 in Ebensee. Quelle: Archiv Zeitgeschichte Museum Ebensee via https://fireredfriederike.com/2019/01/27/februar1934/ ) Vlt. kommen noch ein paar mehr Fotos.