Der 1. Mai 1934 stand für die Wiener Linke unter keinen guten Vorzeichen. Keine drei Monate zuvor wagten Arbeiter*innen einen Aufstand gegen den Austrofaschismus. Der war leider erfolglos, die Konsequenzen waren jedoch fatal. Mehr als 100 Linke starben in den Gefechten, Tausende wurden verwundet. Tausende wurden verhaftet, es wurden extra „Anhaltelager“ für diejenigen errichtet, die an den Februarkämpfen teilgenommen hatten. Viele andere flohen vor der Repression ins Ausland. Alle linken Organisationen wurden verboten, ihr Vermögen einbezogen.
Dennoch war der Frühling von allem anderen als von Hoffnungslosigkeit geprägt. Viele Arbeiter*innen jener Zeit glaubten, dass die Niederlage nur vorübergehend sein werde, dass die Möglichkeit einer sozialistischen Revolution gegeben sei. Vor allem in den Liedern der damaligen Zeit findet sich Spuren dieser Hoffnung, die für viele der Nachgeborenen unverständlich erscheint. So ist im „Arbeiter von Wien“, ein Lied, das damals große Popularität genoss, die Rede vom „Bauvolk der kommenden Welt“. Programmtisch heißt es „Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.“ und „Wir sind der Zukunft getreue Kämpfer“. Auch in „Schluss mit Phrasen“ , ein Lied, das kurz nach den Februarkämpfen geschrieben wurde, ist keine Hoffnungslosigkeit zu spüren. Dort heißt es: „Schluss mit Phrasen, vorwärts zu Taten. Denn die Fronten wurden jetzt klar. Durch den Kampf der roten Soldaten, durch den zwölften Februar.“ Auch in den politischen Slogans, die im Frühling ‘34 populär waren, wurde der Wille zum Widerstand zum Ausdruck gebracht. „Wir kommen wieder“ und „Auf den schwarzen Februar folgt der rote Oktober“ hieß es da. Bei dieser Stimmungslage war klar, dass viele Arbeiter*innen auf Aktionen am 1. Mai, dem traditionellen Kampftag der Arbeiter*innen, nicht verzichten wollen.
Die Vorbereitungen waren jedoch schwierig, gab es doch die bisherigen Organisationen nicht mehr. In der Vergangenheit kam es auf Initiative der SDAP, der Vorgängerpartei der SPÖ, zu Demonstrationen und Aktionen. Doch diese wurde aufgelöst, und konnte nur vom Ausland aus als ALÖS aktiv werden. In Österreich gründete sich als klandestine Partei die Revolutionären Sozialisten. Doch viele Arbeiter*innen haben das Interesse an der sozialdemokratischen Partei verloren. Sie wandten sich der schon länger verbotenen KPÖ zu. Diese wurde in der Illegalität von einer Kleinpartei zur Massenpartei. Doch im Frühling waren diese Veränderungen noch im Gange. Darum war keine einzige der genannten Organisation in der Lage, eine Maifeier im größeren Rahmen zu organisieren.
Aus diesem Grund gab es dieses Jahr nicht die eine zentrale, große Kundgebung, sondern viele kleinere, dezentrale. Vorbereitet wurden sie Freund*innenkreisen und von Vorfeldorganisationen, die noch nicht verboten waren. Dabei kam es auch zu vereinzelten Zusammenarbeiten zwischen Sozialist*innen und Kommunist*innen; etwas, was im größeren Maßstab zu jener Zeit undenkbar war. Um das Risiko von Verhaftungen zu minimieren, wurde auf Kundgebungen in der Natur sowie auf schnelle, flashmobartige Demos gesetzt. In diesen Rahmen konnten die Maifeiern dennoch stattfinden.
Die austrofaschistische Regierung bereitete sich auf ihre Art auf die Maifeiern vor. Einerseits setze sich auf Repression. So wurde das Militär präventiv in Stellung gebracht. Auf der Sophienalpe wurden Haubitzen mit Schussrichtung Ottakring aufgestellt. Andererseits versuchten sie, den Tag mit eigenen Inhalten umzudeuten. So wurde im Stadion eine Massenveranstaltung abgehalten, bei der eine neue Verfassung und damit auch der Ständestaat verkündet wurde. Unterstützung sollten sie von einer Gruppe italienischer, faschistischer Motorradfahrer*innen erhalten.
Aber ganz so, wie es die Faschist*innen geplant hatten, sollte es nicht laufen. Bereits am Abend zuvor, am 30. April 1934, hielten die Kruckenkreuzer*innen Fackelzüge ab. Dabei kam es an mehreren Stellen zu handfesten Auseinandersetzungen mit jugendlichen Antifaschist*innen. Am Vormittag des 1. Mai gab es die große austrofaschistische Kundgebung im Stadion. Zeitgleich kam es zu mehreren Kundgebungen in den Arbeiter*innenbezirken. Zumeist waren es kurze, flashmobartige Zusammentreffen, wo z.B. „Die Internationale“ abgesungen wurde, und danach wieder auseinandergegangenen wurde. Vereinzelt entstanden daraus aber auch wilde Demos, die in Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten.
Die eigentlichen Höhepunkte stellten die Maifeiern im Wienerwald. Sie waren der Ersatz für die traditionelle 1. Mai Demo, die bislang in der Innenstadt stattfand. Da es aufgrund der organisatorischen Probleme nicht die eine, zentrale Kundgebung gab, fanden in dem Gebiet zwischen Klosterneuburg und Baden gut ein Dutzend dezentraler Versammlungen statt. Tatsächlich klappte das Konzept der dezentralen Kundgebungen fernab der Stadt gut. Einige tausend Arbeiter*innen kamen in den Wienerwald. Das war angesichts des enormen Risikos, offen seine/ihre Sympathien für die Arbeiter*innenbewegung auszudrücken, eine mehr als beachtliche Zahl. Die allermeisten Veranstaltungen konnten problemlos abgehalten werden. Nur bei jener am Taferlberg in der Nähe von Klosterneuburg gelang es der Polizei, einen Sprecher festzunehmen.
Erst am 2. Mai kamen die italienischen Ehrengäste mit ihren Motorrädern in Wien an. Sie verpassten damit die Veranstaltung ihrer faschistischen Gesinnungsgenoss*innen, zu der sie eigentlich Ehrengäste geladen waren. Doch auf ihrem Weg wurden sie vielfach aufgehalten. Die Straßen waren mit Glasscherben und Nägeln bestreut, sodass ihr Fortkommen erschwert wurde. An manchen Orten kam es auch zu handfesten Auseinandersetzungen mit Antifaschist*innen.
Rund um den 1. Mai kam es auch zu einer ganzen Reihe klandestiner Aktionen. Zumeist wurden rote Fahnen gehisst, auf Wänden drei Pfeile gemalt oder Flyer geworfen. Am 1. Mai wurde aber auch ein Brand bei einem Holzlager beim Bahnhof Meidling gelegt. Es hieß, dass das das traditionelle Maifeuer gewesen sei.
Der Härte der Auseinandersetzungen war sehr hoch, viel höher als wir es uns heute vorstellen können. So schoss die Polizei auf einen Jugendlichen, den sie beim Bemalen einer Hauswand erwischten, trafen ihn aber nicht. Umgekehrt wurde ein Polizist bei den Scharmützeln am Vormittag des 1. Mais schwer verletzt. Bei den Streitigkeiten zwischen den italienischen Faschist*innen und den Sozialdemokrat*innen im steirischen Krieglach soll eine Waffe verwendet worden sein, wobei unklar blieb, wer schoss und wer das Opfer war. In Villach kam ein Arbeiter beim Befestigen einer roten Fahne in den Stromkreislauf und starb.
Der 1. Mai 1934 in Wien war ein kleines Wunder. Inmitten des Aufstiegs des Faschismus, inmitten einer brutalen Repression, erst kurz nach der Zerschlagung aller linken Organisationen gelang es, ein kräftiges Lebenszeichen der Arbeiter*innenbewegung zu setzen. Esc war wohl eine der kämpferischsten und ereignisreichsten Tage in er Geschichte der 1. Mai-Feiern. Die Austrofaschist*innen konnten zwar bei ihrer zentralen Kundgebung im Stadion nicht behindert werden, doch konnte sowohl die Fackelzüge am Vorabend als auch der Besuch italienischer Motorradfahrer*innen vermasselt werden. Es ist ein Tag, der auf jeden Fall wert ist, erinnert zu werden. Zeigt er doch, dass es möglich ist, auch unter widrigsten Umständen Widerstand zu leisten.
(Bildquelle: Solidarität aus Zürich bei der 1. Mai Demo. Schweizerisches Sozialarchiv. Datenbank Bild und Ton. F 5024-Fx-107. Online unter: https://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_5024-Fx-107 Leider konnte ich von den Wiener Maifeiern 1934 nur Bilder der Austrofaschist*innen finden, die ich nicht bringen mag)