Kalter Winter statt Heißer Herbst

Anfang Herbst wurde vom ÖGB schon fast traditionell bei den Lohnverhandlungen ein „heißer Herbst“ angekündigt. In der Rückschau blieb davon aber nicht viel übrig: Die Ergebnisse führten zu massiven Reallohnverlusten. In diesem Zusammenhang wird auch die Frage gestellt, wer die Kosten der Pandemie bezahlen. Von der Forderung „Make the Rich Pay for Covid“ ist nicht allzu viel übrig geblieben. Vielmehr passt „Make the Workers Pay for Covid“ zu der Entwicklung der Zeit. Dennoch ist es auffallend ruhig geblieben. Nur sehr vereinzelt, rund um die Verhandlungen in der Metallbranche, kam es zu ein paar wenigen Protestaktionen. Statt eines heißen Herbstes kam es zu einem kalten Winter, der noch lange anhalten wird.

Reallohnverlust

Für das Jahr 2021 wurden die Lohnerhöhungen, welche 2020 ausverhandelt wurden, schlagend. Diese betrugen je nach Branche zwischen 1,5% und 2,5%. Jedoch betrug die Inflation für das Monat, in dem einige der neuen KVs in Kraft traten, bereits 4,3%.1

Bereits 2021 konnte die Lohnentwicklung mit der Inflationsrate nicht mithalten. Dieses Jahr wird der Reallohnverlust noch viel deutlicher ausfallen, und mindestens 3% betragen.2 Das ist der höchste Verlust der Kaufkraft seit den vielen Jahrzehnten. Mittelfristig ist mit dem höchsten Reallohnverlust seit der Weltwirtschaftskrise der 20er und 30er Jahre3 zu rechnen.

Die Inflationsrate wird normalerweise im Vergleich zu den Preisen vor einem Jahr angegeben, während die Lohnerhöhungen für das kommende Jahr gelten. Schon allein durch diese zeitliche Dynamik kommt es bei länger anhaltenden, steigenden Inflationsraten zu einem Reallohnverlust.

So lange die durchschnittliche Inflationsrate des Vorjahres die Diskussionsgrundlage bildet, so lange wird es zu Reallohnverlusten kommen. Je schneller die Inflation steigt, desto höher der Verlust des Einkommens.4

Gender Pay Gap

Innerhalb dieser schlechten Abschlüsse gab es nochmals deutliche Unterschiede zwischen „typischen“ Männer*berufen und Jobs, die überwiegend von Frauen* gemacht werden. So wurde in der Metallbranche ein Gehaltsplus von 3,5% rausverhandelt; in der Transportbranche waren es sogar 4,9%. Demgegenüber gibt es im Handel und bei den Sozialberufen nur 2,8%. In der Reinigungsbranche müssen die Arbeiter*innen deutlich schlechter gewordene Rahmenbedingungen hinnehmen.

Es sei hier daran erinnert, dass es vor allem Frauen* in den typischen Frauen*berufen waren, die den Laden während der Pandemie am Laufen hielten. Dank der Reallohnverluste wird den Arbeiter*innen die Kosten der Pandemie aufgebrummt. Durch die schlechten Abschlüsse in den Frauen*berufen müssen jene, die vor zwei Jahren noch beklatscht wurden, nun besonders viel zahlen.

Frage der Gerechtigkeit

Diejenigen die nicht ins Home-Office wechseln konnten, sind mit verschärften Arbeitsbedingungen konfrontiert. In der Arbeit gibt es ein erhöhtes Risiko, sich anzustecken. Die Maskenpflicht macht die Sache auch nicht leichter. Generell ist die Arbeit mit anderen Menschen dank der allgemeinen Anspannung schwieriger geworden – egal ob in der Pflege, als Paketzusteller, oder als Pädagog*in. Als Dank dafür gibt es relativ gesehen weniger Geld.

Die Menschen, die den Laden am Laufen hielten, die noch vor Kurzem als Held*innen beklatscht wurden – sie sind die Verlierer*innen der Krise. Gleichzeitig sind die, die sich das Abstandhalten, das #Stayathome, das Home-Office leisten können, die einen Zweit- oder Drittwohnsitz haben, die großen Gewinner. Allein die zehn reichsten Menschen der Welt konnten ihr Vermögen verdoppeln. Auf der anderen Seite verlieren durch die Inflation jene am meisten, die am wenigsten Macht und damit am wenigsten Einkommen haben.

Corona machte die Arbeit schwerer. Gleichzeitig wird sie schlechter entlohnt. Das Klatschen aus dem Frühling 2020 ist verklungen, der ehemalige Held*innen sind die finanziellen Verlier*innen der Krise.

ÖGB staatstragend

Es wäre Aufgabe der Arbeiter*innenvertretung, sich dieser Dynamik entgegenzusetzen und Arbeiter*innenrechte möglichst weitgehend zu schützen. Doch obwohl die Funktionär*innen des ÖGB die oben genannten Fakten kennen, bleibt es von ihrer Seite erstaunlich ruhig. Nur rund um die Metall-KVs gab es ein paar wenige Protestversammlungen. Diese Passivität lässt sich durch ihre historische Rolle erklären.

Die Vorläufer*innen kämpften aktiv für Arbeiter*innenrechte. Doch als der ÖGB nach dem 2.Weltkrieg gegründet wurde, setzte er auf die Strategie „Soziale Angleichung durch Wirtschaftswachstum“. Die Gewerkschaft wurde so staatstragend. Der Erfolg bis weit hinein in die 90er Jahre gab ihm Recht. Erst in den Jahren danach, in der Zeit des Neoliberalismus, kam dieses Vorgehen in die Krise. Die Gewerkschaft fiel in eine tiefe Krise.

Erst jetzt, in der Corona-Pandemie wurde von Wirtschaft und Politik die Wichtigkeit einer offiziellen staatsnahen Gewerkschaft erkannt. Der ÖGB nahm diese Rolle dankend an. Ihr ist diese staatstragende Rolle wichtiger als eine echte Vertretung der Arbeiter*innen zu sein.

Alternativlos?

Es ist keineswegs ein Naturgesetz, dass in Zeiten der Krise*n Arbeiter*innen zur Kasse gebeten werden. Vielmehr ist es Ausdruck von konkreten Machtverhältnissen. Diese zeigen sich auch darin, dass das Füllhorn der Corona-Beihilfen, eine der Ursachen der jetzigen hohen Inflation, fast ausschließlich über (große) Unternehmer*innen ausgeschüttet wurde. Arbeiter*innen, die jetzt die Zeche zu zahlen haben, gingen weitgehend leer aus.

Diese Machtungleichheit hat mehrere Ursachen. Nach dem 2.Weltkrieg, in Zeiten des sozialstaatlichen Kapitalismus, verzichteten Arbeiter*innen auf Selbstorganisation. Stattdessen gab es Vertreter*innen, die am Verhandlungstisch möglichst viele Rechte und möglichst hohe Löhne erringen sollten. Dieses System war lange Zeit erfolgreich, doch mit dem Beginn des Neoliberalismus kam es in eine tiefe Krise. Auch in den linken, sozialen Bewegungen spielt die soziale Frage, die Lage der Arbeiter*innen kaum eine Rolle.

Diese alten Wege der Arbeitskämpfe führen in der Gegenwart zu einer Abwärtsspirale. „Make the Workers Pay“ wurde so zum Motto der Krisenbewältigung. Wenn sich an der Lage der Arbeiter*innen etwas ändern soll, braucht es neue Wege der Organisierung. Noch eine Weile wird das Motto bei Krisenbewältigung sein. Wenn wir den kalten Winter beenden wollen, müssen wir den „heißen Herbst“ selbst gestalten – egal zu welcher Jahreszeit!

1Stand Jänner 2022. Dieser Artikel sollte bereits vor mehr als einem Monat erscheinen. Seitdem hat sich die Lage nochmal drastisch verschärft.

2Die meisten Prognosen erwarten eine durchschnittlich, jährliche Inflationsrate von ca. 6%. Momentan schaut es jedoch so aus, als könnte sie auch deutlich darüber liegen. Der Reallohnverlust wäre dann dementsprechend höher.

3Für historisch Interessierte: Es gab in den letzten hundert Jahren in Mitteleuropa drei Phasen mit starken Reallohnverlusten, die alle Arbeiter*innen betrafen. Die Wirtschaftskrisen, die auf den Börsencrash 1927 folgten, raubten vielen Arbeiter*innen einen Großteil ihres Lohnes. Ende der 40er Jahre gab es eine hohe Inflation ohne gleichzeitige Lohnanpassung. Das führte zum Oktoberstreik 1950. Schlussendlich führte das Ende des Realsozialismus in Ost- und Mitteleuropa Ende der 80er, Anfnag der 90er zu erheblichen Lohneinbußen.

4Auch die ersten Ergebnisse der Frühjahrslohnrunde bestätigen diese Entwicklung. Im Hotel- und Gastgewerbe gibt es ein Lohnplus von 3,7%, in der Textilbranche von 4,5%. Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft bekommen 3,5% mehr Geld. Damit gibt es schon in dem Monat, in dem der neue KV in Kraft tritt, einen Reallohnverlust von 2-4%. Im Laufe des Jahres wird dieser noch deutlich steigen.