Schrittweise Rückkehr zur normalen Ausnahmesituation

Ich hab ja ordentlich mit der Ausgangssperre zu kämpfen -wer nicht?- und freu mich schon sehr , wenn dieser Scheiß vorbei ist.

Aber auch die Diskussion um das Ende bzw. die Lockerung der Maßnahmen geht mir langsam aber sicher auf den Keks. Denn da ist kein Wort von den Depressiven die Rede, die die Situation jetzt mehr länger aushalten. Da wird nicht von meiner Nachbarin mit ihren Panikattacken gesprochen, nicht von den Kindern, die schon fast durchdrehen, weil sie drei Wochen ihre Freund*innen nicht gesehen haben. Die Zunahme an häuslicher Gewalt wird selten thematisiert. Und unsere Sehnsucht nach Freiheit, nach Nähe, nach Zärtlichkeit, Freund*innen wieder ins Auge sehen können, das fällt ganz unterm Tisch. Alles, was in dieser Diskussion zählt, ist die Wirtschaft. Der Rubel soll wieder rollen.

Und so kam es auch. Der große Plan, der sich schrittweise Rückkehr zur Normalität nennt, bringt für uns nur Verschärfungen. Die Ausgangssperre wurde bis Ende April verlängert. Dazu kommt die schrittweise Einführung einer Maskenpflicht; in den Supermärkten ist es schon in Kraft, dann kommen die Öffis dran, und schlussendlich der ganze öffentliche Rau, Keine Maskenpflicht gibt es dort, wo es wirklich notwendig wäre, in den Pflegeheimen etwa. Nicht einmal in den Krankenhäuser gibt es genug Masken. Wozu auch, denn die Schutzmasken, die dort gebraucht werden, landen jetzt in den Mistkübel vor den Supermärkten.

Ähnlich sinnbefreit ist ein anderer Erlass, der besonders gefährdete Menschen schützen soll, in dem es für sie Home-Office oder Dienstfreistellungen geben soll. Nur blöderweise wurden „systemrelevante Bereiche“ explizit ausgenommen – also genau jene Orte, wo es das größte Ansteckungsrisiko gibt! Immerhin kommt die verpflichtende Überwachungsapp nicht – zumindest vorerst nicht. Mein Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung ist nicht besonders groß.

Die Normalität, von der sie reden, das ist die Rückkehr des Konsums, das Wiederankurbeln der Wirtschaft. Wir haben darin nur Platz als Produzent*innen und Konsument*innen. Wenn die Geschäfte wieder öffnen werden, wenn manche von uns zurück in die Firma müssen, haben aber die Schulen und Kindergärten noch nicht offen, nur ein Notbetrieb läuft. Wie sich das ausgehen soll, das bleibt den Eltern überlassen.

Das sind keine Ausrutscher, das Ganze hat System. Für Politik und Wirtschaft sind wir nur Zahlenmaterial, nur Statistik. Im Ausnahmezustand der Corona-Pandemie zählen wir nur als Infizierte, Genesene, Tote. Bei der sogenannten Rückkehr zur Normalität ändern sich zwar die Parameter, Zahlenmaterial bleiben wir aber trotzdem: Kaufkraft, Stundenlohn und Produktionsfaktoren. Unsere Hoffnungen, unsere Träume, unsere Ängste, unsere Verletzbarkeiten und unsere Beziehungen passen da nicht hinein. Zahlen sind hin- herschiebbar, mit uns funktioniert das nicht so einfach. Zahlen sind überschaubar, bewältigbar – eine schöne Illusion in diesen Zeiten. Mit den mathematischen Modellberechnungen soll nicht nur die Pandemie, mit den wirtschaftlichen Parameter soll nicht nur die Krise beherrscht werden, sondern auch wir selbst.

Wir sind aber mehr als Zahlen. Und unsere Leidenschaft, unsere Lebenslust und auch unsere Wut wird sich nicht auf ewig zurückhalten lassen.