Donnerstagsdemo: Der Geschmack aufgewärmten Essens

Als im Februar 2000 sich zum ersten Mal eine schwarz-blaue Regierung bildete, bildete sich eine der größten Protestbewegungen der Nachkriegszeit. In den nächsten zwei Monaten gab es praktisch täglich Demos, Besetzungen, Aktionen. Die widerständische Bandbreite reichte dabei von Massendemos, Dauerkundgebungen, künstlerische-intellektuellen Einspruch bis hin zu Eier- und Tortenwürfen, Besetzungen. Bei Spontandemos wurden hunderte Kilometer durch diese Stadt gewandert. Die Donnerstagsdemos waren Teil davon.

Daran wollten die Organisator*innen der neuen Donnerstagsdemos anknüpfen. Im Aufruf rufen sie diese Zeit zurück ins Gedächtnis „da war widerständiges Knistern in der Luft zu spüren. Und genau diesen Geist holen wir auf die Straßen zurück. Lauter, lustvoller und kämpferischer als zuvor zeigen wir gemeinsam, was wir von dieser Regierung halten – nämlich gar nix.“ Das Vorhaben missglückte. Und das, obwohl ca. 20.000 Menschen zum Ballhausplatz kamen. Zu Spitzenzeiten war es so voll, dass selbst ein Durchdrängeln fast nicht möglich war. Mindestens die Hälfte der Menschen hat von reden und Musik wenig mitbekommen, weil sie zu weit von der Bühne weg standen.

Dennoch stellte sich – zumindest bei mir – dieses widerständische Knistern nicht ein. Zu groß ist der Unterschied zwischen Sponti mit selbstgewählter Strecke und stationärer Kundgebung. Dort ist alles, was ich machen kann: Den Reden, die nicht verstehen kann, zuhören, ab und zu „Widerstand“ rufen, und sich abschließend gegenseitig auf die Schultern klopfen, denn wir sind ja die Guten. Zu groß ist der Unterschied zwischen einer Bewegung, die von unten entsteht und einem Versuch, es von oben wieder zu beleben. Zu eklatant war der Widerspruch zwischen radikaler Rhetorik und braven Ablauf. Es gab ein durchgetimtes Programm mit mehr als 20 Redner*innen und Musiker*innen. Spontane Aktionen waren dadurch praktisch ausgeschlossen. Es war wie wiederaufgewärmtes Essen – auch wenn es mehr wird, es wird nur selten besser.

Aber wir leben im Hier und Jetzt. Ein nostalgischer Blick zurück ist wenig hilfreich für eine Widerstandskultur der Gegenwart. Da bleibt trotz aller Kritik festzuhalten: Die Rückkehr des Donnerstags ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es haben wieder mal zehntausende Menschen gezeigt, dass sie mit der Politik der Regierung nicht einverstanden sind. Es werden mehr und mehr Künstler*innen, die mit ihrer Kritik und ihrer Ablehnung nicht hinter dem Berg halten. Doch das wichtigste ist: Es gab schon einige große Proteste gegen die Regierung. Doch das waren große Events mit wenig nachhaltiger Wirkung. Wenn es jetzt neben der kleineren Music 4 Human Rights Kundgebung eine größere wöchentliche Kundgebung/Demo gibt. kann sich das ändern. Es kann eine neue Widerstandskultur daraus wachsen.

Dass das gelingt, dafür braucht es einen Kampf um unsere eigenen Köpfe. Wir müssen uns selbst wieder ernst nehmen, wir müssen wieder lernen, dass wir es selbst in der Hand haben, die Gesellschaft zu verändern. Bislang, auch letzten Donnerstag, hatte ich das Gefühl, dass es den Leuten wirklich wichtig ist, zu zeigen, dass sie mit der Politik nicht einverstanden sind. Doch wirklich was ändern daran glauben nur die wenigsten. Das zeigten manche Plakate („Wixen gegen Rechts“ „Nazis weg Kuscheln“). Es zeigte sich aber auch daran, dass viele Leute nur kurz blieben. Als die Kundgebung nach 3 Stunden endete, waren eher 2000 als 20 000 übriggeblieben.
Es wird dauern, bis wir Wege für einen neuen Widerstand gefunden haben. Es wird Übung brauchen, bis wir uns wieder selbst vertraue können. Deswegen ist klar: Wir sehen uns wieder am Donnerstag!